Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kretschmann appelliert an Zusammenhalt
Landesregierung verteidigt Corona-Maßnahmen – Neuinfektionen auf Höchststand
STUTTGART/BERLIN - Der badenwürttembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wirbt um Verständnis für die drastischen Corona-Auflagen, die vom kommenden Montag an für weite Teile des öffentlichen Lebens gelten. Die bisherigen Maßnahmen reichten nicht aus, um die Pandemie einzudämmen, warnte der Regierungschef in einer Sondersitzung des Landtags in Stuttgart. „Schnelligkeit ist jetzt das Entscheidende“, sagte er. Es komme auf jeden Tag an. „Zusammenhalt ist der größte Trumpf im Kampf gegen das Virus“, sagte Kretschmann. Auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) appellierte im Bayerischen Landtag an die Vernunft der Menschen: „Ich will nicht, dass wir an dieser Bewährungsprobe scheitern“, sagte Söder. „Jedes Leben ist gleich viel Wert und verdient es, von uns gerettet zu werden.“In den Landesparlamenten kritisierte die Opposition die Maßnahmen teilweise scharf. AfD-Fraktionschef Ingo Hahn warf Söder vor, das ganze Land „in Geiselhaft“zu nehmen. „Corona ist keine Rechtfertigung für all das, was Sie uns antun.“In Stuttgart forderte die FDP die grün-schwarze Landesregierung auf, die jüngsten Beschlüsse nicht umzusetzen. Die Bund-Länder-Runde habe keine unmittelbar demokratische Legitimation. Juristen rechnen auf jeden Fall mit einer Klagewelle gegen Schließungen. Der Staatsrechtler Ulrich
Battis sagte: „Ich gehe fest davon aus, dass es eine hohe Anzahl an Klagen geben wird“, und dass viele wie bisher in einstweiligen Verfahren damit durchkommen würden. Dass der gesamte Lockdown von Gerichten gekippt werde, erwartet Battis aber nicht.
An Vehemenz gewinnt auch die Debatte um die Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen. So hält Katharina Schüller, Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft, die Schließung von Gastronomie und Kultureinrichtungen für voreilig. Der „Schwäbischen Zeitung“sagte sie: „Wir hatten sechs Monate Zeit, vernünftige Daten über die Ansteckungswege zu erheben. Der richtige Weg ist jetzt nicht, Maßnahmen zu beschließen, von denen wir nur eine unbelastbare Ahnung haben, ob sie wirken.“
Die Infektionszahlen steigen unterdessen weiter in die Höhe. Mit 19 046 gemeldeten neuen Fällen binnen eines Tages gaben die Behörden einen Rekordwert bekannt. Die Zahl der Corona-Toten wird nach Ansicht von Forschern des Max-Planck-Institutes für Dynamik und Selbstorganisation in nächster Zeit ebenfalls deutlich zunehmen. Seit Ende September würden sich auch wieder vermehrt Menschen über 60 mit dem Sars-CoV-2-Virus anstecken. Bundespräsident Steinmeier mahnte angesichts steigender Infektionszahlen: „Wir sind jetzt in einer Situation, in der Handeln notwendig ist. Und Handeln heißt, den Trend wieder zu brechen.“