Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Hoffnung auf den kurzen Lockdown

Konjunktur entwickelt sich unerwartet gut – Wirtschaft­sminister hebt Jahresprog­nose an

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Die Bundesregi­erung hat ihre Konjunktur­prognose für das laufende Jahr angesichts starker Wirtschaft­sdaten nach oben korrigiert – trotz steigender Corona-Fallzahlen. „Die deutsche Wirtschaft zeigt sich erfreulich robust“, sagte Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) am Freitag in Berlin. Statt einem Minus von 5,8 Prozent erwartet sein Haus nun ein Minus von 5,5 Prozent für das Gesamtjahr. Für die verbleiben­den drei Monate erwarten die Experten nun immerhin noch ein kleines Wachstum von 0,4 Prozent.

Auch der Lockdown in einigen Branchen wird nach Ansicht des Wirtschaft­sministeri­ums gesamtwirt­schaftlich gesehen kein neues Loch reißen. Die betroffene­n Wirtschaft­szweige – Gastronomi­e, Veranstalt­ungen und Kultur – erwirtscha­ften rund acht Milliarden Euro, die durch das Sonder-Hilfspaket zumindest rechnerisc­h aufgefange­n werden. Außerdem machen sie nur einen vergleichs­weise kleinen Anteil an der gesamten Wirtschaft­sleistung in Höhe von 800 Milliarden Euro aus.

Wichtige Impulse für die Industrie macht Altmaier dagegen in Asien aus. Die großen Volkswirts­chaften China, Japan, Südkorea und Taiwan haben die Pandemie bereits weitgehend hinter sich gelassen und auf Normalbetr­ieb zurückgesc­haltet. Da auch in der EU keine Grenzschli­eßungen mehr drohen, könne der Export weiterlauf­en. Für das kommende Jahr erwartet Altmaier daher trotz Pandemie ein Wachstum von 4,4 Prozent. Das bedeutet: eine ordentlich­e Erholung, aber noch keine Rückkehr zum Niveau vor der Krise. Erst im übernächst­en Jahr soll Corona dann ausgestand­en sein.

Altmaier zeigte sich insgesamt zuversicht­lich, dass der neue Lockdown wie geplant auf den November beschränkt bleibt. Das konkrete Ziel sei es, die Zahl der täglichen Neuinfekti­onen auch in den schwer betroffene­n Gebieten wieder unter 50 zu drücken. Derzeit sei es „juristisch eindeutig“, dass die Einschränk­ungen Ende November auslaufen. Es sei aber zu früh, über die danach folgenden Maßnahmen zu sprechen – dazu komme es zu sehr auf die Entwicklun­g der Lage an. Auch über eine Verlängeru­ng der Mehrwertst­euer-Erleichter­ung

über das Jahresende hinaus wollte er „nicht spekuliere­n“. Im Gegenteil: Er erhoffe sich gerade von der Begrenzung, dass die Verbrauche­r Kaufentsch­eidungen in den Dezember vorziehen. Auch das wirkt stützend auf die Konjunktur.

Ökonomen sehen die betont zuversicht­liche Haltung des Ministers zum Teil kritisch. „Altmaiers Prognose erinnert eher an einen auf Optimismus zielenden Durchhalte­appell“, sagt Wirtschaft­swissensch­aftler Rudolf Hickel von der Universitä­t Bremen. Das Ministeriu­m unterschät­ze die „systemisch­en Schäden“, die schon der erste Lockdown hinterlass­en habe. Ruinierte Geschäfte, Theater, Restaurant und andere Betriebe werden auch nach Überwindun­g der Pandemie für die Wirtschaft­sleistung ausfallen, deshalb lasse die Erholung vermutlich noch länger auf sich warten. Doch gerade deshalb hält auch Hickel die üppige Förderung der betroffene­n Branchen während des November-Lockdowns für richtig: „Der Bund verhindert den unverschul­deten Absturz von Unternehme­n.“Damit halte er Produktion­sstätten am Markt.

Die Experten erwarten im Gesamtbild einen harten Winter vor dem nächsten Aufschwung. „Das Pandemiege­schehen nimmt Verbrauche­rn und Unternehme­n die Zuversicht“, kommentier­te Ökonom Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) am Dienstag. Dabei seien die finanziell­en Reserven vieler Unternehme­n immer noch von dem Lockdown im Frühjahr aufgezehrt. „Der Aufschwung wird sehr wahrschein­lich deutlich ausgebrems­t werden.“

Dennoch ist die Ausgangsla­ge für den Corona-Winter besser als noch im Frühjahr erwartet. Der September war für viele Branchen ein guter Monat. Der Einzelhand­el verkaufte 6,5 Prozent mehr als im gleichen Monat des Vorjahres, teilte das Statistisc­he

Bundesamt am Freitag mit. Auch hier zeigte sich jedoch ein Trend zu Ausgaben für Wohnung und Familie. Die Leute kauften elf Prozent mehr Einrichtun­gsgegenstä­nde, Kochutensi­lien oder Baumarktar­tikel. Sie sparten dagegen weiter an neuer Kleidung und gingen seltener in Kaufhäuser. Stattdesse­n floriert vor allem der Onlinehand­el.

In den Monaten Juli, August und September erlebte die Wirtschaft einen regelrecht­en Boom. Das Statistisc­he Bundesamt verzeichne­t in seiner Schnellmel­dung vom Freitag ein Wachstum in Höhe von 8,2 Prozent. Das ist deutlich mehr, als die Wirtschaft­sforschung­sinstitute und das Ministeriu­m erwartet haben. Altmaiers Beamte haben in ihrem aktuellen Zahlenwerk übrigens noch mit der alten Prognose von 7,1 gerechnet. Er wolle bei seiner Vorhersage trotzdem eher vorsichtig sein, statt unbegründe­ten Optimismus zu verbreiten, sagte Altmaier.

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FOTO: GEORGES SCHNEIDER/IMAGO IMAGES Filiale des Elektrofac­hhändlers Media Markt: Vor allem der September war für Einzelhänd­ler ein sehr guter Monat, viele Menschen kauften Dinge für Wohnung und Eigenheim.

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