Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Diskriminierung an der Grenze in Lindau
In Bayern gibt es jetzt Lockerungen im kleinen Grenzverkehr – Die Testpflicht für Pendler bleibt bestehen
LINDAU - Wer von Vorarlberg nach Lindau zur Arbeit oder in die Schule pendelt, muss sich einmal pro Woche auf das Coronavirus testen lassen. Österreicher, die in ihrer Freizeit zum Einkaufen nach Bayern kommen möchten, können das täglich tun – und zwar ganz ohne Test. Binnen einer Woche verkündete der Freistaat harte Beschränkungen für Grenzpendler und gleichzeitig Lockerungen im kleinen Grenzverkehr für alle anderen. Das führt nicht nur bei Pendlern zu Unverständnis und Wut. Auch Lindaus Landrat Elmar Stegmann kann die neuen Lockerungen nicht nachvollziehen.
Die Mitarbeiter des Lindauer Gesundheitsamts haben mit der Testpflicht für Pendler alle Hände voll zu tun. Der Betrieb im Testzentrum läuft nun sieben Tage die Woche. Wer in Österreich oder der Schweiz lebt und in Lindau arbeitet, kann sich dort nun immer samstags kostenlos testen lassen, Schüler dürfen auch unter der Woche am Abend kommen. „Das sind zwischen 1000 und 1500 Test mehr pro Woche“, sagt Landrat Elmar Stegmann im Gespräch mit der SZ. Damit verdoppelt sich die Anzahl der Tests in Lindau auf einen Schlag.
„Es war schwierig für die Grenzpendler eine Lösung zu finden und zwar aufgrund der Laborkapazitäten“, schreibt Landratsamtssprecherin Sibylle Ehreiser. Allerdings habe der reguläre Testbetrieb hat in Lindau weiterhin absolute Priorität. „Hier müssen die Testergebnisse schnellstmöglich vorliegen.“Die Ergebnisse der Grenzpendler hingegen würden vom Labor – abhängig von den Kapazitäten – erst im Laufe einer Woche bereitgestellt.
Als Markus Söder vor zwei Wochen verkündete, dass sich Arbeitnehmer und Schüler, die von einem nicht deutschen Risikogebiet nach Bayern pendeln, nun einmal pro Woche auf das Coronavirus testen lassen müssen, war zunächst völlig unklar, wer diese Abstriche nehmen sollte: Im Lindauer Testzentrum waren dafür so spontan keine Kapazitäten vorhanden, österreichische Politiker verwiesen auf Bayern, Pendler hatten Angst vor hohen Kosten. Denn während PCR-Tests in Bayern gratis sind, kostet ein solcher Test in Vorarlberg 45 Euro pro Stück. Für die Pendler hätte das Mehrkosten von 180 Euro pro Monat bedeutet. Viele von ihnen fühlten sich durch die Zusatzkosten, aber auch durch die Testpflicht an sich diskriminiert.
Genau eine Woche später kam dann aus München ein weiterer Beschluss in Sachen Grenze. „Das bayerische Kabinett einigte sich bei seiner Sitzung am Dienstag (27.10.) darauf, den sogenannten kleinen Grenzverkehr für Menschen aus ausländischen Corona-Risikogebieten ohne Quarantänepflicht zu erlauben, also etwa Fahrten zum Einkaufen oder für Arztbesuche im Nachbarland“, schreibt ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums auf Anfrage der SZ. Österreicher und Schweizer dürften ohne Probleme nach Bayern einreisen, wenn sie nicht länger als 24 Stunden bleiben. Die Regelung richte sich nach einer Musterverordnung des Bundes und gelte ab sofort, am 9. November soll dann auch die bayerische Quarantäneverordnung angepasst werden. Bisher war die Einreise nach Bayern ohne Quarantäne nur mit negativem Testergebnis möglich oder wenn die Menschen zuvor nicht länger als 48 Stunden im Risikoland waren.
