Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Das unrühmliche Kapitel wirkt nach
Vor 50 Jahren hob der DFB das Frauenfußball-Verbot auf
KÖLN (SID/dpa) - Was den konservativen Fußballbossen vor einem halben Jahrhundert nicht gelang, hat das Coronavirus vollbracht. Die unaufhaltsamen Pionierinnen mussten klein beigeben – der Festakt in Travemünde zu 50 Jahren Frauenfußball im Deutschen Fußball-Bund (DFB) fiel der Pandemie zum Opfer. Der Ferienort an der Ostsee wäre symbolisch gewesen. Hier beschloss am 31. Oktober 1970 der DFB-Bundestag, sein Verbot des „Damenfußballs“von 1955 zu kippen. Einen knackigen DFB-Slogan gibt es dennoch zum Jubiläum: „Früher nicht erlaubt. Heute verboten gut.“
In der Nachkriegszeit ist es genau dieser DFB, der seinen Mitgliedern untersagt, Frauenteams zu gründen oder auch nur auf Vereinsanlagen spielen zu lassen. „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“, so die Begründung. Weil Frauen aber trotzdem Fußball spielen, erfolgt 15 Jahre später die Kehrtwende. Unter Auflagen. Stollenschuhe waren nicht erlaubt, die Bälle leichter, die Spielzeit wurde auf zweimal 30 Minuten beschränkt, eine längere Winterpause verordnet. Das Verbot zu kippen – mitnichten eine Überzeugungstat.
Es galt zu verhindern, dass die Fußballerinnen einen eigenen Verband gründen. Denn es gab schon inoffizielle Länderspiele. Überall im Land machten sich Vereinsmanager auf die Suche nach weiblichen Talenten. Der Widerstand wurde aufmüpfiger. So spielen am 1. Januar 1968 in Hamburg die Gymnastiksportlerinnen des TSC Viktoria als „Eintracht Kopftuch“gegen die Handballerinnen des ESV Einigkeit als „FC United Strumpfhose“. Dazu gesellen sich im Stadtteil Wilhelmsburg der „SV Minirock“und „Borussia Bluse“.
Den Umgang mit den Kickerin- nen in den Anfangsjahren haben viele nicht vergessen: Machosprüche, schräge Witze, respektlose Bemerkungen und Zweifel am Frauengekicke überhaupt. Es ist ein Kapitel zum Fremdschämen. „Manche kamen nur, um zu gaffen“, erinnert sich Bärbel Wohlleben. Sie gewann 1974 mit TuS Wörrstadt die erste offizielle Meisterschaft und wurde als erste Frau für das „Tor des Monats“ausgezeichnet. Eine Frage, die sich die heute 76-Jährige damals in der ARD-Sendung anhören musste, war: „Wie machen Sie das mit Kopfball, wenn die Haare frisch onduliert sind?“
Die Kameras waren laut Wohlleben oft dahin gerichtet, „wo sie nicht hingehören, wenn man Sport übertragen will“. Gerne auf Busen oder Po. Mit Sprüchen wie: „Lassen Sie sich doch mal eine Sexbombe aufs Tor knallen!“. Oder: „Sie spielen, um ein paar Pfunde loszuwerden, in heißen Höschen.“Der Tatendrang der männlichen Fußball-Entscheidungsträger blieb viele Jahre überschaubar. Das erste offizielle Länderspiel mit Anne Trabant-Haarbach, Silvia Neid und Co. steigt sogar erst Ende 1982.
38 Jahre später sind zahlreiche Hürden genommen und Titel gewonnen, doch die Nachwehen sind noch heute zu spüren. „Es wurde lächerlich gemacht, die ersten 15 bis 20 Jahre“, sagte Nationaltorhüterin Almuth Schult im NDR-Interview: „Das versuchen wir immer noch aufzuarbeiten.“Noch immer fehlt trotz zwei WM- und acht EM-Titeln sowie dem Olympiasieg 2016 anhaltende Aufmerksamkeit, die während der Großevents ganz selbstverständlich vorhanden ist. Andere Länder zeigen den Weg auf.
Alle großen englischen Männerclubs engagieren sich im Frauenfußball, der Verband FA verfolgt ein klares Konzept, die Heim-EM 2022 entfacht zusätzlichen Antrieb für Sponsoren. Jüngst lockte die Women’s Super League sogar US-Superstars wie Alex Morgan (Tottenham Hotspur) an. Der einst führenden Frauen-Bundesliga droht dagegen ein Exodus der Topspielerinnen. Torschützenkönigin Pernille Harder (VfL Wolfsburg) und Melanie Leupolz zog es zum FC Chelsea.
Der Kampf gegen Klischees ist aber noch lange nicht vorbei.