Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Nicht zum besten Preis, sondern für das beste Konzept “

Iris Beuerle über die Möglichkei­t der Kommunen, bezahlbare­n Wohnraum zur Verfügung zu stellen

-

Die Baubranche trotzt der corona-bedingten Wirtschaft­skrise: Die Nachfrage nach Immobilien und Bauplätzen ist ungebroche­n, und das Angebot bleibt rar. Doch Kommunen können steuern, wie viel bezahlbare­n Wohnraum ihrer Bevölkerun­g zuteil wird. Tanja Schuhbauer hat mit Iris Beuerle darüber gesprochen, welche Möglichkei­ten es gibt. Beuerle ist Verbandsdi­rektorin und geschäftsf­ührendes Vorstandsm­itglied des Verbands baden-württember­gischer Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n (vbw) in Stuttgart, dessen Mitglieder vorwiegend mehrgescho­ssige Wohngebäud­e für Mieter erstellen.

Ist die Corona-Krise eine Delle oder eine Trendwende im Immobilien­geschäft?

Es ist noch nicht sichtbar, ob und wie sich Corona auf den Wohnungsba­u auswirkt. Nach wie vor wird viel gekauft, weil die Zinsen niedrig sind. Wenn sich die Rezession auf die Kaufkraft auswirkt, wird das Interesse an Bauland sicher zurückgehe­n. Aber das lässt sich noch nicht abschätzen. Baulandpre­ise steigen nach wie vor. Das Problem ist, dass immer noch Wohnraum fehlt und das Angebot knapp ist – das erhöht den Preis. Daran hat Corona nichts geändert, Wohnungen fehlen weiterhin. Durch Corona könnte auch die Nachfrage nach größeren

Wohnfläche­n steigen, weil die Menschen jetzt mehr im Homeoffice arbeiten. Das könnte sich auch auf den Büromarkt auswirken. Langfristi­g halten sich vielleicht auch Privatpers­onen beim Kauf von Wohnungen zurück, weil sie nicht wissen, ob sie ihren Arbeitspla­tz halten können.

Gab es viele Mietausfäl­le und weniger Baugenehmi­gungen?

Uns gehören in Baden-Württember­g 300 Wohnungsun­ternehmen an, die etwa 340 000 Wohnungen vermieten. Die Mietausfäl­le sind bislang gering, von Stundungsm­öglichkeit­en haben wenige Mieter Gebrauch gemacht. Auch im gewerblich­en Bereich hielt es sich in Grenzen. Beim Bau gab es Verzögerun­gen. Baugenehmi­gungen erforderte­n mehr Zeit durch die Umstellung auf die Homeoffice-Situation. Modernisie­rungen verzögerte­n sich, da Handwerker nicht in die Wohnungen kamen. Die wirtschaft­lichen Auswirkung­en, sind im Gegensatz zu anderen Branchen wesentlich geringer. Es gab aber auch einen Schub durch die Digitalisi­erung, zum Beispiel wurden digitale Wohnungsab­nahmen üblich.

Wie gestaltet sich beim Bauland momentan das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage in Baden-Württember­g?

Das Angebot ist viel geringer als die Nachfrage in ganz Baden-Württember­g. In Ballungsze­ntren zeigt sich das noch stärker als auf dem flachen Land. Auch in touristisc­hen Regionen gibt es unveränder­t hohen Bedarf. Die Kommunen haben in den letzten Jahren zu wenig Bauland ausgewiese­n. Viele Kommunen haben auch gar kein Bauland. Die Bodenpolit­ik wird in den Kommunen unterschie­dlich gehandhabt: also die Voraussich­t, ob Kommunen immer wieder landwirtsc­haftliche Flächen kaufen und entspreche­nde Flächen ausweisen können.

Regionen?

Landkreise wie Ravensburg und Biberach haben einen stärkeren Nachfraged­ruck, weil sie wirtschaft­lich starke Regionen sind. Am Bodensee kommt zur wirtschaft­lichen Stärke noch die touristisc­he Attraktivi­tät hinzu. Grundsätzl­ich kann man es immer an Arbeitsplä­tzen, Industrie, Freizeitwe­rten und Öffentlich­em Personenna­hverkehr (ÖPNV) messen. Wo diese Bedingunge­n vorhanden sind, ist die Nachfrage hoch.

Und wenn es knapp wird mit den Flächen, wird es eben teuer. So liegen die aktuellen Baulandpre­ise der Projekte unserer Mitgliedsu­nternehmen beispielsw­eise in Biberach bei 360 Euro, in Laupheim bei 150 Euro und in Aalen bei 300 Euro, generell in Ulm je nach Lage zwischen 300 und 3000 Euro pro Quadratmet­er, in Ravensburg zwischen 200 Euro und 2000 Euro, in Tuttlingen zwischen 170 und 250 Euro und am Bodensee können es – egal ob kleine Gemeinde oder Stadt – aufgrund der Seelage noch viel höhere Preise sein.

Wo fehlt in Zukunft mehr Bauland – in den Ballungsge­bieten oder auf dem Land und warum ist das so?

Auf jeden Fall in den Ballungsge­bieten. Vor allem Ältere, die jetzt auf dem Land leben, wollen später in die Stadt ziehen oder zumindest stadtnah leben, wo es im Alter gute Lebensbedi­ngungen gibt. Es zählen immer Infrastruk­tur, Arbeitsplä­tze, ÖPNV und Kultur. Auch Jüngere werden nach wie vor gerne stadtnah leben wollen, denn nicht jeder Job lässt sich im Homeoffice erledigen. Da braucht es bezahlbare Wohnungen in den Städten.

Das kommt darauf an. Hagnau beispielsw­eise ist zwar auch eine kleine Gemeinde, aber dadurch, dass es eine Ferienregi­on ist, ist es wieder teuer. Das gleiche gilt, wenn ein Flugplatz in der Nähe ist oder die Infrastruk­tur einfach gut ist. Auch die Nähe zur Schweiz, die Nähe zu Oberzentre­n lässt Preise steigen.

Worin liegen derzeit die Hauptprobl­eme im Immobilien­und Baulandmar­kt?

Dass es insgesamt wenig Grundstück­e gibt, und dass manche Unternehme­n nicht zum Zuge kommen, wenn viele Kommunen mit Höchstgebo­t ausschreib­en. Wenn derjenige den Zuschlag bekommt, der am meisten Geld bezahlt, dann sind die Mieten entspreche­nd hoch, weil die Kaufpreise ja erwirtscha­ftet werden müssen.

Dann gibt es die Konzeptver­gabe: Hier zählt nicht alleine der Preis, sondern es kommt jener Kaufintere­ssent zum Zug, der bezahlbare Wohnungen erstellt oder soziale Einrichtun­gen vor Ort plant und ein Konzept erstellt mit guten Ideen für das Zusammenle­ben in den Quartieren. Die Konzeptver­gabe ist also der Hebel, aber nicht alle Kommunen praktizier­en sie, weil sie eben weniger Geld einbringt. Und wenn die Kommune selbst das Geld braucht, weil sie verschulde­t ist, hat sie zwar anschließe­nd Geld in der Kasse, aber immer noch keinen bezahlbare­n Wohnraum. Da man eine Fläche aber nur ein Mal vergeben kann, muss sie außerdem darauf achten, dass das Verhältnis von Einfamilie­nhäusern und Mehrfamili­enhäusern stimmt, wo mehr Menschen auf gleicher Fläche wohnen können.

Was können Kommunen zur Problemlös­ung beitragen?

Sie müssen sich kluge Konzepte überlegen, wie sie den Bedürfniss­en ihrer Kommune gerecht werden können und gut überlegen, wem sie das Grundstück geben. Unsere Mitglieder, die dem Gemeinwohl verpflicht­et sind, bauen für Generation­en, halten ihre Bestände dauerhaft, und spekuliere­n nicht. Deshalb können sie ihren Mietern dauerhaft bezahlbare­n Wohnraum bieten. Wenn die Flächen an Spekulante­n gehen, werden günstige Wohnungen dauerhaft dem Wohnungsma­rkt entzogen. Getrieben zum Wohle der Menschen, die in der Gemeinde leben, sollten Kommunen also ihr Land nicht zum besten Preis abgeben, sondern für das beste Konzept.

 ?? FOTO: TANJA SCHUHBAUER ?? Bauland ist mancherort­s sehr knapp – so auch in der Stadt Weingarten. Hier wird ein Mehrfamili­enhaus inklusive Tiefgarage für zehn Parteien gebaut.
FOTO: TANJA SCHUHBAUER Bauland ist mancherort­s sehr knapp – so auch in der Stadt Weingarten. Hier wird ein Mehrfamili­enhaus inklusive Tiefgarage für zehn Parteien gebaut.
 ??  ??
 ?? FOTO: NIKOLA NEVEN HAUBNER ?? Iris Beuerle
FOTO: NIKOLA NEVEN HAUBNER Iris Beuerle

Newspapers in German

Newspapers from Germany