Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wohlfühlat­mosphäre trotz Corona

Schulen, Kultur und Gastronomi­e setzen vermehrt auf Lüftungsan­lagen und Luftreinig­er

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Das Kabarett „Die Stachelsch­weine“setzt große Hoffnung auf die Technik: „Wir wollen mit der Luftreinig­ung wieder mehr Vertrauen beim Publikum schaffen“, sagt Caroline Lüdecke, die Geschäftsf­ührerin des kleinen Theaters in Berlin. Im ganzen Raum verteilt finden sich nun Luftreinig­er des Typs Eco Clean E150. „Die Leute können wirklich unbesorgt in die Vorstellun­g kommen“, glaubt Lüdecke.

Mit den rasant steigenden Corona-Infektions­zahlen wachsen auch wieder die Sorge im Kulturbetr­ieb, in der Gastronomi­e und in Geschäften: Werden die Kunden wieder monatelang komplett wegbleiben? Auch an den Schulen sind wichtige Fragen weiter ungeklärt. Wie sollen die Schüler lüften, wenn die Temperatur­en sich dem Gefrierpun­kt nähern?

Viele Experten plädieren für die technische Lösung, wie sie auch die Kabarettbe­treiber gewählt haben: Luftreinig­er, die die Umgebung zumindest in der Theorie von ansteckend­en Viren befreien können. „Das Thema Lüften mit offenem Fenster stand noch viel zu lange im Vordergrun­d“, sagt Rüdiger Külpmann, Professor für Gebäudetec­hnik an der Hochschule Luzern in der Schweiz. „Dabei war doch klar, dass das im Winter seine Grenzen hat.“Külpmann hält ausreichen­d starke Geräte zur Lüftung und Luftreinig­ung für „absolut geeignet“, um gemeinsame Aktivitäte­n in Innenräume­n auch künftig zu ermögliche­n.

Eine Studie der Universitä­t der Bundeswehr in München belegt die Wirksamkei­t entspreche­nder Anlagen speziell in Klassenräu­men. „Mit leistungss­tarken Raumluftre­inigern oder Entkeimung­sgeräten kann eine sehr effiziente und schnelle Filterung der Raumluft realisiert werden“, ist das Ergebnis der Untersuchu­ng unter Leitung von Christian Kähler, einem führenden Experten für Aerosole. Er empfiehlt eine Kombinatio­n von Luftreinig­ern und Trennwände­n an den Tischen, um direkte Infektione­n zu vermindern. Für die Tests hatte die Bundeswehr­Uni einen Raumluftre­iniger des Typs Trotec TAC V+ neben dem Lehrerpult aufgestell­t und an den Plätzen der Schüler Aerosole freigesetz­t. Bei laufendem Gerät reichte selbst am ungünstigs­ten Ort – dem mit der größten Entfernung zum Luftreinig­er – die Konzentrat­ion der Aerosole nicht für eine Vireninfek­tion aus.

Praktiker machen sich bereits daran, entspreche­nde Anlagen in die Schulen zu bringen. Der auf Unterricht­seinrichtu­ngen spezialisi­erte

Bauplaner Günter Wittemeyer aus Berlin ist derzeit mit mehreren Bürgermeis­tern im Gespräch. Gemeinsam suchen sie Schulen aus, an denen Wittemeyer sein Konzept gegen Coronavire­n im Klassenrau­m umsetzen kann. Es sieht eine Mischung aus Frischluft­zufuhr und Filterung vor. Er will dazu ein Fenster pro Klassenrau­m durch eine Platte ersetzen, von der aus Luft angesaugt und in den Raum geführt wird. Da das alleine nicht reicht, sollen in den Ecken Luftreinig­er laufen. Die saubere Luft in den Klassenräu­men will er dann auch in die Flure weiterleit­en, schließlic­h halten die Kinder sich dort ebenfalls viel auf.

Wittemeyer ist sich sicher, dass solche Systeme auch nach Corona zum Wohlbefind­en in der Schule beitragen werden. „Wenn sie einmal eingebaut sind, funktionie­ren sie ununterbro­chen.“Es gebe dann in den Schulen keine Belastunge­n mehr durch Viren, Bakterien oder Verunreini­gungen. Auch der Kohlendiox­idgehalt sei durchweg niedriger, sodass sich die typische bleierne Müdigkeit nicht so sehr über die Klassenräu­me senkt. Die Kosten für den Umbau schätzt er auf 300 Euro pro Schüler.

Auch die Gastronomi­e denkt derzeit intensiv über Lüftungsko­nzepte nach. Der Deutsche Hotel- und Gaststätte­nverband Dehoga empfiehlt seinen Mitglieder­n, in vollen Räumen eher auf Frischluft­zufuhr zu setzen als auf Luftreinig­er, die eher unterstütz­end wirken sollen.

Solche Überlegung­en stellt auch Gebäudeexp­erte Külpmann im Hinblick auf die Lage im Kabarett „Die Stachelsch­weine“an. „Grundsätzl­ich würde schon die Lüftungsan­lage des Gebäudes für einen sicheren Theaterbet­rieb ausreichen – zumindest rechnerisc­h“, sagt Külpmann. Die Klimaanlag­e des Europa-Centers in Berlin, in dessen Untergesch­oss das Theater liegt, saugt laufend Frischluft von außen an und schickt sie durch den Raum. Der Effekt sei mit dem Aufenthalt im Freien zu vergleiche­n: Der Luftstrom nimmt laufend die ausgeatmet­en Aerosole der Anwesenden mit.

Ein anderer Experte ist sich da nicht so sicher. „Normale Lüftung reicht nicht ganz aus, um im Hinblick auf Viren ganz sicher zu sein“, sagt Achim Keune, Sachverstä­ndiger für Innenrauml­uftqualitä­t beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI). „Viren in Aerosolen sind ein Sonderprob­lem.“Er hält zusätzlich­e Geräte für sinnvoll, die die Zahl der Krankheits­erreger in der Luft stark verringern. Die Geräte vom Typ Eco Clean E150 hält er für ausreichen­d wirksam. Aus der Ionenkamme­r in ihrem Inneren kommen Viren oder Bakterien nicht wieder vermehrung­sfähig heraus.

An solchen Aussagen entzündet sich jedoch auch immer wieder ein Streit der Fachleute um die richtige Technik. Während Keune auf Geräte mit Ionenkamme­r wie den Eco Clean schwört, setzt die Bundeswehr-Universitä­t München auf Geräte mit einem Filter der Klasse H14 wie den Trotec. In deren mechanisch­en Filtern bleiben die Aerosolpar­tikel aus Wasser, Schleim und Salz hängen, in denen die Viren bevorzugt von Wirt zu Wirt reisen.

Experte Kähler nennt vor allem drei Kriterien für Filter, die sich auch für schwere Fälle wie Schulen eignen: Der Luftstrom muss stark genug sein, um den Rauminhalt sechsmal pro Stunde durch das Gerät zu schicken; das Filtermate­rial muss dem Standard H14 entspreche­n; und es muss leise genug sein, damit Unterricht auch dann möglich ist, wenn die Apparate auf hoher Stufe laufen. Ingenieur Keune gibt Institutio­nen, die sich derzeit mit der Beschaffun­g auseinande­rsetzen, noch einen weiteren Ratschlag mit: „Lieber mehr kleine Geräte kaufen als ein großes.“Das deckt einen Raum besser ab und vermeidet tote Winkel.

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FOTO: DANIEL BOCKWOLDT/DPA Lüften im Klassenzim­mer stößt bei Minustempe­raturen an seine Grenzen.

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