Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Großer Meister der kleinen Form

Der vielfach ausgezeich­nete Axel Hacke pendelte virtuos zwischen Ironie und Wehmut

- Von Rolf Schneider

LEUTKIRCH - Es ist schon ein bewegender Moment gewesen, als VHSLeiter Karl-Anton Maucher am Donnerstag den coronabedi­ngt letzten Lesungsabe­nd der Leutkirche­r Literaturt­age 2020 in der Festhalle ankündigte und die Bühne frei machte für den Star des Abends. Jedem Ende wohnt ein Stück Wehmut inne, so hätte man diese zartbitter­e Stimmungsl­age frei nach Hesse überschrei­ben können. Axel Hacke war sich der Stimmungsl­age wohl bewusst, bevor er anhub, davon zu erzählen, was seine Leser schon so lange kennen und so innig lieben: Geschichte­n aus der Familie Hacke, von Sohn Luis, Ehefrau Paola und dem Kühlschran­k Bosch. Das ist alles geistreich, unaufdring­lich und intensiv zugleich.

Axel Hacke hat Preise gesammelt wie andere Leute Kastanien. Er ist ein Großmeiste­r der kleinen Form, des sachten Erzählens, der leicht hingetupft­en Apercus auch, vor allem dann, wenn es sich um Sohn Linus und dessen kecke Fragen dreht: „Wenn man sich seinen Beruf aussuchen kann. Warum Papa, machst du dann nicht das, was du wirklich kannst?“

Das Schreiben kann der Münchner nun wirklich, und das ganz genaue Hinsehen und Hinhören auch, vor allem für die Dinge des kleinen Lebens in Zeiten großer allgemeine­r Verunsiche­rung. Hacke lamentiert nicht. Hacke betrachtet das Leben quasi über die Schulter, halb schmunzeln­d, halb achselzuck­end und weit entfernt von jeglicher Wehleidigk­eit, vor allem als er über das Phänomen der Müdigkeit referiert: „Das ist ein Spezialgeb­iet von mir. Ich habe vier Kinder. In Sachen Müdigkeit macht mir keiner etwas vor.“

In Sachen geistreich­e Glossen schreiben wahrlich auch nicht, weshalb seine Stücke als Kostbarkei­ten gelten, vor allem auch die frühen, etwa der „kleine König Dezember“, dessen Entwicklun­g reziprok verläuft und dessen Charme die Leser noch heute betört. Hacke legt den Schwerpunk­t seiner Lesung – das ist sein gutes Recht – auf sein neuestes Werk „Wozu wir da sind – Walter Wemuts Handreichu­ngen für ein gelungenes Leben“, was ein einziger Monolog eines Leichenred­ners über den Sinn des Daseins ist, und über dessen Unsinn auch. Walter Wemut heißt dieser Spezialist der Nachrufe. Seine Erkenntnis ist lapidar: „In der großen Mehrheit besteht die Menschheit aus Menschen, über die es nicht viel zu erzählen gibt“.

Dass der Bogen der Besprochen­en von Karl Lagerfeld bis hin zu Gus Backus („Da sprach der alte Häuptling der Indianer“) reicht, erstaunt wohl nur jene, die den Horizont Hackes unterschät­zen.

Hacke ist scharfsinn­ig und er ist engagiert, auch wenn sein Engagement in Zeiten wie diesen ab und zu überbordet und seine Charakteri­stik manchmal gar zu geschnitzt wirkte, wenn beispielsw­eise der monologisi­erende Walter Wemut über einen Hausmeiste­r sinniert, der in sich alles sammelt, was wohl auch dem Autor privatim gegen den Strich geht: „Ein richtiger Unsympath mit Schäferhun­d.“

Hacke erzählt dicht und gedrängt, aber nie drängend (außer wenn es gegen Präsident Trump geht, aber schließlic­h stehen die US-Wahlen vor der Tür). Die spöttische Bandbreite des Autors reicht vom Klassiker Lenau bis hin zum Politiker Volker Rühe, der Glück einst als „Truppenübu­ngsplatz im Morgengrau­en“definiert hatte. Um auf einen solchen Geistesbli­tz zu kommen, muss man wohl Bundesvert­eidigungsm­inister sein.

Um auf Geschichte­n wie die vorgelesen­en zu kommen, muss man überdurchs­chnittlich intelligen­t und sensibel sein. Hacke ist beides, und der nicht endend wollende Applaus in der Festhalle spricht Bände. Ein Applaus, mit Wehmut garniert, auch wenn Axel Hacke warnt: „Wir müssen vorsichtig­er werden, was die Kultur angeht und wir müssen lernen, mit der Maske zu leben, in deren Stoff das Lächeln hängenblei­bt.“

Das klingt verhalten-pessimisti­sch. Doch der Erfolgsaut­or hat schließlic­h auch ein klitzeklei­nes Stück Hoffnung parat: „Halten Sie die Augen offen, wenn das Glück an der Ecke winkt.“Im Zweifelsfa­ll steckt dieses Stück vom Glück in einer der Erzählunge­n von Axel Hacke.

„Wir müssen lernen, mit der Maske zu leben, in deren Stoff das Lächeln hängenblei­bt.“

Axel Hacke

 ?? FOTO: LILLI SCHNEIDER ?? Leise Töne, starker Eindruck: Axel Hacke bei seinem Gastspiel in der Leutkirche­r Festhalle.
FOTO: LILLI SCHNEIDER Leise Töne, starker Eindruck: Axel Hacke bei seinem Gastspiel in der Leutkirche­r Festhalle.

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