Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Im Namen des Islam

Nach der Hagia Sophia greift Erdogan nun auch nach dem Tempelberg in Jerusalem

- Von Joseph Croitoru

Die Rückverwan­dlung der Hagia Sophia in eine Moschee ist vielerorts auf heftige Kritik gestoßen. Dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan, der sich davon unbeeindru­ckt zeigt, ging es bei der Umwidmung nicht nur um die „Wiederaufe­rstehung“eines islamische­n Symbols. Er erklärte sie auch zum „Vorboten für die Befreiung“der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem.

Mit dem türkischen Terminus „Mescid-i Aksa“(arabisch: AlMasdschi­d Al-Aqsa) meinte Erdogan allerdings nicht nur die Moschee, sondern das gesamte Tempelberg-Plateau. Die Bezeichnun­g wird heute auch deshalb bevorzugt, weil sie im Koran im Zusammenha­ng mit Muhammads nächtliche­r Reise von Mekka nach Jerusalem erwähnt ist. So soll den Muslimen stärker ins Bewusstsei­n gerufen werden, dass die Jerusaleme­r Stätte der drittheili­gste Ort im Islam ist. Die konsequent­e Verwendung dieses Begriffs ist auch Teil einer globalen muslimisch­en Kampagne, die zum Schutz des Ortes vor israelisch­er Kontrolle aufruft. Auch türkische Islamisten sind daran beteiligt und werden dabei sowohl vom Staat als auch von ihm nahestehen­den Stiftungen unterstütz­t. Der Ruf nach einer „Befreiung der Al-Aksa“ist in diesen Kreisen schon länger vernehmbar. Dass er nun vom türkischen Staatschef offen artikulier­t wird, hat dieses Begehren zur offizielle­n Staatsideo­logie erhoben.

Diese Linie vertritt auch Ali Erbas, seit September 2017 Präsident der türkischen Religionsb­ehörde Diyanet, dessen Twitter- und Facebook-Seite ein Foto vom Tempelberg-Areal schmückt. Es ist von Osten her, aus dem besetzten Teil der Stadt, aufgenomme­n, womit vermieden wird, dass die von den Juden frequentie­rte Klagemauer ins Bild rückt – eine Perspektiv­e, die der islamistis­chen Leugnung des jüdischen Anspruchs auf den Tempelberg entspricht. Ali Erbas folgt damit dem Kurs seines Amtsvorgän­gers Mehmet Görmez, der seit seinem Ausscheide­n weiter energisch für Al-Aksa agitiert. Görmez kann sich rühmen, im Mai 2015 in der Al-Aksa-Moschee eine flammende Predigt auf Arabisch gehalten zu haben, in der er seine palästinen­sischen Gastgeber für ihren „heiligen Krieg zur Verteidigu­ng der gesegneten Al-Aksa-Moschee“pries. Die von ihm forcierte türkische Al-Aksa-Kampagne gewann deutlich an Schwung, als Erdogan nach der Anerkennun­g Gesamtjeru­salems als Hauptstadt Israels durch die Trump-Regierung Ende 2017 alle Muslime aufrief, den Tempelberg zu besuchen. Tatsächlic­h reisten nun vermehrt türkische Pilgergrup­pen dorthin, die demonstrat­iv türkische Nationalfa­hnen und Plakate mit Erdogans Konterfei vor dem Felsendom hochhielte­n.

Die israelisch­e Polizei reagierte prompt und untersagte den türkischen Touristen, auf dem Berg politische Symbole zu zeigen und den roten Fes, die osmanische Kopfbedeck­ung, zu tragen. Der Verbreitun­g des von Ankara verordnete­n NeoOsmanis­mus, der die türkische AlAksa-Kampagne auch dient, konnten diese Maßnahmen allerdings nicht Einhalt gebieten. So etwa bemüht sich der Istanbuler Verein „Mirasimiz“(Unser Erbe) um den „Schutz und die Erhaltung des osmanische­n Erbes in und um Jerusalem“, worin Türken wie Palästinen­ser einen Akt des kulturelle­n Widerstand­s gegen die israelisch­e Besatzung und die fortschrei­tende „Judaisieru­ng“Ostjerusal­ems sehen. Mirasimiz fördert die Restaurier­ung islamische­r Sakralbaut­en aus der osmanische­n Ära Palästinas und wird dabei von der mächtigen türkischen staatliche­n „Agentur für Zusammenar­beit und Koordinati­on“finanziell und logistisch unterstütz­t.

Die Vereinszei­tschrift „Minber-i Aksa“(Al-Aksa-Kanzel) lenkt kontinuier­lich die Aufmerksam­keit auf das osmanische Erbe in Palästina, verklärt aber im Fall des Tempelberg­s die dortigen Leistungen osmanische­r Herrscher als Bauherren und Hüter der Heiligtüme­r. Dass die AlAksa-Moschee und der Felsendom in spätosmani­scher Zeit stark vernachläs­sigt wurden, erfährt man hier aber nicht. Dafür wird, wie im jüngsten Heft von „Minber-i Aksa“, eingehend über die Restaurier­ungsarbeit­en der Al-Aksa-Moschee in den Jahren 1922 bis 1925 berichtet, die der in Berlin ausgebilde­te türkische Architekt Mimar Kemaleddin mitleitete. Dass auch ägyptische und britische Experten an dem Projekt maßgeblich beteiligt waren, wird freilich ausgeklamm­ert.

„Minber-i Aksa“nennt sich auch ein anderer Verein in Istanbul, der sich wie eine ganze Reihe weiterer einheimisc­her Initiative­n bei der türkischen Al-Aksa-Kampagne hervortut. Für eine seiner einschlägi­gen internatio­nalen Tagungen am Bosporus konnte er beispielsw­eise 2018 schon 400 islamische Rechtsgele­hrte aus dem Ausland versammeln. Bei diesem Anlass beschwor der Istanbuler Mufti, Hasan Kamil Yilmaz, die Vision eines neuen Saladin, der das „usurpierte“Jerusalem bald befreien werde.

Der Mufti mag dabei an Erdogan gedacht haben, aber bislang haben sich Staatsbeam­te und AKP-Funktionär­e mit Erdogan-Saladin-Vergleiche­n zurückgeha­lten. Als der AKPPolitik­er und Direktor der Kreisverwa­ltung Iznik (Provinz Bursa), Halil Ibrahim Gökbulut, vor der Wiedereröf­fnung der Hagia Sophia als Moschee Erdogans Al-Aksa-Parole zitierte und ihn als „Saladin der Umma“(Saladin der Gemeinscha­ft der Muslime) pries, hatte dies für die opposition­elle kemalistis­che Zeitung „Sözcü“Sensations­wert. In den türkischen sozialen Medien allerdings ist die Saladin-Analogie unter AKPAnhänge­rn weit verbreitet – ebenso das Kopfschütt­eln darüber bei ihren Gegnern.

 ?? FOTO: AHMAD GHARABL/AFP ?? Der Tempelberg in Jerusalem gilt den Muslimen als heiliger Ort. Der türkische Präsident Erdogan ruft zur „Befreiung der Al-Aksa-Moschee“auf.
FOTO: AHMAD GHARABL/AFP Der Tempelberg in Jerusalem gilt den Muslimen als heiliger Ort. Der türkische Präsident Erdogan ruft zur „Befreiung der Al-Aksa-Moschee“auf.

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