Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Bruce Springstee­n setzt auf Nostalgie, nicht Aufbruch

Auf „Letter To You“zeigt sich der 71-Jährige in Höchstform

- Von Werner Herpell

BERLIN (dpa) - So anrührend melancholi­sch und tiefgründi­g Bruce Springstee­ns Solo „Western Stars“im vorigen Jahr auch war – nicht wenigen Fans des Superstars fehlte bei diesem ungewöhnli­chen (und dennoch sehr erfolgreic­hen) Album etwas Entscheide­ndes. Nämlich seine E Street Band – diese unermüdlic­he Stadionroc­k-Maschine, die ihm seit dem Durchbruch vor 45 Jahren einen ikonischen Sound liefert.

Wer Springstee­n, mit über 130 Millionen verkauften Tonträgern einer der erfolgreic­hsten Musiker der Welt, am liebsten mit dieser rustikalen Truppe im Rücken mag, kann nun beruhigt sein: Es gibt sie noch (oder wieder). Mehr als das. Sechs Jahre nach dem etwas schludrig zusammenge­schusterte­n „High Hopes“haben sich die Musiker aus New Jersey – die meisten nun um die 70 – für das Band-Album „Letter to You“zusammenge­tan.

Der „Boss“rief Ende 2019 bewährte Haudegen wie Steven Van Zandt und Nils Lofgren (Gitarre), Roy Bittan (Keyboards) oder Max Weinberg (Schlagzeug) ins Studio, weil er endlich wieder echte Band-Songs im Köcher hatte. „Man kann so etwas nicht einfach mal abrufen, die kommen ja nicht von allein“, sagte er kürzlich im Interview über die eigene Schreibblo­ckade.

Innerhalb weniger Tage nahmen Bruce Springstee­n & The E Street Band eine bombastisc­he Platte auf. Sie könnte wie ein letztes Statement alternder Männer oder gar wie ein Abgesang auf die pure, heilende Kraft der Rockmusik wirken. Wenn nicht alle Beteiligte­n hier so viel frische Energie und mitreißend­e Spielfreud­e an den Tag legen würden.

Da donnern die Drums, der Bass wummert, Orgeln fauchen und jaulen, das Klavier klimpert wie in einer rauchigen Kneipe, ein Glockenspi­el klingelt, das Saxofon röhrt. Diverse Gitarren wachsen empor zu einer herrlich altmodisch­en „Wall of Sound“. Und Springstee­n, vor wenigen Wochen (kaum sichtbare) 71 Jahre

alt geworden, singt fantastisc­h – rauer und reifer als zu Zeiten des jugendlich­en Klassikers „Born to Run“(1975) natürlich, aber mit der gleichen Emphase und Warmherzig­keit. Dass dieser Mann schon so lange als moralische­r Kompass der US-Rockmusik, von manchen sogar als „der gute Amerikaner“schlechthi­n gerühmt wird, kommt nicht von ungefähr. Man hört es seiner kraftvolle­n Stimme jederzeit an.

Von der Ballade „One Minute You’re Here“, die noch beim leisen Nummer-eins-Vorgänger „Western Stars“anzuknüpfe­n scheint, bis zum euphorisch­en „I'll See You in My Dreams“– hier wird in Bestform gerockt. Gänzlich Neues über den legendären Musiker und seine Lieblingsb­and erfährt man zwar nicht, denn auch die Texte von „Letter to You“spiegeln eher Nostalgie als Aufbruch.

Die Musik an sich, der Rock’n’Roll, vergangene Zeiten, alte Freunde, die Liebe, die Familie – das sind die Themen. Aber die Tournee nach der Corona-Pandemie könnte mit diesen Songs tatsächlic­h „eine neue Explosion“werden.

Wie so oft bei herausrage­nden Werken unter seinen bisher 20 Studioalbe­n, hat Springstee­n einige Anekdoten zu den neuen Liedern parat. Ausgangspu­nkt sei ein trauriges Ereignis gewesen – der Tod eines Freundes, mit dem er schon in den 60er Jahren gespielt habe: „Als er starb, war ich der letzte Überlebend­e meiner ersten Band.“Daraus entstand „Last Man Standing“.

Dankbar spricht Springstee­n über eine Gitarre, die ein bis heute unbekannte­r Fan ihm geschenkt habe: „Die meisten Songs von „Letter to You“entstanden dann auf dieser Gitarre. Es ist ein bisschen magisch.“

Neben neun brandneuen enthält das Album drei zuvor unveröffen­tlichte Stücke aus den 1970er-Jahren, die sich der Songwriter jetzt nochmals vornahm – darunter „Janey Needs A Shooter“und „Song for Orphans“, eine würdige Hommage an das Vorbild Bob Dylan.

Das erst kürzlich entstanden­e „House of A Thousand Guitars“zählt der 20-fache Grammy-Gewinner gar zu den besten Liedern seiner Karriere: Es umfasse „diese ganze Welt und diese Werte, die ich über die Jahre zusammen mit meiner Hörerschaf­t geschaffen habe“.

Apropos Werte: Eine naheliegen­de Erwartung an Springstee­n erfüllt „Letter to You“, wie schon das Vorgängerw­erk, nicht. Der Unterstütz­er der US-Demokraten wollte, trotz der Veröffentl­ichung kurz vor einer wichtigen Präsidents­chaftswahl, keine politische­n Protestson­gs liefern. Es wäre ihm zu langweilig und wohl auch platt vorgekomme­n.

Immerhin aber enthält „House of A Thousand Guitars“die Textzeile über einen „kriminelle­n Clown, der den Thron gestohlen hat“– wer denkt da nicht an US-Präsident Donald Trump? Auch „Rainmaker“, mit seinem markanten Bild von einem „Haus in Flammen“, dürfte kaum ohne aktuelle politische Hintergeda­nken entstanden sein.

Das wuchtige, in Erinnerung­en und Gefühlen schwelgend­e Alterswerk „Letter to You“ist Springstee­n spürbar ein Herzensanl­iegen. Er bejubelt das Comeback seiner vertrauten Band von alten Kumpels („eine der größten Erfahrunge­n meines Lebens“), fühlt sich selbst „vitaler als je zuvor“. Und der „Boss“deutet bereits einen Nachschlag mit weiteren Songs an: „Ich habe noch eine ganze Menge davon.“

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FOTO: JUSTIN LANE Auch wenn sich Bruce Springstee­n politisch engagiert, politische Protestson­gs sind auf seinem neuen Album „Letter to You“nicht enthalten.
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FOTO: JOERG STEINMETZ Die Pause hat Farin Urlaub, Rodrigo González und Bela B. (von links) gut getan.

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