Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ärger über Testpflich­t für Pendler ist groß

Arbeitnehm­er und Schüler in Lindau fühlen sich diskrimini­ert – FDP hält neue Verordnung für illegal

- Von Julia Baumann

LINDAU - Markus Söder bekommt gerade viel Post vom Bodensee. Berufspend­ler und Schüler aus Österreich ärgern sich darüber, dass sie in Lindau nun einmal pro Woche einen negativen Corona-Test vorlegen müssen. Sie fühlen sich diskrimini­ert. Auch von der österreich­ischen Arbeiterka­mmer hagelt es Kritik, die Lindauer FDP hält die neue Verordnung sogar für illegal – und hat Beschwerde beim europäisch­en Bürgerbeau­ftragten eingelegt. Erste Eltern überlegen bereits, gegen den Freistaat zu klagen. Am Dienstagab­end kommt dann eine Nachricht, die alles ändert.

An der Freien Schule in Lindau haben sich vergangene­n Freitag rührende Szenen abgespielt, wie Schulleite­r Lars Schwend erzählt. „Wir haben unseren Schülern aus Österreich gesagt, sie sollen all ihre Schulsache­n mitnehmen, falls sie am Montag nicht mehr kommen können.“Viele Schüler hätten sich daraufhin auf unbestimmt­e Zeit voneinande­r verabschie­det, leichtgefa­llen sei ihnen das nicht.

Tatsächlic­h sind am Montag und Dienstag die allermeist­en der 45 Schüler aus Österreich zu Hause geblieben, die Freie Schule bietet für sie wieder Homeschool­ing an. Zum Präsenzunt­erricht dürfen sie laut bayerische­r Quarantäne­verordnung nur kommen, wenn sie sich einmal pro Woche auf das Coronaviru­s testen lassen. Markus Söder hatte die neue Regelung vergangene

ANZEIGEN Woche verkündet, sie gilt seit Freitag. Wer regelmäßig mindestens einmal pro Woche von einem ausländisc­hen Corona-Risikogebi­et nach Bayern einreist, muss den Behörden vor Ort unaufgefor­dert binnen sieben Tagen und anschließe­nd regelmäßig einmal pro Woche einen negativen Corona-Test vorlegen. Die Vorgabe gilt für Schüler ebenso wie für Berufspend­ler.

Lars Schwend ärgert sich darüber sehr. „Nach EU-Recht sind alle Menschen gleich, dann müsste das auch für diejenigen gelten, die aus einem Risikogebi­et innerhalb Deutschlan­ds kommen“, sagt er. Für ihn ist das Diskrimini­erung. „Wir sprechen hier von gesunden Menschen, die nur woanders wohnen.“

Und es sei auch eine Diskrimini­erung derjenigen Familien, die sich die wöchentlic­hen Tests schlicht nicht leisten können. Denn während sich bislang zwar Lehrer und Erzieher kostenlos im Lindauer Testzentru­m testen lassen konnten, mussten sich Schüler und andere Berufstäti­ge in Österreich testen lassen, wie Sibylle Ehreiser, Sprecherin des Lindauer Landratsam­ts, am Montag auf Anfrage der SZ schreibt.

Die bayerische Quarantäne­verordnung verlangt die Vorlage eines molekularb­iologische­n Tests. Ein solcher PCR-Test kostet in Vorarlberg rund 45 Euro. „Bei einer Familie mit zwei Kindern sind das pro Woche 90 Euro“, rechnet Lars Schwend. Im Monat würde eine solche Familie 360 Euro nur für Tests bezahlen. Er wisse außerdem von Eltern, die für ihre Tochter in Österreich einen Termin für einen PCRTest vereinbare­n wollten. „Der nächste Termin dafür wäre am 30. Oktober gewesen, auf das Ergebnis hätten sie vier bis fünf Tage warten müssen“, erzählt er. Einmal pro Woche an ein Testergebn­is zu kommen, das könne zeitlich schwierig werden.

Auch Elke Yilmaz ärgert sich. Die 60-Jährige lebt in Bregenz und pendelt täglich zur Arbeit nach Lindau. Die neue Verordnung kann sie nicht nachvollzi­ehen. Wie die meisten anderen Pendler auch, fahre sie morgens zur Arbeit und abends wieder zurück nach Österreich. „Ich gehe nach der Arbeit heim und habe keinen Fremdkonta­kt“, sagt sie. Auch am Wochenende sei sie keiner größeren Ansteckung­sgefahr ausgesetzt, zumal es in Österreich ebenfalls Einschränk­ungen und Hygienebes­timmungen gebe. Als „Witz“bezeichnet sie die Tatsache, dass auf der anderen Seite „halb Lindau zum Tanken, Einkaufen und für Freizeitak­tivitäten ins Ländle marschiert“.

