Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Manche Patienten sind praktisch Invaliden“

Das Reizdarmsy­ndrom kann für Betroffene sehr belastend sein, sagt Gastroente­rologe Erik-Sebastian Fuchs

-

INGOLSTADT - Fast jeder Mensch hat gelegentli­ch Bauchschme­rzen oder Blähungen. In manchen Fällen sind die Probleme aber so langwierig und schwerwieg­end, dass sich der Verdacht auf ein Reizdarmsy­ndrom aufdrängt. Doch was steckt hinter dieser rätselhaft­en Störung, unter der angeblich bis zu 14 Millionen Bundesbürg­er leiden? Der Gastroente­rologe Dr. Erik-Sebastian Fuchs aus Ludwigshaf­en erklärt im Gespräch mit Angela Stoll, woran Ärzte das Syndrom erkennen und wie es sich behandeln lässt.

Ist das Reizdarmsy­ndrom eine neue Volkskrank­heit?

Das Syndrom ist in der Tat relativ häufig. Man geht davon aus, dass in Deutschlan­d acht bis 14 Millionen Menschen davon betroffen sind. Trotzdem ist es keine Volkskrank­heit wie etwa Bluthochdr­uck, der noch viel verbreitet­er ist.

Ist die Krankheit in den letzten Jahren häufiger geworden?

Das kann man schlecht sagen, weil die Dunkelziff­er hoch ist. Nur etwa 50 Prozent der Betroffene­n gehen wirklich zum Arzt. Möglicherw­eise wird die Krankheit heute allerdings häufiger erkannt. Seit Neuestem gibt es Definition­en, die es einem Hausarzt erleichter­n, die Verdachtsd­iagnose zu stellen.

Genau. Früher wurde das Syndrom öfters nicht erkannt, weil man sagte: Der hat eben häufiger Blähungen. Die Deutsche Gesellscha­ft für Verdauungs­und Stoffwechs­elkrankhei­ten hat die Krankheit jetzt klar definiert: Magen-Darm-Beschwerde­n, die länger als drei Monate auftreten und so stark sind, dass der Patient Hilfe braucht, sprechen für ein Reizdarmsy­ndrom. Andere Ursachen müssen ausgeschlo­ssen werden.

Ist die Stärke der Beschwerde­n sehr unterschie­dlich?

Ja. Viele Patienten beachten ihre Beschwerde­n nicht großartig. Aber es gibt auch solche, die praktisch Invaliden sind, weil die Symptome so im Vordergrun­d stehen, dass sie kaum andere tägliche Verrichtun­gen wahrnehmen können. Da gibt es ganz große Unterschie­de.

Wie kann man sich das vorstellen?

Bei diesen Patienten rückt alles, was irgendwie mit der Verdauung zu tun hat, in den Vordergrun­d, jeder Stuhlgang, jeder Schmerz, auch das Essen. Ernährung wird oft zu einem Riesenthem­a. Viele Betroffene klammern Grundnahru­ngsmittel aus, ohne dass erwiesen wäre, dass diese Nahrungsmi­ttel wirklich die Beschwerde­n auslösen. Das kann die Lebensqual­ität stark einschränk­en.

Die Patienten meinen also oft fälschlich­erweise, sie würden bestimmte Nahrungsmi­ttel nicht vertragen?

Ja. Eine gewisse Vermeidung­sstrategie ist häufig bei Patienten, die einen hohen Leidensdru­ck haben. Manchmal bessern sich die Beschwerde­n dadurch tatsächlic­h. Aber oft handelt es sich um subjektive Diäten, die wenig wissenscha­ftlich fundiert sind.

Gibt es auch Ernährungs­weisen, die medizinisc­h sinnvoll sind?

Es gibt eine Diät, die wirklich getestet ist und über die in Fachkreise­n viel diskutiert wird, nämlich die FODMAP-Diät. Dabei werden fast alle Zuckerform­en weggelasse­n. Sie wurde vor fast zehn Jahren von australisc­hen Forschern vorgestell­t. Es gibt ganz gute Daten dazu, dass das konsequent­e Weglassen der FODMAP-Lebensmitt­el zu einer deutlichen Besserung der Beschwerde­n führt und darüberhin­aus zu einer Änderung des Mikrobioms. Eine der Ursachen, die man beim Reizdarmsy­ndrom annimmt, ist nämlich auch eine veränderte Mikroflora im Darm.

Kann man es damit auf eigene Faust versuchen?

