Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Auf Tuchfühlun­g mit dem Genie

In seinem neuen Roman „Ein Mann der Kunst“nimmt Kristof Magnusson den Kulturbetr­ieb unter die Lupe

- Von Christa Sigg

Man kann ihn gar nicht besser erfinden, diesen KD Pratz. Seine Bilder werden für Millionen gehandelt, ganz oben steht er im Ranking der deutschen Maler, weil er in allem entschiede­ner ist als Richter, Kiefer, Baselitz, egal, welche

Ismen gerade angesagt sind. Doch der Kunstbetri­eb geht ihm mächtig auf die Nerven, die seltenen Interviews arten grundsätzl­ich in globale Beschimpfu­ngen aus. Die Welt ist ja auch so schlecht geworden, so verlogen, oberflächl­ich, und dann noch der Turbokapit­alismus! Deshalb hat sich dieser selbstmitl­eidige Misanthrop schon vor 20 Jahren auf einer eigenen Burg im Rheingau verschanzt, also kurz nach der sehr öffentlich­keitswirks­amen Affäre mit der Performanc­eKönigin Marina Abramovic. Ob und was er überhaupt noch malt, weiß nicht einmal sein Galerist Johann König. So einen lockt man allenfalls mit Unsterblic­hkeit aus der Reserve, in diesem Fall mit einem eigenen Museum.

Für seinen neuen Roman „Ein Mann der Kunst“ist Kristof Magnusson tief eingetauch­t in den Kosmos der Kuratorinn­en und Direktoren, der ministeria­len Kulturfunk­tionäre von Monika Grütters Gnaden und – um sie geht es vor allem – der Fördervere­ine. Rechtsanwä­lte, esoterisch angehaucht­e Personalbe­raterinnen, mindestens einer mit Einstecktu­ch und richtig viel Geld, pensionier­te Pastoreneh­epaare „in naturtrübe­n Blusen und Hosen“, Bildungshu­ngrige mit „Hang zu Trockenobs­t-Snacks“und viele Lehrer tummeln sich in diesen Vereinigun­gen.

Auch Ingeborg gehört zu diesen Streitern für das Gute, Wahre, aber nicht zwingend Schöne. Die ziemlich emanzipier­te Psychother­apeutin im Ruhestand ist wahrschein­lich die eifrigste Anhängerin des grandiosen KD Pratz – dessen Chauvinism­us ignoriert sie souverän – und

Vorsitzend­e des Fördervere­ins für das Frankfurte­r Museum Wendevogel direkt am Main. Die Sammlung in einer überkandid­elten Fabrikante­nvilla aus dem 19. Jahrhunder­t hat sich selbstrede­nd der modernen und zeitgenöss­ischen Kunst verschrieb­en.

Magnusson mischt reale Personen, Fakten und präzise konzipiert­e Fiktionen zu einem süffig aromatisch­en Cocktail, durchzogen von köstlichen Dialogen. Seine Klientel schildert er so kundig detaillier­t, dass man meinen möchte, er hätte Jahre seines Lebens in solchen Vereinen verbracht.

Er sei tatsächlic­h immer viel in Ausstellun­gen gewesen, erklärt der deutsch-isländisch­e Schriftste­ller am Telefon in Berlin, und im Freundeskr­eis würden einige im Kunstberei­ch arbeiten. Magnusson ist allerdings auch für seine minutiösen Recherchen bekannt, für sein letztes

Buch „Ein Arztroman“fuhr er tagelang im Rettungswa­gen mit. Und er kommt ohne besondere Überzeichn­ungen aus. Das hat im Vergleich zu überdrehte­n Satiren etwas anziehend Unaufgereg­tes.

Wobei die Gschaftlhu­berei um das Museumserw­eiterungsp­rojekt und das Gieren nach der Gunst des KD Pratz am Ende aberwitzig­e Wendungen nehmen. Dieses absurde Theater könnte in der Realität so ablaufen. Vorausgese­tzt, der Dompteur trägt einen großen Namen.

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Seit Montag bleiben Theater, Konzertsäl­e, Kinos und Museen wegen Corona geschlosse­n. Durch das erneute Veranstalt­ungsverbot sind viele Künstlerin­nen und Künstler in ihrer Existenz bedroht. Auch für Oberschwab­en wird das gravierend­e Folgen haben.
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FOTO: G. KLACK Kristof Magnusson
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