Der neue, erleichterte Grenzübertritt gilt für alle – außer für Pendler. Ihre Testpflicht bleibt bestehen. „Zweck der Regelung ist, dass Personen, deren gewöhnlicher Aufenthalt in einem Risikogebiet ist und die in Bayern einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehen, sich wöchentlich testen lassen müssen, um eine unerkannte Einschleppung und Weiterverbreitung des Coronavirus in Betrieben, Schulen etc. zu verhindern“, so der Ministeriumssprecher. Für Elke Yilmaz fühlt sich das nicht fair an. Die 60-Jährige wohnt in Bregenz und pendelt täglich zur Arbeit nach Lindau. „Ich gehe nach der Arbeit heim und habe keinen Fremdkontakt“, sagt sie im Gespräch mit der SZ. Abgesehen davon gelten in Österreich ganz ähnliche Hygieneregeln wie in Bayern. Und an die halte sie sich, auch in der Freizeit. Dass sie nun jeden Samstag Stunden in der Warteschlange am Testzentrum verbringen soll, ärgert sie – zumal sie im Schichtbetrieb arbeite und ihr eh nur jedes zweite Wochenende zum Ausspannen bleibe. Sie glaubt nicht, dass die Testpflicht rechtlich haltbar ist. „Es ist keine Gleichstellung gegenüber den einheimischen Kollegen“, sagt sie. „Wenn testen, dann alle.“
Es gebe bereits Eltern von Schülern, die rechtliche Schritte gegen die Testpflicht klären, sagte Lars Schwend, Schulleiter der Freien Schule, im Gespräch mit der SZ vergangene Woche. 45 seiner Schüler kommen normalerweise täglich aus Vorarlberg nach Lindau. Mittlerweile habe sich die Lage zumindest dahingehend etwas entspannt, dass auf Schüler, die nach Lindau kommen
Sibylle Ehreiser, Landratsamtssprecherin in Lindau wollen, keine Mehrkosten zukommen, weil sie sich im Testzentrum testen lassen dürfen.
Doch von Diskriminierung sprach Lars Schwend in der vergangenen Woche, und von Diskriminierung spricht er auch jetzt. Die neuen Lockerungen verstärken das Gefühl noch. „Das Ganze wird jetzt ad absurdum geführt“, sagt er. „Bedeutet das, wir sind in der Schule gefährlich, beim Einkaufen aber nicht?“Eine Sinnhaftigkeit könne hier keiner mehr erkennen. „Die Leute sind aber nur bereit, die Beschlüsse zu akzeptieren, in denen sie eine Sinnhaftigkeit sehen.“Die Lindauer FDP hat wegen Diskriminierung durch die Testpflicht eine Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten eingelegt.
Lars Schwend wird nach den Herbstferien in seiner Schule wieder verstärkt Homeschooling einführen, um den österreichischen Schülern die wöchentlichen Tests zu ersparen. „Die Menschen, die hier arbeiten, werden jetzt noch mehr ausgegrenzt“, sagt er. Ganz praktisch frage er sich allerdings, wie die Polizei bei einer Kontrolle überhaupt unterscheiden sollte, ob sie einen österreichischen Pendler oder einen österreichischen Einkäufer vor sich hat. Denn in Lindau müssen Grenzpendler ihre negativen Testergebnisse nicht ans Gesundheitsamt weiterleiten. Laut Landratsamt reicht es aus, wenn sie sie bei einer Kontrolle vorzeigen können.
Landrat Elmar Stegmann hat von der neuen 24-Stunden-Regelung aus der Presse erfahren. Und zwar zunächst aus der österreichischen, denn Florian Herrmann, bayerischer Staatsminister für Europaangelegenheiten, hatte den Beschluss nach einem Treffen mit der österreichischen Bundesministerin Karoline Edtstadler vergangene Woche verkündet.
„Für mich ist das nicht nachvollziehbar“, sagt der Landrat und verweist auf die hohen Infektionszahlen im Nachbarland. Vorarlberg stellt mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 429 am Sonntag derzeit in Österreich Negativ-Rekorde auf. In Dornbirn kletterte der Wert am Sonntag sogar auf 669. „Ich frage mich schon, ob das sinnvoll sein kann, wenn sie jetzt zu uns kommen.“Zumal die Probleme, die es während der geschlossenen Grenze im Frühjahr gab, jetzt schlicht nicht mehr existierten: Für Lebenspartner und Familien gibt es längst ebenso Ausnahmen wie für Pendler oder Menschen aus Österreich, die in Lindau ihr Pferd untergebracht haben. Und für alle übrigen gebe es derzeit schlicht keine Notwendigkeit, nach Lindau zu kommen. „Die Einkäufe kann man genau so gut in Österreich erledigen“, sagt Stegmann. Doch die Parkplätze bei Aldi, Lidl oder am Lindaupark sind längst wieder voll. Mit Autos aus Österreich oder der Schweiz.
„Es war schwierig für die Grenzpendler eine Lösung zu finden und zwar aufgrund der Laborkapazitäten.“