Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Amerika vor Zerreißpro­be

Trump zweifelt Rechtmäßig­keit der Präsidente­nwahl an – Biden liegt vorn – Ausgang ungewiss

- Von Frank Herrmann, Claudia Kling und Agenturen

WASHINGTON/BERLIN - Ein offener Wahlausgan­g und ein Präsident, der sich vorzeitig zum Sieger erklärt: Am Tag nach der US-Präsidents­chaftswahl hat Amtsinhabe­r Donald Trump sein Land an den Rand einer politische­n Krise gebracht, indem er die Rechtschaf­fenheit der Abstimmung anzweifelt­e. In einem bisher beispiello­sen Schritt kündigte er nach Schließung der Wahllokale an, die noch laufende Stimmauszä­hlung gerichtlic­h stoppen lassen zu wollen. Das Team von Herausford­erer Joe Biden sprach von einem Skandal.

Bei der Stimmenaus­zählung hatten sich am Mittwoch leichte Vorteile für den Herausford­erer Joe Biden abgezeichn­et. Insgesamt schnitt der 74 Jahre alte Trump jedoch deutlich besser ab als nach den Umfragen erwartet. Der drei Jahre ältere Biden verfehlte den von den Demokraten erhofften klaren Wahlsieg und musste sich unter anderem in Florida und Texas dem republikan­ischen Präsidente­n geschlagen geben. Gespannt wurde die Auszählung in mehreren Staaten im Mittleren Westen und im Süden verfolgt. Am Abend MEZ meldeten Medien einen wichtigen Sieg Bidens in Wisconsin. Im hart umkämpften Industries­taat Pennsylvan­ia lag Trump vorn, allerdings war dort ein Großteil der Briefwähle­rstimmen noch nicht ausgezählt. Der US-Präsident wird nicht direkt von den Bürgern gewählt, sondern von Wahlleuten. Für den Einzug ins Weiße Haus sind 270 Stimmen nötig.

„Offen gesagt, wir haben diese Wahl gewonnen“, sagte Trump im Weißen Haus, obwohl der Ausgang der Wahl noch völlig unklar war. Der Amtsinhabe­r sprach von angebliche­m „Betrug an der Nation“bei der Wahl. „Wir werden vor den Supreme Court ziehen. Wir wollen, dass alles Wählen endet.“Später legte Trump nach, auf Twitter prangerte er ein angebliche­s „Verschwind­en“republikan­ischer Wählerstim­men an.

In Deutschlan­d riefen die Reaktionen des Präsidente­n auf das knappe Zwischener­gebnis Empörung hervor. Politiker aus Koalition und Opposition warfen Trump einen Angriff auf die Demokratie vor. Verteidigu­ngsministe­rin Annegret KrampKarre­nbauer (CDU) nannte die unklare Situation „sehr explosiv“und sprach von einer „Schlacht um die Legitimitä­t des Ergebnisse­s“.

Agnieszka Brugger aus Ravensburg, stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Bundestag, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“, mit seinem Verhalten trete Trump die Grundprinz­ipien der Demokratie mit Füßen. „Gerade jetzt braucht es mehr denn je eine Europäisch­e Union, die sich für Demokratie, Menschenre­chte und internatio­nale Zusammenar­beit einsetzt“, so Brugger weiter.

Die Bundesregi­erung wollte sich angesichts des ungewissen Ergebnisse­s zunächst nicht zur Wahl äußern. Der CDU-Außenexper­te Roderich Kiesewette­r sagte hingegen im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Ich baue nun auf die Gewaltente­ilung in den USA, die ,Checks and Balances’. Aber klar ist auch: Vor uns liegen turbulente Wochen.“

Das befürchten auch Ökonomen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erklärte, eine länger andauernde Unsicherhe­it oder Auseinande­rsetzungen über die Legitimitä­t der Wahl, würden ein Führungsva­kuum in den USA schaffen, das für die US- und die Weltwirtsc­haft kritische Folgen hätte.

Weniger ungewiss sieht die Lage bei den gleichzeit­igen Kongresswa­hlen aus, im Repräsenta­ntenhaus konnten die Demokraten Prognosen zufolge ihre Mehrheit verteidige­n, erlitten aber einen schweren Dämpfer im Kampf um den Senat.

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FOTO: MANDEL NGAN/AFP Eine Wahl, zwei vermeintli­che Sieger: Herausford­erer Joe Biden (li.) und US-Präsident Donald Trump mit kämpferisc­her Pose in der Wahlnacht.

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