Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Es herrscht Leben im Totholz
Helmut Scheuerle besitzt bei Weiler über zwei Hektar Wald – Motto des Lindenbergers: Natur Natur sein lassen
WEILER/WESTALLGÄU - Zwei Schneisen hat sich Helmut Scheuerle freigeschlagen. Dort, auf der freien Fläche zwischen Gehölz, Bäumen, Ästen und Moos, kümmert sich der 64-Jährige um seinen Wald. Scheuerle hat Wildobstbäume gepflanzt und sich eine kleine Hütte aus Holz gebaut. Der Platz wirkt wie eine kleine Insel – umgeben von einem undurchschreitbaren Dickicht. Bäume und Sträucher wachsen kreuz und quer. In Scheuerles Wald gilt eine besondere Philosophie: Er lässt der Natur ihren freien Lauf. Scheuerle greift so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig ein. Zu diesem Zweck hat der Lindenberger seinen Wald zu einem „Privaten Freien Naturschutzgebiet“erklärt.
Scheuerle bahnt sich seinen Weg durch das Gestrüpp. Äste knacken bei jedem Schritt, die Luft riecht nach feuchter Erde. „Ich bin fast jeden Tag hier draußen“, sagt Scheuerle. Seit etwa 27 Jahren kümmert er sich um den Wald, der zwischen Bremenried und Böserscheidegg liegt. „Es ist ein Paradies für Tiere.“Scheuerle erzählt von Rehen, die gerne die Tannen anknabbern, von Füchsen, die ganz in der Nähe ihren Bau haben, von einem Dachs, der seine Spuren hinterlassen hat sowie von Kleintieren, von denen es im Totholz nur so wimmelt.
Scheuerle, der Mitglied bei den Naturfreunden Scheidegg ist, betreibt Vogel- und Insektenschutz. Zudem schützt er die jungen Tannen vor dem Verbiss durch Wild. Kleine blaue Plastikkappen sind an den Spitzen der Bäume angebracht. „Rehe
mögen kein Blau“, sagt Scheuerle. Füchse störe das hingegen weniger. „Sie spielen oft damit.“
Ursprünglich gehörte der Wald Bekannten. Diese konnten sich nicht wirklich darum kümmern. Der Wald blieb sich selbst überlassen. „Andere räumen ihre Wälder auf, sodass kein Ast mehr am Boden liegt“, sagt Scheuerle. Das ist bei ihm nicht der Fall. Das Totholz bleibt liegen und bietet neuen Lebensraum. Das finden nicht alle gut, erzählt Scheuerle. Es gebe auch Kritik, dass er seinen Wald verwildern lässt. „Ich möchte die Artenvielfalt schützen.“Deshalb nennt Scheuerle seinen Wald auch ein privates Naturschutzgebiet – eine
Bezeichnung, die es offiziell eigentlich nicht gibt.
„Ein Naturschutzgebiet ist eine Schutzkategorie aus dem Bundesnaturschutzgesetz“, teilt das Landratsamt Lindau mit. Gebiete, die eine entsprechende Artenvielfalt aufweisen, sind rein öffentlich. Für ein „Privates freies Naturschutzgebiet“gibt es keinen gesetzlichen Rahmen und daher auch keinen Status. „Jedermann kann auf seinen Flächen freiwillige Maßnahmen zum Schutz der Natur ergreifen“, schreibt das Landratsamt. „Allerdings eignet sich nicht jede Fläche zur Ausweisung eines Schutzgebietes.“Naturschutzgebiete müssen konkrete Kriterien erfüllen.
Scheuerle ist nicht daran interessiert, dass sein Wald zu einem offiziellen Naturschutzgebiet erklärt wird. „In diesem Fall werden einem Vorgaben gemacht, an die man sich zu halten hat“, sagt er. Scheuerle kam deshalb auf die Idee, ein privates Gebiet zu gründen. Doch an welche Richtlinien haben sich Waldbesitzer zu halten?
„Im Grunde kann jeder Waldbesitzer machen, was er will, solange er sich an ein paar Grundregeln hält“, sagt Andreas Täger, Geschäftsführer der Waldbesitzervereinigung Westallgäu. In Deutschland herrsche ein liberales Forstgesetz. Waldbesitzern stehe es frei, in welchem Maße sie Naturschutz betreiben. „Es gilt jedoch: Den Waldnachbarn darf kein Schaden entstehen.“Breitet sich beispielsweise der Borkenkäfer aus, muss der Besitzer etwas dagegen unternehmen. Zudem dürfen Erholungssuchende nicht gefährdet werden. „Totholz ist schön und gut. Aber wenn es auf eine angrenzende Straße fällt, muss es entfernt werden.“
Waldbesitzer sehen sich nach Aussage des Geschäftsführers mit drei Aspekten konfrontiert: der Ökologie, der Ökonomie und der Gesellschaft. „Man muss sich das als ein Brett vorstellen, das auf diesen drei Kugeln liegt. Die Kunst ist, das auszubalancieren.“Und das geht nicht, wenn man nur eine Seite im Blick hat, sagt Täger. Jeder bewirtschaftet seinen Wald anders. Genau das sei auch das Besondere, was Kleinwaldbesitzer leisten, sagt Täger. „Durch diese Kleinteiligkeit entsteht eine Vielfalt an unterschiedlichen Lebensräumen. Das ist etwas Wertvolles.“
Auch der Bund Naturschutz (BN) fordert eine naturnahe Waldwirtschaft. „Wälder sind mehr als nur eine Rohstoffquelle für Holz“, schreibt er. Deshalb spricht sich der Bund Naturschutz dafür aus, dass Holz schonend abgebaut werden soll. „Ergänzend dazu sind mindestens zehn Prozent der Waldfläche Deutschlands der natürlichen Entwicklung zu überlassen.“
Helmut Scheuerle findet, dass sein Wald etwas ganz Besonderes ist. „Ich fotografiere das alles gerne“, sagt er. Tausende Bilder hat er daheim. „An regnerischen Tagen schaue ich sie durch“, sagt Scheuerle, der Mitglied der Gesellschaft Deutscher Tierfotografen ist. Sein Wissen möchte Scheuerle nun an Kinder weitergeben. Scheuerle plant, den Schulen Projekte anzubieten. „Schüler können beispielsweise in meinem Wald Bäume pflanzen“, sagt er. „Die freuen sich doch bestimmt, wenn sie mal rauskommen.“