Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Alltag macht Kopfstand: Wie Menschen mit Behinderung die Krise erleben
Gabriele Hößler verlässt ihre Wohngruppe im Körperbehindertenzentrum Oberschwaben in Ravensburg derzeit kaum – Was ihr größter Wunsch ist
RAVENSBURG - Wer blind ist, kann nur schwer anderthalb Meter Abstand halten. Wer eine geistige Behinderung hat, kann teils schwer verstehen, warum plötzlich Maskenpflicht und Kontaktverbote gelten. Und wer in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeitet oder betreut wird, kann nicht einfach ins Homeoffice. Die Corona-Krise hat den Alltag vieler Menschen mit Behinderung auf den Kopf gestellt. So auch den von Gabriele Hößler, die auf der Burachhöhe in einer Wohngruppe des Körperbehindertenzentrums Oberschwaben (KBZO), lebt. Die 34-Jährige geht normalerweise in die Integrationswerkstätten Oberschwaben (IWO). Im Moment geht das aber nicht, weil sich Wohngruppen nicht durchmischen dürfen und es in der IWO zu wenig Räume gibt. Im Interview mit Volontärin Birga Woytowicz erklärt Hößler, wie sie die Krise erlebt.
Frau Hößler, wie gut können Sie mit der aktuellen Lage umgehen?
Die ganze Situation, dass wir nicht arbeiten gehen dürfen, ist für mich relativ schwer zu akzeptieren, weil ich bin eine die etwas tun will und tun kann. Aber wir sitzen schon seit Ende März hier in der Wohngruppe. Ab und zu haben wir zwar Arbeit von der IWO. Aber das ist nicht das, was es die IWO sonst ist. Die Regeln müssen sein, damit man das alles wieder in den Griff kriegt. Aber es ist schwer, zu akzeptieren. Ich kann schon gar keine Nachrichten mehr sehen.
Was machen Sie normalerweise in der IWO?
Je nachdem, was für Arbeit da ist. Durch meine Behinderung kann ich nur mit einer Hand arbeiten. Das ist nicht so einfach. Wenn Arbeit da ist, verpacke ich Schrauben oder wiege Schrauben ab. Kognitiv bin ich relativ fit, aber leider körperlich relativ eingeschränkt. Meine Behinderung nennt sich Tetraspastik. Das bedeutet, dass alle vier Extremitäten betroffen sind. Ich brauche in jeder Situation Hilfe. Ich kann zum Beispiel nicht selber essen oder zur Toilette gehen.
Gerade können Sie nicht arbeiten gehen. Wie beschäftigen Sie sich stattdessen?
Ich male sehr gerne oder löse Rätsel.
Zum Glück kann ich auch wieder meine Therapien wahrnehmen. Am Anfang von Corona war das nicht möglich. Ich hab eigentlich gerne etwas zu tun. Aber die Zeit, in der meine Therapeuten nicht kommen konnten, war schwer für mich. Das waren fast vier Monate. Für mich war das eine schwere Zeit.
Wie sehr drückt die Krise auf die Stimmung in Ihrer Wohngruppe?
Man merkt, dass die Mitbewohner leichter gereizt und angespannt sind, weil nichts mehr so ist wie vor Corona. Sie schreien rum, sie nerven sich gegenseitig oder ziehen sich zurück, weil es ihnen alles zu viel ist im Moment.
Wie viel Besuch bekommen Sie?
Meine Verwandten können kommen, ich kann mich auch abholen lassen. Aber zu oft mache ich das natürlich nicht. Nicht, dass ich hier etwas mit reinschleppe und die anderen anstecke. Das würde ich mir nie verzeihen.
Wie sehr fühlen Sie sich von der Politik berücksichtigt?
Ich finde es schade, dass wir Menschen mit Behinderung oft nicht so berücksichtigt werden, wie es eigentlich nötig wäre. Mir würde es schon reichen, wenn es hieße, wir dürften Anfang des kommenden Jahres wieder arbeiten gehen.
Was machen Sie als Erstes, wenn alles mal überstanden ist?
Als allererstes habe ich vor mit einer guten Freundin von mir wieder in die Stadt zu gehen und einen Kaffee zu trinken und einfach nur zu quatschen. Das ist eine gute Freundin, die ich seit Mitte/Ende März nicht mehr gesehen hab.