Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„,Glücksindustrie’ kann nur in einer Depression münden“
Sabine Vitua liest aus der Kreuzfahrtreportage des Autors David Foster Wallace – Letzte Lesung der Literaturtage
ISNY - Eigentlich hätte man in Isny an diesem Wochenende das „Bergfest“der baden-württembergischen Literaturtage gefeiert. Zur Halbzeit der hochkarätigen Veranstaltungsreihe hatten die Veranstalter deshalb auch eine hochkarätige Persönlichkeit eingeladen. Die beliebte Schauspielerin Sabine Vitua las aus dem Buch „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“von David Foster Wallace. Sie ist bekannt aus zahlreichen Fernsehserien, wie „Tatort“, „Polizeiruf 110“, „Wilsberg“, „In aller Freudschaft“, „Ein Tisch in der Provence“oder „Pastewka“, wo sie zehn Staffeln lang die Managerin Regine Holl spielte.
Gemeinsam mit Anette Schmid, Leiterin der Isnyer Stadtbücherei, hatte Vitua sich die satirisch geschriebene Reisereportage des amerikanischen Schriftstellers Wallace ausgesucht. Die beiden Literaturliebhaberinnen, die sich schon aus Kindertagen kennen und nie den Kontakt zueinander verloren haben, möchten mit dieser tiefsinnigen Reportage zum Weiterlesen animieren – dem Motto der diesjährigen Literaturtage. Für die passende Kulisse mit blauer Beleuchtung in Form eines Schiffsbugs, Meeresrauschen, PiratenschiffDekoration und den guten Ton der Vorleserin, sorgte Frank Erhard.
Mit dem ihr eigenen erotischen Hauch in der Stimme las Sabine Vitua den nahezu 50 Zuhörern im Erdgeschoss des ehemaligen Museums die teils absurd anmutenden Momentaufnahmen einer sogenannten „7NC-Luxuskreuzfahrt“vor. Mit der Beschreibung der „Seven Night Caribbean Cruise“, kurz 7NC, so die Bezeichnung im Hochglanzkatalog bescheinigt Wallace der Marketingabteilung sehr geschickt zu agieren. Entspannung, den Alltagsstress vergessen, Rundumverwöhnen, sind die genial gesetzten Worte, um potenzielle Reisewillige zu locken. Fantasien, wie man die Tage verbringen kann, werden schon beim Blättern im Katalog nicht nur angeregt, sondern subtil konstruiert.
Wallace beschreibt mit seiner gnadenlos exakten Beobachtungsgabe und seinem unterhaltsamen ironischen Schreibstil, wie er sich beispielsweise über seinen Obstkorb in der Kabine freut, entdeckt, dass er sich Snacks in seine Kabine auf Deck10 liefern lassen kann, regelrecht im Luxus schwelgt, um dann ein schlechtes Gewissen deswegen zu bekommen. Den „kuschelweichen Handtuchservice“auf Deck 12 bei den Swimmingspools nutzt er erbarmungslos aus. Am fünften Tag fragt er sich schließlich depressiv verstimmt, „wozu das alles“.
Wallace hat diese Reise vom 11. bis 18. März 1995 tatsächlich unternommen. Im Auftrag des „Harper’s Magazine“schreibt er nicht nur aus der Perspektive des neutralen, unbeteiligten Beobachters, sondern auch wie der übertriebene Luxus sich auf seine Empfindungen und sein Verhalten auswirkt. Grotesk wirkt die Situation, bei der er versucht dem Geheimnis von „Petra“auf die Schliche zu kommen, die immer, wenn er die Kabine für mindestens eine halbe Stunde verlässt – 29 Minuten reichen nicht – alles geordnet, geputzt und das Bett frisch gemacht hat, egal zu welcher Tageszeit und wie oft er weg ist.
„Das quengelnde Kind in mir, hat nach ein paar Tagen die Oberhand gewonnen“, gibt Wallace zu. Immer mehr und es ist nie genug. Diese „Glücksindustrie“kann nur in einer Depression münden, stellt auch Sabine Vitua fest, die zugibt, selbst schon eine Karibikkreuzfahrt gemacht zu haben. Beim Lesen stellte sie gewisse Parallelen fest, resümierte sie am Ende ihrer Reise, daher gibt sie den Besuchern auf den Weg: „Weiterlesen lohnt, vor allem wenn Sie vorhaben, eine Luxuskreuzfahrt zu machen“.