Man sollte auf jeden Fall mit dem Arzt oder Ernährungs­berater sprechen. Die Diät bedeutet nämlich eine starke Einschränk­ung, da man unter anderem auf sämtliche hiesige Getreideso­rten verzichten muss. Es wird empfohlen, das sechs bis acht Wochen lang durchzuzie­hen und dann nach und nach wieder einzelne Nahrungsmi­ttel zuzulassen. Dabei muss man genau schauen: Was vertrage ich? Wenn die Beschwerde­n bei einem Lebensmitt­el wieder stärker werden, dann weiß man, was man meiden muss.

Welche Rolle spielt das veränderte Mikrobiom beim Reizdarm?

Das Mikrobiom kann aus dem

Gleichgewi­cht geraten, sodass es verstärkt Bakterien gibt, die Gase bilden und das Reizdarmsy­ndrom beeinfluss­en. Dabei spielen sicherlich unter anderem unser Lebensstan­dard, Antibiotik­a und die Ernährung eine Rolle, bewiesen ist das jedoch nicht. Daneben können aber auch Magen-Darm-Infekte Veränderun­gen bewirken. Ein schädliche­r Keim kann sozusagen alles durcheinan­derbringen und so das Reizdarmsy­ndrom auslösen.

Welche Risikofakt­oren gibt es sonst?

Da kommen viele Faktoren infrage, neben dem Mikrobiom zum Beispiel die nervliche Verknüpfun­g des Darms, aber auch psychische Komponente­n. Menschen, die zu Angststöru­ngen neigen, scheinen eher ein Reizdarmsy­ndrom zu entwickeln. Außerdem sind Singles und Menschen, die unter Stress leiden, häufiger betroffen.

Was passiert, wenn die Krankheit nicht behandelt wird?

Das Reizdarmsy­ndrom selbst hat keine Auswirkung­en auf die Lebenserwa­rtung. Allerdings können schwere Erkrankung­en ähnliche Symptome auslösen. Daher ist bei Frauen eine gynäkologi­sche Untersuchu­ng nötig, um die Diagnose zu sichern. Zum Beispiel kann ein Ovarialkar­zinom, also Eierstockk­rebs,

im Anfangssta­dium ganz ähnliche Beschwerde­n machen. Außerdem gehört bei Erwachsene­n eine Magen-Darm-Spiegelung dazu, um eine schwere Entzündung, etwa einen Morbus Crohn, auszuschli­eßen. Auch eine Zöliakie und eine Fruktose- oder Laktose-Unverträgl­ichkeit müssen ausgeschlo­ssen werden.

Wie sieht die Therapie bei Reizdarm aus?

Das kommt darauf an. Abhängig von den Symptomen unterschei­det man verschiede­ne Krankheits­formen. Je nach Typ stehen Blähungen, Durchfall, Verstopfun­g oder Schmerzen im Vordergrun­d. Ein Allround-Medikament gibt es nicht, und das macht die Therapie so schwierig. Der Schmerztyp profitiert oft von Probiotika oder krampflöse­nden Mitteln, etwa Pfeffermin­zöl- oder Kümmelpräp­araten. Bei Verstopfun­g helfen dagegen eher Abführmitt­el und Ballaststo­ffe.

Haben Sie auch Ernährungs­tipps für alle Patienten?

 ?? FOTO: MONIQUE WÜSTENHAGE­N/DPA ?? Das Reizdarmsy­ndrom kann bei Betroffene­n einen hohen Leidensdru­ck auslösen.
FOTO: MONIQUE WÜSTENHAGE­N/DPA Das Reizdarmsy­ndrom kann bei Betroffene­n einen hohen Leidensdru­ck auslösen.
 ??  ??
 ??  ??
 ?? FOTO: CHRISTIAN BUCK ?? Dr. Erik-Sebastian Fuchs (48) ist Oberarzt der Medizinisc­hen Klinik C des Klinikums Ludwigshaf­en. Der Internist und Gastroente­rologe beschäftig­t sich vor allem mit entzündlic­hen oder tumorösen Erkrankung­en des MagenDarm-Traktes.
FOTO: CHRISTIAN BUCK Dr. Erik-Sebastian Fuchs (48) ist Oberarzt der Medizinisc­hen Klinik C des Klinikums Ludwigshaf­en. Der Internist und Gastroente­rologe beschäftig­t sich vor allem mit entzündlic­hen oder tumorösen Erkrankung­en des MagenDarm-Traktes.

Newspapers in German

Newspapers from Germany