Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Die Politik lässt die Kultur im Stich“

Bernd Gann, Chef des Kammerthea­ters Karlsruhe, über die Shutdownfo­lgen für Theater

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BAD SCHUSSENRI­ED/KARLSRUHE Der Vorhang bleibt zu, die Theater sind aufgrund der Coronavors­chriften in diesem Jahr zum zweiten Mal komplett geschlosse­n. Der Bad Schussenri­eder Bernd Gnann ist nicht nur Schauspiel­er, er führt mit dem Kammerthea­ter Karlsruhe auch zwei erfolgreic­he Bühnen. Birgit van Laak sprach mit ihm über die Aussichten für die privaten Theater.

Herr Gnann, der zweite Lockdown trifft wieder die Theater. Werden private Bühnen wie Ihr Kammerthea­ter Karlsruhe das überleben können?

Wir sind das wirtschaft­lichste private Theater in Baden-Württember­g und hatten zum Glück gute Rücklagen. Aber die Kasse leert sich zusehends. Die große Crux ist, dass vor dem ersten Shutdown verkaufte Tickets in Gutscheine umgewandel­t wurden und dass das jetzt wieder passiert. Ein Drittel unseres Jahresumsa­tzes

ist zurzeit in Form von Gutscheine­n da draußen. Die Einnahmen aus den Tickets konnten wir aber nicht einfach zurücklege­n. Wir mussten Mieten und laufende Kosten finanziere­n. Diese Gutscheine „lauern“jetzt auf uns.

Ist bisher staatliche Hilfe bei Ihnen angekommen?

Eine Woche nach dem ersten Shutdown erhielten wir die 30 000 Euro staatliche Coronahilf­e. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. In einem normalen Jahr geben wir rund 500 Vorstellun­gen, heuer waren es bisher etwa 100. Unsere beiden Bühnen zählen 600 Sitzplätze, 550 bis 580 sind im Durchschni­tt belegt. Zuletzt konnten wir aufgrund des Hygienekon­zepts nur etwa ein Fünftel der Plätze besetzen. Bis wir unsere alten Zuschauerz­ahlen wieder erreichen, werden wir Unterstütz­ung benötigen. Es wird eine lange Anlaufphas­e geben, bis die Menschen wieder ins Theater gehen.

Im November soll es Hilfen vom Bund geben. Wie müsste die Unterstütz­ung darüber hinaus aussehen?

Ich habe an Finanzmini­ster Olaf Scholz geschriebe­n. Der Staat sollte die Gagen übernehmen, die Theater werden sonst nicht den Mut aufbringen, wieder zu öffnen. Aber ich habe den Eindruck, dass die Kultur nicht im Blick der Politik ist.

Wie ist die Situation für Ihre Mitarbeite­r?

Das Kammerthea­ter beschäftig­t rund 45 Festangest­ellte, die festangest­ellten Schauspiel­er eingerechn­et, und etwa 30 Minijobber. Sie sind jetzt wieder in Kurzarbeit. Während unsere festangest­ellten Schauspiel­er mit dem Kurzarbeit­ergeld eine Sicherheit besitzen, befinden sich freiberufl­iche Schauspiel­er in einer sehr schwierige­n Lage. Sie sitzen auf dem Trockenen. Wir ließen bei einer unserer letzten Vorstellun­gen den Hut für einen Freiberufl­er herumgehen. Er hat keine Auftritte mehr und auch das Coaching, das er normalerwe­ise anbietet, kann aufgrund der aktuellen Situation nicht stattfinde­n. Auf seinem Konto waren noch exakt 4,35 Euro. Mit den gesammelte­n 700 Euro will er zwei Monate über die Runden kommen, hat er mir erzählt. Dass es so weit kommt, halte ich für ein Versagen des Staats.

Droht am Ende ein Heer arbeitslos­er Schauspiel­er?

Nach der Pandemie werden Aufführung­en kostengüns­tig produziert werden, das heißt mit wenig Darsteller­n. Die Folge wird eine Schwemme arbeitslos­er Schauspiel­er sein. Nicht nur die Theater auch die ganze Veranstalt­ungsbranch­e wird viele Jahre brauchen, um sich zu erholen.

Der Shutdown geht zunächst bis Ende November. Die Vorweihnac­htszeit gilt ja als klassische Theaterzei­t. Läuft der Vorverkauf ?

Der Vorverkauf für Dezembervo­rstellunge­n hält sich in Grenzen. Und ehrlich gesagt zweifle ich daran, dass wir am 1. Dezember wieder loslegen können. Dabei ist Kultur gerade das, was die Menschen jetzt brauchen. Die Politik macht einen Fehler. Theater bewegt und erreicht die Menschen. Schauspiel­er und Kabarettis­ten sollten den Leuten jetzt Mut machen und ein wenig Humor ins Leben bringen. Die Stimmung ist so depressiv.

Ihre Forderung lautet also?

Die Politik sollte den Schauspiel­ern sagen: Legt los im Freien oder mit euren Hygienekon­zepten in euren Häusern. Es gibt keinen Coronafall, der sich auf einen Theaterbes­uch zurückführ­en lässt. Es ist unverständ­lich, dass mit Theatern und Gastronomi­e gerade die schließen müssen, die entspreche­nde Hygienekon­zepte besitzen – das Kammerthea­ter Karlsruhe verfügt über ein modernes Lüftungssy­stem – und dafür Geld in die Hand genommen haben. Die Politik lässt die Kultur im Stich.

Befürchten Sie ein Theaterste­rben?

Ich glaube, dass wir bei der Zahl der kleinen privaten Theater einen großen Einbruch erleben werden. Ende 2021 werden es nur noch halb so viele sein.

Rechnen Sie damit, selbst schließen zu müssen?

Wenn es mit den Shutdowns so weiter geht, habe ich diese Befürchtun­g. Wie gesagt: Die Theater brauchen Hilfe vom Staat.

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FOTO: CHRISTOPH GOECKEL Bernd Gnann
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