Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kretschmann „verwundert“über Brief der Bürgermeister
So reagiert der Ministerpräsident auf die Kritik an neuen Corona-Einschränkungen
WANGEN (jps/sz) - Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat am Wochenende auf den Offenen Brief von mehr als 30 (Ober-) bürgermeistern im Land reagiert. zu dessen Unterzeichnern auch Wangens OB Michael Lang gehört. In dem Schreiben hatten sie vor einem „allzu pauschalen Lockdown“nach der Bund-Länder-Schalte zu den seit heute greifenden erneuten Einschnitten gewarnt. Der Landeschef warb in seiner Antwort erneut für die bundesweit einheitliche Linie und rief die Rathauschefs zum „Schulterschluss“auf. Dieser sei notwendig, um eine „breite Akzeptanz“in der Bevölkerung zu erreichen.
Kretschmann zeigt sich überzeugt, „dass das Gesamtinteresse in so einer Jahrhundertnotlage ganz vorne stehen muss“. Der Blick in Nachbarländer zeige: Je länger Deutschland mit scharfen Einschränkungen
wie erneuten Schließungen von Gastronomien und Kulturveranstaltungen gewartet hätte, desto länger und härter werde der Eingriff andauern. „In diesem Sinne zähle ich darauf, dass wir gemeinsam darum werben, dass die Menschen in diesem Land die Maßnahmen mittragen und leben“, so der Ministerpräsident. Dabei komme den Rathauschef eine wichtige Rolle zu: Sie seien „entscheidende Akteure vor Ort“.
Zugleich zeigt sich Kretschmann in seinem Antwortschreiben auf den Offenen Brief „verwundert“darüber, „dass ausgerechnet BadenWürttemberg als eines der stärker betroffenen Länder von der Umsetzung der einmütigen Beschlüsse abweichen soll. Hintergrund: Die mehr als 30 (Ober-)Bürgermeister hatten im Zuge der Warnung vor dem „allzu pauschalen Lockdown“den Sinn von Schließungen des Gastrogewerbes und des Kulturbereichs angezweifelt. Hier hätte es auch andere Lösungen geben können, so die Rathauschefs.
Dem widerspricht Winfried Kretschmann indirekt: Eine Hotspotstrategie funktioniere nicht, „wenn das ganze Land selbst ein Hotspot ist“. Vielmehr gelte es jetzt, die Anzahl der Kontakte zwischen den Menschen um drei Viertel zu senken. Dabei räumt er aber auch ein: „Dieses Ziel trifft zugegeben auch diejenigen, die sich in den vergangenen Monaten vorbildlich an die AHA-Regeln und die Hygienebestimmungen gehalten haben.“
Der Landeschef erläutert überdies die Strategie hinter den übers Wochenende in Landesrecht gegossenen Beschlüsse der virtuellen Bund-Länder-Konferenz: Die „einschneidenden Maßnahmen“, seien nötig, „weil wir bestimmte Bereiche des gesellschaftlichen Lebens bewusst offen halten wollen“. Es gelte, die Bildung und Betreuung sicherzustellen und die Menschen arbeiten lassen zu können, „um den wirtschaftlichen Schaden gering zu halten“. In diesem Zuge verweist Kretschmann auf „großzügige“Entschädigungen für von den Schließungen betroffenen Unternehmen.
Die seit Montag geltenden Maßnahmen hatten in den vergangenen Tagen zu deutlichen Kontroversen auf nahezu allen Ebenen geführt, und das war auch nach dem Bericht der „Schwäbischen Zeitung“über den Vorstoß der (Ober-)Bürgermeister der Fall. Auf dem Online-Portal „schwäbische.de“gab es überwiegend Rückendeckung für die Beschlüsse – und teilweise deutliche Kritik an den Rathauschefs.
„Sinn der von der Bundesregierung und den Ländern beschlossenen Maßnahmen ist es, den Menschen möglichst viele Gründe zu nehmen, aus dem Haus zu gehen, ohne dabei das Land komplett lahm zu legen“, heißt es da beispielsweise. Oder: „Ich überzeugt, dass der zweite Lockdown sicherlich richtig ist und auch nun bei diesen stark ansteigenden Infektionen wichtig ist.“Allerdings komme es jetzt auf einen Fahrplan für die kommenden vier Wochen an, um diese Zeit richtig zu nutzen. Ein weiterer Leser schreibt: „Wir waren leichtsinnig, jetzt haben wir die Konsequenz.“Daran sei nicht die Politik schuld: „Wir sind verantwortlich, jeder einzelne von uns.“
In den wenigen Kommentaren, die die Linie des Offenen Briefs unterstützten, heißt es hingegen unter anderem, die (Ober-)Bürgermeister hätten mit ihrem Schreiben Mut bewiesen. Kritik wird unterdessen an anderen Dingen laut, zum Beispiel nach wie vor überfüllten Schulbussen. Andere verweisen auch auf die zuletzt deutlich ansteigenden Fallzahlen in Wangen.