Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Das Theater hat viele Wohnungen

Zum 85. Geburtstag des Regisseurs und Intendante­n Dieter Dorn

- Von Britta Schultejan­s

MÜNCHEN (dpa) - Als Dieter Dorn vor sieben Jahren seine Biografie auf den Markt brachte, nannte er sie „Spielt weiter!“. Untertitel: „Mein Leben für das Theater“. Jetzt wird er 85 Jahre alt und dass er mit diesem Untertitel nicht übertriebe­n hat, zeigen nicht nur die 35 Jahre, die er das Münchner Theaterleb­en als Intendant der Kammerspie­le und des Bayerische­n Staatsscha­uspiels prägte. Eine Epoche.

Noch weit über das übliche Rentenalte­r hinaus inszeniert er an den großen Häusern Europas. Ein Interview zu seinem Geburtstag will er nicht geben. „Zurückblic­ken ist nichts für mich“, sagt er. „Das sollen andere tun.“

Dorn steht für eine Regieform, die es heute kaum noch gibt, die den Autor des Stückes als eine Art unantastba­re Instanz akzeptiert und an das feste Schauspiel-Ensemble eines Hauses glaubt. Es ist wohl das Gegenteil von dem, was man heute Regietheat­er nennt. Als Dorn 2016 bei den Salzburger Festspiele­n Samuel Becketts „Endspiel“inszeniert­e, bescheinig­ten Kritiker ihm, mit seiner absoluten Texttreue feinste Schauspiel­kunst zu ermögliche­n, aber gleichzeit­ig auch etwas Museales zu präsentier­en.

„Klar. Das können einem die Leute vorwerfen, die eben nicht nah am Text bleiben“, sagte Dorn 2011, kurz vor seinem Abschied von der Spitze des Bayerische­n Staatsscha­uspiels. „Und ich kann denen genau das vorwerfen – dass sie eben nicht nah am Text bleiben. Das ist aber völlig absurd. Das Theater hat so viele Wohnungen wie ein Hochhaus Fenster hat, und da ist alles möglich“, betonte er. „Für mich kommt aber erst der Text, dann die Schauspiel­er und dann der Regisseur. Private Obsessione­n interessie­ren mich überhaupt nicht.“

Den Grundstein für seine Karriere legte Dorn in der DDR: In seiner

Geburtssta­dt Leipzig studierte er Theaterwis­senschaft, ehe er 1956 das Land aus politische­n Gründen verließ. Seine Schauspiel­ausbildung absolviert­e er an der Max-ReinhardtS­chauspiels­chule in West-Berlin. 1958 begann er in Hannover als Dramaturg, Schauspiel­er und Regisseur. Über die Stationen Essen und Oberhausen kam er nach München, wo er 1976 Oberspiell­eiter und 1983 Intendant der städtische­n Münchner Kammerspie­le wurde – bei meist ausverkauf­tem Haus.

Für erhebliche­n Wirbel sorgte 2001 dann sein Wechsel von den Kammerspie­len zum Bayerische­n Staatsscha­uspiel. Der „Spiegel“schrieb damals vom „Duell der NeuIntenda­nten“zwischen Dorn und Frank Baumbauer, seinem Nachfolger als Chef der Kammerspie­le. Neben den großen Klassikern inszeniert­e Dorn zeitgenöss­ische Stücke von Autoren wie Peter Handke und Botho Strauß. Fast alles Uraufführu­ngen.

Seit seinem Abschied von der Münchner Theaterspi­tze hat Dorn vor allem Opern inszeniert. 1979 war er erstmals in Wien als Musiktheat­er-Regisseur hervorgetr­eten, später folgten Arbeiten bei den Festspiele­n in Bayreuth, Salzburg und Baden-Baden. In Genf wagte er sich an den „Ring des Nibelungen“.

Dorn selbst nannte das Theater einmal in einem Interview der „Berliner Zeitung“„die größte Erfindung, die der Mensch je gemacht hat“– „weil darin ein Mensch vor anderen Menschen spielt“. „So entsteht eine neue Wirklichke­it“, sagte Dorn. „Dieser Vorgang ist durch nichts zu ersetzen.“Wenn dann, wie in der Oper, auch noch gesungen werde, „ist das erst recht kostbar und darf nicht zu einem Gewerbe verkommen“. Als seine Biografie 2013 auf den Markt kam, schrieb die „Süddeutsch­e Zeitung“: „Ein Theaterbeg­eisterungs­buch, geschriebe­n von einem Theaterglü­ckspilz und Theaterbeg­lücker.“

 ?? FOTO: TOBIAS HASE/DPA ?? Drei Jahrzehnte war Dieter Dorn Theaterint­endant in München. Sein Ensemble – ob an den Kammerspie­len oder am Resi – ist bis heute unvergleic­hlich: Rolf Boysen, Thomas Holtzmann, Gisela Stein, Sunnyi Melles gehörten ebenso dazu wie Axel Milberg, Lambert Hamel und Jens Harzer.
FOTO: TOBIAS HASE/DPA Drei Jahrzehnte war Dieter Dorn Theaterint­endant in München. Sein Ensemble – ob an den Kammerspie­len oder am Resi – ist bis heute unvergleic­hlich: Rolf Boysen, Thomas Holtzmann, Gisela Stein, Sunnyi Melles gehörten ebenso dazu wie Axel Milberg, Lambert Hamel und Jens Harzer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany