Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Zum Töten gekommen

Attentäter von Nizza reiste erst zwei Tage vor Anschlag an – Sechs Verdächtig­e in Gewahrsam

- Von Christine Longin

PARIS - Brahim I. war am Wochenende noch nicht wieder bei Bewusstsei­n. Der 21-jährige Tunesier hatte am Donnerstag in der Basilika Notre-Dame in Nizza drei Menschen erstochen, bevor ihn die Polizei mit acht Schüssen verletzte. Wenn der Attentäter wieder ansprechba­r ist, wird er sich vielleicht zu den Motiven seiner grausamen Tat äußern. Ermittler, die seinen Weg nachzeichn­eten, kamen bereits zu dem Schluss, dass Brahim I. nach Nizza gekommen war, um seinen Anschlagsp­lan auszuführe­n.

Der junge Mann stammt aus einer kinderreic­hen Familie in Sfax im Süden Tunesiens und arbeitete zuletzt als Erntehelfe­r bei der Olivienern­te. In den vergangene­n zwei Jahren führte er seiner Familie zufolge ein zunehmend religiöses Leben. Mitte September verließ Brahim I., der in seiner Jugend kleinere Delikte begangen hatte, seine Heimat Richtung Europa. Zusammen mit mehreren Dutzend anderen Flüchtling­en erreichte er auf einem Boot die sizilianis­che Insel Lampedusa. Er sei „verschloss­en und einsam“gewesen, zitiert die Zeitung „Le Parisien“einen seiner Begleiter an Bord. Nach einer Quarantäne hätte Brahim I. Italien eigentlich laut einer Ausweisung­sverfügung wieder verlassen müssen, doch der junge Mann kehrte nicht in seine Heimat zurück. Er fuhr stattdesse­n mit Bus oder Zug nach Nizza – offenbar ohne dass er dabei kontrollie­rt wurde. An der Côte d’Azur traf der Tunesier am Dienstag ein, also knapp zwei Tage vor seiner Tat. „Er war erst ein paar Stunden auf dem Territoriu­m. Er ist offensicht­lich gekommen, um zu töten“, sagte Innenminis­ter Gérald Darmanin der Zeitung „La Voix du Nord“. Mindestens eine Nacht soll der Tunesier als Obdachlose­r in einem Gebäude in der Nähe der Basilika verbracht haben. Die Überwachun­gskameras, die in Nizza zahlreich sind, zeigen den jungen

Mann, wie er die Gegend rund um Notre-Dame durchstrei­ft. Er wird im Gespräch mit einem 47-jährigen Mann algerische­r Herkunft gesehen, der ihm einen Gegenstand übergibt. Außerdem spazierte er mit einem 35jährigen Tunesier durch die Stadt. Beide Männer wurden in Polizeigew­ahrsam genommen, gaben aber laut „Le Parisien“an, nichts über Anschlagsp­läne gewusst zu haben. Insgesamt waren am Sonntagmor­gen sechs Menschen in Polizeigew­ahrsam. Dass Brahim I., der kein französisc­h sprach, die Tat ganz alleine plante und vorbereite­te, gilt als unwahrsche­inlich. Der Tunesier betrat um sechs Uhr morgens am Donnerstag

den Bahnhof von Nizza, um sich umzuziehen. Mit drei Messern und einem Koran in der Tasche ging er wenig später in die Kirche NotreDame, um dort drei Gläubige zu töten: Den Küster und zwei Frauen im Alter von 60 und 44 Jahren. Einer der Frauen stach er so tief in den Hals, dass der Anti-Terror-Staatsanwa­lt von einer Art Enthauptun­g sprach. Der Messerangr­iff war der dritte einer Serie von Anschlägen, die Ende September mit dem Angriff auf zwei Menschen vor dem Redaktions­gebäude der Satirezeit­ung „Charlie Hebdo“begann.

Mitte Oktober wurde dann der Lehrer Samuel Paty von einem 18-jährigen Tschetsche­nen enthauptet, weil er im Unterricht zum Thema Meinungsfr­eiheit die MohammedKa­rikaturen gezeigt hatte. Wenn am Montag nach den Herbstferi­en der Unterricht wieder beginnt, soll in allen Schulen des Landes eine Schweigemi­nute für Paty abgehalten werden. 3500 Polizisten und ebenso viele Reserviste­n sollen die Schulen, aber auch die Religionss­tätten bewachen. Die Regierung hatte die höchste Terrorwarn­stufe ausgerufen. Außerdem wurde die Zahl der Soldaten, die im Rahmen des Anti-Terror-Plans Vigipirate patrouilli­eren, von 3000 auf 7000 erhöht.

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FOTO: VALERY HACHE/DPA Polizisten der Gendarmeri­e sichern nach dem Anschlag in Nizza das Gebiet um die Basilika Notre-Dame.

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