Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Das Recht auf schlechten Stil
Im Talmud steht geschrieben, dass der Mensch Gottes Stolz sei und die Kleidung wiederum der Stolz des Menschen. Das Heer der Modedesigner wird dem natürlich unumwunden zustimmen. Denn wenn der Stolz des Menschen vom Fummel abhängig ist, den er sich an den Leib heftet, gibt es für die Textilwarenindustrie immer ordentlich was zu tun: vom Schlüpfer, über das Hochzeitskleid bis hin zum letzten Hemd, das keine Taschen hat. Nicht zu vergessen natürlich den Pyjama.
Dass Kleider Leute machen, war dem Supermarktleiter Frank Schneider
aus Duisburg natürlich immer bewusst. Und so legt der 43-Jährige auch großen Wert auf die eigene Erscheinung. Das schließt mit ein, auch bei seinen Kunden auf ein Mindestmaß an textilem Anstand zu bestehen, was kürzlich eine Mutter mit ihrem Kinde deutlich zu spüren bekam. Als die beiden nur in Schlafanzüge gehüllt versuchten, bei Herrn Schneider einzukaufen, verwies dieser sie des Ladens mit dem Hinweis: „Personen mit Morgenmantel oder Schlafanzug haben keinen Zutritt zu unserem Laden.“Das konsequente Einschreiten des Marktleiters ist in unseren streitlustigen Zeiten natürlich nicht ganz ungefährlich. Denn selbstredend werden Anhänger des legeren Bettgewandes ins Feld führen, dass ihnen mit dem Einkaufsverbot die verfassungsrechtliche Freiheit auf schlechten Stil und miserable Manieren genommen werde.
Ob die betreffende Mutter per Eilantrag schon Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat, war zum Zeitpunkt dieser Niederschrift noch nicht klar. Wir aber rechnen fest damit. (nyf)