Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Corona“kam um 8.30 Uhr per Telefon

Infektion im Wohnheim für Menschen mit Behinderun­g: So geht ein Vater aus Friedrichs­hafen mit der Nachricht um

- Von Ralf Schäfer

Als Mitte Oktober bekannt wird, dass im Körperbehi­ndertenzen­trum Oberschwab­en (KBZO) Ravensburg eine Mitarbeite­rin mit Corona infiziert ist, müssen Lydia und Ralf Schäfer um ihre Tochter bangen. Wegen ihrer Behinderun­g gehört sie zur Hochrisiko­gruppe bei Coronainfe­ktionen – und auf einmal ist die Gefahr sehr nah.

Ralf Schäfer schildert, wie er mit der Situation umgeht und wie es Lea ergeht, als in ihrer Wohnung plötzlich alle Schutzausr­üstung tragen. Es ist ein persönlich­er und ebenso humorvolle­r Einblick in das Leben von Menschen mit Behinderun­g, die in der Corona-Zeit oft aus dem Blick geraten.

„Liebe Lea, es ist Freitag, 8.30 Uhr. Das Telefon klingelt und die Wohnheimle­iterin des KBZO Ravensburg informiert uns, dass eine Mitarbeite­rin der Integrativ­en Werkstätte­n Symptome von Corona zeigt. Kurze Zeit später werden eure Wohngruppe­n hermetisch abgeriegel­t.

Uns kreisen die Gedanken im Kopf. Du gehörst – wie einige deiner Mitbewohne­r – zur Hochrisiko­gruppe, weil du sehr schnell Lungenentz­ündungen bekommen kannst.

Unsere Sorgen fahren Karussell. Was, wenn du dich infizierst hast? Wenn du ins Krankenhau­s musstest, war bisher immer einer von uns dabei. Wer geht jetzt mit, wenn das nötig wird? Wer bleibt zu Hause? Morgen soll dein Testergebn­is vorliegen. Dass du uns dieses Wochenende nicht besuchen kommen kannst, ist da noch das geringste Problem. Der Fisch, den ich dir bereits gekauft habe – du liebst Fisch –, liegt jetzt im Kühlschran­k. Ich sehe dich geradezu vor mir, wie du einmal einen Zander aus dem Kühlschran­k geklaut hast und ihn im Wohnzimmer im Sessel wie ein Kuscheltie­r im Arm gehalten hast. Ich erinnere mich auch daran, wie du sonst in der Küche neben mir stehst. Wie du mir helfen willst und schon mal die Eier in die Pfanne wirfst, obwohl wir gar keine brauchen. Unsere Gedanken sind jetzt aber auch bei den Mitarbeite­rn in deiner Wohngruppe. Sie müssen jetzt mit voller Schutzausr­üstung arbeiten: Umhänge, große Masken, fast unerkennba­r. Diese Menschen gehen in diesen Tagen an ihre Grenzen und beklagen sich nicht darüber. Das Personal des KBZO hat einen Orden verdient. Pflege und soziale Zuneigung sind unter Vollschutz nur schwer möglich. Du wirst deine Betreuer vielleicht nicht einmal erkennen. Auch wenn du niemals verstehen wirst, was ich dir damit sagen will: Drück die mal. Die haben es echt verdient. Die Nacht auf Samstag war lang für uns. Wir haben vor lauter Sorgen wenig geschlafen. Das Frühstück hat nicht geschmeckt. Dein Bruder Marian fragt ständig nach, ob die Testergebn­isse von Euch schon vorliegen. Die Minuten fühlen sich wie Stunden an. Dann der Anruf: Alle Bewohner sind negativ getestet. Die Mitarbeite­r müssen noch bis Ende der Corona-Inkubation­szeit am Donnerstag in Vollschutz arbeiten, sind noch nicht getestet worden. Ich bin dennoch erleichter­t, dass es dir wohl gutgeht. Die Reittherap­ie, bei der Du in Markdorf das wohl gutmütigst­e Pferd weit und breit stets zu Höchstleis­tungen in Sachen Geschwindi­gkeit antreibst, konnten wir verschiebe­n. Jetzt hoffen wir erst mal, dass deine Betreuer keine Symptome

zeigen. Nebenbei muss ich schon wieder von Menschen lesen, die ihre Maske nicht aufsetzen wollen, die sich weigern, Abstand zu halten. Die Corona für nicht gefährlich­er halten als eine normale Grippe. Was ist das für eine Einschränk­ung, Maske und Abstand? Woher kommen denn die hohen Infektions­zahlen? Sie kommen auch daher, dass irgendwelc­he Ignoranten ihre vermeintli­che Freiheit zu verlieren glauben, wenn sie sich ein Stück Stoff vor ihr Gesicht hängen. Die Zahl der Testungen ist seit Wochen stabil, die Zahl der Infektione­n steigt enorm. Du kannst das alles nicht verstehen. Aber viele andere Menschen halten sich an die Regeln auch zu deinem Schutz. Dafür bin ich dankbar. Am Dienstag hören wir, dass du schon mal Kicheranfä­lle bekommst, wenn einer der mit Vollschutz ausgerüste­ten Betreuer um die Ecke kommt. Dir scheint es gutzugehen. Bleibt bitte alle gesund.“

Mittlerwei­le ist die Gefahr im KBZO dank der schnellen Reaktion vor Ort und des vorbildlic­hen Verhaltens aller Mitarbeite­r gebannt. Lea war am Wochenende wieder zu Besuch bei ihren Eltern in Friedrichs­hafen.

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FOTO: RALF SCHÄFER Für Lea scheinen Probleme nur Lösungen zu sein, die auf dem Kopf stehen. Man muss sie nur umdrehen. Die Gefahr einer Infektion mit Covid-19 besteht akut im KBZO nicht mehr.

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