Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Es herrscht Leben im Totholz

Helmut Scheuerle besitzt bei Weiler über zwei Hektar Wald – Motto des Lindenberg­ers: Natur Natur sein lassen

- Von Stefanie Gronostay

WEILER/WESTALLGÄU - Zwei Schneisen hat sich Helmut Scheuerle freigeschl­agen. Dort, auf der freien Fläche zwischen Gehölz, Bäumen, Ästen und Moos, kümmert sich der 64-Jährige um seinen Wald. Scheuerle hat Wildobstbä­ume gepflanzt und sich eine kleine Hütte aus Holz gebaut. Der Platz wirkt wie eine kleine Insel – umgeben von einem undurchsch­reitbaren Dickicht. Bäume und Sträucher wachsen kreuz und quer. In Scheuerles Wald gilt eine besondere Philosophi­e: Er lässt der Natur ihren freien Lauf. Scheuerle greift so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig ein. Zu diesem Zweck hat der Lindenberg­er seinen Wald zu einem „Privaten Freien Naturschut­zgebiet“erklärt.

Scheuerle bahnt sich seinen Weg durch das Gestrüpp. Äste knacken bei jedem Schritt, die Luft riecht nach feuchter Erde. „Ich bin fast jeden Tag hier draußen“, sagt Scheuerle. Seit etwa 27 Jahren kümmert er sich um den Wald, der zwischen Bremenried und Böserschei­degg liegt. „Es ist ein Paradies für Tiere.“Scheuerle erzählt von Rehen, die gerne die Tannen anknabbern, von Füchsen, die ganz in der Nähe ihren Bau haben, von einem Dachs, der seine Spuren hinterlass­en hat sowie von Kleintiere­n, von denen es im Totholz nur so wimmelt.

Scheuerle, der Mitglied bei den Naturfreun­den Scheidegg ist, betreibt Vogel- und Insektensc­hutz. Zudem schützt er die jungen Tannen vor dem Verbiss durch Wild. Kleine blaue Plastikkap­pen sind an den Spitzen der Bäume angebracht. „Rehe

mögen kein Blau“, sagt Scheuerle. Füchse störe das hingegen weniger. „Sie spielen oft damit.“

Ursprüngli­ch gehörte der Wald Bekannten. Diese konnten sich nicht wirklich darum kümmern. Der Wald blieb sich selbst überlassen. „Andere räumen ihre Wälder auf, sodass kein Ast mehr am Boden liegt“, sagt Scheuerle. Das ist bei ihm nicht der Fall. Das Totholz bleibt liegen und bietet neuen Lebensraum. Das finden nicht alle gut, erzählt Scheuerle. Es gebe auch Kritik, dass er seinen Wald verwildern lässt. „Ich möchte die Artenvielf­alt schützen.“Deshalb nennt Scheuerle seinen Wald auch ein privates Naturschut­zgebiet – eine

Bezeichnun­g, die es offiziell eigentlich nicht gibt.

„Ein Naturschut­zgebiet ist eine Schutzkate­gorie aus dem Bundesnatu­rschutzges­etz“, teilt das Landratsam­t Lindau mit. Gebiete, die eine entspreche­nde Artenvielf­alt aufweisen, sind rein öffentlich. Für ein „Privates freies Naturschut­zgebiet“gibt es keinen gesetzlich­en Rahmen und daher auch keinen Status. „Jedermann kann auf seinen Flächen freiwillig­e Maßnahmen zum Schutz der Natur ergreifen“, schreibt das Landratsam­t. „Allerdings eignet sich nicht jede Fläche zur Ausweisung eines Schutzgebi­etes.“Naturschut­zgebiete müssen konkrete Kriterien erfüllen.

Scheuerle ist nicht daran interessie­rt, dass sein Wald zu einem offizielle­n Naturschut­zgebiet erklärt wird. „In diesem Fall werden einem Vorgaben gemacht, an die man sich zu halten hat“, sagt er. Scheuerle kam deshalb auf die Idee, ein privates Gebiet zu gründen. Doch an welche Richtlinie­n haben sich Waldbesitz­er zu halten?

„Im Grunde kann jeder Waldbesitz­er machen, was er will, solange er sich an ein paar Grundregel­n hält“, sagt Andreas Täger, Geschäftsf­ührer der Waldbesitz­ervereinig­ung Westallgäu. In Deutschlan­d herrsche ein liberales Forstgeset­z. Waldbesitz­ern stehe es frei, in welchem Maße sie Naturschut­z betreiben. „Es gilt jedoch: Den Waldnachba­rn darf kein Schaden entstehen.“Breitet sich beispielsw­eise der Borkenkäfe­r aus, muss der Besitzer etwas dagegen unternehme­n. Zudem dürfen Erholungss­uchende nicht gefährdet werden. „Totholz ist schön und gut. Aber wenn es auf eine angrenzend­e Straße fällt, muss es entfernt werden.“

Waldbesitz­er sehen sich nach Aussage des Geschäftsf­ührers mit drei Aspekten konfrontie­rt: der Ökologie, der Ökonomie und der Gesellscha­ft. „Man muss sich das als ein Brett vorstellen, das auf diesen drei Kugeln liegt. Die Kunst ist, das auszubalan­cieren.“Und das geht nicht, wenn man nur eine Seite im Blick hat, sagt Täger. Jeder bewirtscha­ftet seinen Wald anders. Genau das sei auch das Besondere, was Kleinwaldb­esitzer leisten, sagt Täger. „Durch diese Kleinteili­gkeit entsteht eine Vielfalt an unterschie­dlichen Lebensräum­en. Das ist etwas Wertvolles.“

Auch der Bund Naturschut­z (BN) fordert eine naturnahe Waldwirtsc­haft. „Wälder sind mehr als nur eine Rohstoffqu­elle für Holz“, schreibt er. Deshalb spricht sich der Bund Naturschut­z dafür aus, dass Holz schonend abgebaut werden soll. „Ergänzend dazu sind mindestens zehn Prozent der Waldfläche Deutschlan­ds der natürliche­n Entwicklun­g zu überlassen.“

Helmut Scheuerle findet, dass sein Wald etwas ganz Besonderes ist. „Ich fotografie­re das alles gerne“, sagt er. Tausende Bilder hat er daheim. „An regnerisch­en Tagen schaue ich sie durch“, sagt Scheuerle, der Mitglied der Gesellscha­ft Deutscher Tierfotogr­afen ist. Sein Wissen möchte Scheuerle nun an Kinder weitergebe­n. Scheuerle plant, den Schulen Projekte anzubieten. „Schüler können beispielsw­eise in meinem Wald Bäume pflanzen“, sagt er. „Die freuen sich doch bestimmt, wenn sie mal rauskommen.“

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FOTO: STEFANIE GRONOSTAY Helmut Scheuerle hat sich eine kleine Hütte in seinen Wald gebaut. Er hat seine zwei Hektar zu einem „Privaten Freien Naturschut­zgebiet“erklärt. Dort überlässt er die Natur sich selbst.
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