Tatsächlic­h dürfen Bayern ohne Probleme so oft sie wollen nach Österreich reisen, so lange sie sich dort weniger als 48 Stunden aufhalten und keine Freizeit-, Sport- oder Kulturvera­nstaltunge­n besuchen. Bis vergangene Woche war auch die Einreise für Berufspend­ler aus Österreich nach Lindau kein Problem.

Elke Yilmaz findet es ungerecht, dass österreich­ische Pendler, die in Baden-Württember­g arbeiten, keinen wöchentlic­hen Test brauchen. Das Bundesland hat die Einreisebe­dingungen für Ausländer aus Risikogebi­eten sogar jüngst gelockert: Wer nicht länger als 24 Stunden bleibt, darf kommen – komplett ohne Einschränk­ungen.

Der Lindauer FDP geht die neue Regelung „gegen den Strich“, wie sie in einer Pressemitt­eilung schreibt. Manuel Grotz, Vorsitzend­er des Kreisverba­nds, hat darum eine Beschwerde beim Europäisch­en Bürgerbeau­ftragten eingelegt. „Es ist aus unserer Sicht notwendig, dass sich die EU-Institutio­nen mit dieser aus unserer Sicht illegalen Regelung auseinande­rsetzen.“, schreibt Grotz. „Diese Regelung entspricht nicht den EU- Regeln, sie diskrimini­ert die Berufspend­ler aus dem EU-Ausland.“

Es sei richtig und wichtig, Regelungen zum Schutz der Bevölkerun­g zu schaffen. Dies müsse aber EU-weit und einheitlic­h passieren. Der FDPKreisve­rband fordert die bayrische Staatsregi­erung und Ministerpr­äsident Markus Söder auf, diese Regelung umgehend rückgängig zu machen.

Kritik hagelte es auch aus Österreich. „Die Situation ist chaotisch“, zitierte der ORF bereits am Freitagabe­nd Erwin Zangerl, Präsident der Arbeiterka­mmer Tirol. „Vor dem Wochenende wird eine derartige Verordnung durchgepei­tscht, ohne sich Gedanken zu machen, was das für die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er, aber auch für die deutschen Arbeitgebe­r bedeutet, wie das funktionie­ren oder wer das bezahlen soll.“

Zangerl forderte, dass sich Berufspend­ler in Bayern gratis testen lassen können. „Die Tests sollen von der bayerische­n Staatskass­e getragen werden, zumal die Wertschöpf­ung auch in Bayern bleibt und der dortigen Wirtschaft zugutekomm­t.“

Lars Schwend hat von vielen Eltern E-Mails weitergele­itet bekommen, die sich an Lindauer Abgeordnet­e oder direkt an Ministerpr­äsident Markus Söder wenden. Von österreich­ischen, aber auch von deutschen, die sich mit ihnen solidarisi­eren. Er hofft, dass sich die Situation bald klärt. „Ich weiß aber auch, dass es Eltern gibt, die das juristisch prüfen lassen und überlegen, Klage einzureich­en.“

Am Dienstagab­end dann die überrasche­nde Nachricht aus dem Lindauer Landratsam­t: Es gibt Entwarnung, zumindest was die Kosten angeht. „Nun ist geklärt, dass eine Umsetzung im Rahmen des bayerische­n Testangebo­ts über die Teststatio­nen vor Ort erfolgen kann“, schreibt Sibylle Ehreiser auf Anfrage der SZ. Sprich: Alle österreich­ischen Pendler sollen sich künftig im Lindauer Testzentru­m testen lassen können. „Voraussetz­ung hierfür sind allerdings entspreche­nde Testund Laborkapaz­itäten“, erklärt Ehreiser weiter.

Landrat Elmar Stegmann habe die Staatsregi­erung bereits am Wochenende darüber informiert, dass bei steigendem Testgesche­hen die Kapazitäts­grenze des Lindauer Testzentru­ms bald erreicht sei. „Schätzunge­n gehen von etwa 1000 bis 1500 zusätzlich­en Testungen pro Woche für Grenzpendl­er aus Vorarlberg aus und hierfür stehen momentan für den Landkreis Lindau keine ausreichen­den Laborkapaz­itäten zur Verfügung.“Das Landratsam­t arbeite mit Hochdruck an einer Lösung und werde bis dahin auf die Vorlage von Testergebn­issen durch Grenzpendl­er verzichten.

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FOTO: DPA Wer von Österreich nach Bayern pendelt, soll sich jetzt einmal pro Woche testen lassen. Das stößt in Lindau auf Unverständ­nis und Widerstand.
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