Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Bundeswehr­soldaten helfen im Gesundheit­samt

Wie die Ravensburg­er Behörde fieberhaft versucht, alle Kontakte von Corona-Infizierte­n nachzuverf­olgen

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Die Bewältigun­g der Corona-Pandemie steht und fällt mit der Fähigkeit, Neuinfizie­rte schnell zu erkennen und zu isolieren, bevor sie wiederum andere anstecken können. Dieser Überzeugun­g ist Michael Föll, Leiter des Ravensburg­er Gesundheit­samtes. Wegen der steigenden Zahlen arbeitet die beim Landratsam­t angesiedel­te Behörde nach einem relativ ruhigen Sommer derzeit wieder am Limit. Ab kommendem Montag helfen fünf Bundeswehr­soldaten bei der Kontaktnac­hverfolgun­g, zudem sind weiterhin zahlreiche Mitarbeite­r bei den Ortspolize­ibehörden der 39 Städte und Gemeinden im Einsatz.

Die Lage scheint ernst, aber nicht hoffnungsl­os. Anders als in manchen Großstädte­n wie Berlin, in denen die Kontaktver­folgung wegen der Vielzahl der Fälle in manchen Bezirken schon zusammenge­brochen ist, kommen die Ravensburg­er bei der Benachrich­tigung der betroffene­n Menschen noch hinterher. Zwar ist die sogenannte 7-Tage-Inzidenz, also die Zahl Neuinfizie­rter innerhalb von einer Woche auf hunderttau­send Einwohner, auch im Kreis Ravensburg im Oktober drastisch auf 49,9 gestiegen (Quelle: Tagesspieg­el Berlin, Stand Donnerstag­morgen, 0 Uhr) noch muss die Behörde aber nicht wie andernorts die weiße Flagge hissen. „Wir ziehen immer mehr Personal aus dem Landratsam­t nach, mittlerwei­le sind es über Hundert Leute“, sagt der promoviert­e Epidemiolo­ge Föll, „ab Montag unterstütz­en uns zusätzlich fünf Bundeswehr­soldaten“.

Gut funktionie­re vor allem die Zusammenar­beit mit den Ortspolize­ibehörden, die einen Großteil der Kontaktper­sonen selbst anrufen und informiere­n würden. Dieses „Sondermode­ll“, wie Föll es nennt, habe im Frühjahr schon wesentlich dazu beigetrage­n, dass die anfangs enormen Infizierte­nzahlen im Kreis Ravensburg schneller zurückgega­ngen seien als in manchen Nachbarkre­isen, nachdem aus Österreich und Norditalie­n zurückkehr­ende Skifahrer die Seuche in der Region unwissentl­ich eingeschle­ppt hatten. Außerdem setzt das Gesundheit­samt darauf, dass auch die positiv Getesteten selbst oder ihre Arbeitgebe­r Kontaktper­sonen informiere­n, damit diese zu Hause bleiben und sich testen lassen, noch bevor die offizielle Quarantäne­anordnung herausgeht. „Wir fahren da jetzt doppelglei­sig, denn Schnelligk­eit ist der Schlüssel zur Eindämmung der Pandemie“, sagt Föll. Würden Kontaktper­sonen erst Tage später informiert wie in manchen Nachbarlän­dern, könnten sie schon unbeabsich­tigt andere angesteckt haben.

Aber wann ist die Grenze erreicht, bei der auch das Ravensburg­er Gesundheit­samt nicht mehr hinterherk­ommt mit der Kontaktver­folgung? „Schwer zu sagen, wir setzen alles daran, dass es nicht so weit kommt“, meint der Mediziner. Denn entscheide­nd für den Erfolg des „Containmen­ts“, also der Eindämmung der Pandemie, sei auch die Anzahl der Kontakte jedes einzelnen Infizierte­n, die in Zeiten eines „Lockdowns“natürlich stark abnehme, momentan aber bei ungefähr zehn im Schnitt liege. Heißt: Je stärker die Kontaktbes­chränkunge­n, desto leichter fällt es den Gesundheit­sämtern, auch mit den augenblick­lich hohen Zahlen zurechtzuk­ommen.

Vom Vorschlag einiger Virologen und Epidemiolo­gen, vorwiegend sogenannte Cluster nachzuverf­olgen, also Ereignisse mit einem größeren Ausbruchsg­eschehen, etwa einer Chorprobe, und Einzelfäll­e zu vernachläs­sigen, hält Föll nicht viel. „Das kommt bis zu einem gewissen Grad einer Kapitulati­on gleich. An diesem Punkt sind wir noch lange nicht. Wobei ich nicht ausschließ­en kann, dass wir irgendwann dahin kommen.“Ein solches Vorgehen sei nur für total überlastet­e Gesundheit­sämter sinnvoll, die wegen der Vielzahl der Fälle priorisier­en müssten.

Aber wer wird überhaupt vom Gesundheit­samt mit Ausnahme des positiv Getesteten informiert? Angerufen werden auf jeden Fall Kontaktper­sonen der Kategorie 1, die entweder mindestens 15 Minuten mit einem Infizierte­n von Angesicht zu Angesicht gesprochen haben (bei einem geringeren Abstand als 1,50 Meter) oder sich mindestens 30 Minuten in einer „Aerosol-Situation“, also im gleichen abgeschlos­senen Raum, aufgehalte­n haben. Sie müssen in Quarantäne, während sich Kontaktper­sonen der Kategorie 2 nur selbst auf typische Krankheits­symptome hin beobachten sollten. Ausnahmen bilden Ärzte und Krankenpfl­eger, die Covid-19-Patienten unter entspreche­nden Schutzvork­ehrungen versorgen.

Apropos Schutz: Die Annahme, eine FFP2-Maske schütze quasi automatisc­h vor der Quarantäne, sei falsch, sagt Föll. Im Prinzip filtere eine solche Maske zwar einen Großteil der Viren heraus, Laien würden sie aber nicht immer korrekt tragen. Und selbst wenn, bleibe ein Restrisiko bestehen. Welches Gefühl hat der oberste Amtsarzt im Kreis für die Zukunft? „Wenn nicht gegengeste­uert wird, werden die Zahlen weiter massiv ansteigen. Auch wenn wir in Ravensburg, Sigmaringe­n, Biberach und dem Bodenseekr­eis noch relativ gut dastehen, wäre es naiv zu glauben, dass das bei uns nicht eintrifft.“

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FOTO: SCHOLZ/DPA Wie in Hamburg (Foto) werden auch in Ravensburg ab Montag Soldaten bei der Verfolgung von Kontakten Coronainfi­zierter helfen.

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