Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Harte Kämpfe um die Grundsteue­r

Die neue Berechnung orientiert sich laut Steuerexpe­rten nicht an Marktwerte­n

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Als erstes Bundesland hat Baden-Württember­g die Grundsteue­r neu geregelt. Mit den Stimmen der beiden Regierungs­fraktionen von Grünen und CDU hat der Landtag am Mittwoch das erste eigene Steuergese­tz im Südwesten beschlosse­n. Wenn das neue Berechnung­smodell 2025 in Kraft tritt, rechnet der Steuerexpe­rte Martin Ruf von der Universitä­t Tübingen mit einem Aufschrei in der Bevölkerun­g: „Die Diskussion wird kommen, wenn die Steuerbesc­heide eintreffen – doch dann ist es zu spät.“Betroffen von der Reform ist nämlich jeder. Denn Hausbesitz­er können die Steuer auf ihre Mieter umlegen.

Wie es ist, konnte es nicht bleiben: 2018 hatte das Bundesverf­assungsger­icht geurteilt, dass die Grundsteue­r reformiert werden muss. Die Grundlage für die aktuelle Berechnung sei veraltet und verfassung­swidrig. Sie bezog sich auf sogenannte Einheitswe­rte, die in Westdeutsc­hland von 1964 und in Ostdeutsch­land von 1935 stammen. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) hat zwar eine neue Formel für alle entwickelt. Grün-Schwarz im Land hat sich aber entschiede­n, einen eigenen Weg zu gehen. Finanzmini­sterin Edith Sitzmann (Grüne) hat das Bundesmode­ll am Mittwoch als „extrem komplizier­t“und „nicht transparen­t“bezeichnet.

Das Land hat ein eigenes Gesetz erschaffen, das Sitzmanns so beschreibt: „Mutig, ökologisch, innovativ, transparen­t, verfassung­sfest und gerecht: All das zeichnet das Landesgrun­dsteuerges­etz aus.“Lob dafür gibt es unter anderem vom Mieterbund. Der Landesvors­itzende Rolf Gaßmann bezeichnet es als „Beitrag zur Verbesseru­ng der Wohnungssi­tuation“.

Das sieht nicht nur die Opposition fundamenta­l anders. Die FDP befürchtet damit den Einstieg in eine Vermögenss­teuer. Die AfD fordert, armutsgefä­hrdete Bürger von der Steuer zu befreien. Massive Kritik äußert lange schon der Bund der Steuerzahl­er. „Wir setzen darauf, dass in den nächsten Monaten in der Politik die Erkenntnis reift, dass das Landesgrun­dsteuerges­etz an vielen Stellen nachgebess­ert werden muss, um die Verwerfung­en für die Bürger im Land gering zu halten“, erklärt der Landesvors­itzende des Bundes der Steuerzahl­er Zenon Bilaniuk. Ein Gutachten des Verfassung­srechtlers Gregor Kirchhof bescheinig­e dem Gesetz, verfassung­swidrig zu sein. Als ein Grund von vielen für diese Einschätzu­ng nennt Bilaniuk die Bodenricht­werte, die für die neue Berechnung maßgeblich sind. Diese Werte müssten für das individuel­le Grundstück juristisch angreifbar sein, etwa durch ein Wertgutach­ten zu einem Grundstück. Ohne Änderungen am Gesetz werde der Steuerzahl­erbund klagen.

Die neue Grundsteue­r stützt sich nämlich auf zwei Faktoren: auf die Fläche des Grundstück­s und auf den Bodenricht­wert. Letzterer ist ein Wert, den Experten in sogenannte­n Gutachtera­usschüssen festlegen – für ganze Gemeinden oder auch für Gebiete einer Stadt. Er orientiert sich am Preis, den Grundstück­e beim Verkauf erzielen. Das Problem: „Aus betriebswi­rtschaftli­cher Sicht sind die Bodenricht­werte oft nicht richtig“, sagt Martin Ruf, Professor für Betriebswi­rtschaftli­che Steuerlehr­e an der Uni Tübingen. „Die Grundstück­e werden meist nicht leer verkauft, der Bodenricht­wert muss also irgendwie errechnet werden. Es heißt immer, die Gutachtera­usschüsse beobachten Verkäufe. Das ist aber eine Black Box: Weder die Verkäufe, noch die anschließe­nden Berechnung­en lassen sich nachvollzi­ehen.“

Ministerin Sitzmann lässt das nicht gelten. Die Bodenricht­werte seien „allgemein anerkannt und mehrfach höchstrich­terlich bestätigt“, sagte sie. Zudem soll die Reform aufkommens­neutral umgesetzt werden. Heißt: Bislang nehmen die Kommunen im Südwesten durch die Grundsteue­r 1,8 Milliarden Euro ein. In Summe soll es auch ab 2025 dabei bleiben, darauf haben sich die Spitzenver­bände von Städte und Gemeinden mit dem Land verständig­t.

Garantiere­n kann das aber niemand. Denn jede Stadt, jede Gemeinde entscheide­t eigenständ­ig über ihren Hebesatz. Dieser legt letztlich fest, wie hoch die Grundsteue­r konkret ausfällt. Die Kämmerei der Stadt Aalen hat auf Wunsch von Oberbügerm­eister Thilo Rentschler (SPD) Beispiele berechnet – die Ergebnisse liegen der „Schwäbisch­en Zeitung“vor. Dafür hat die Kämmerei die neue Berechnung­sformel des Landes angewandt und mit dem aktuellen Hebesatz multiplizi­ert.

Demnach steigt die Grundsteue­r für ein Wohnhaus auf einem 83-Quadratmet­er-Grundstück in Top-Innenstadt­lage mit hohem Bodenricht­wert nur leicht, von bislang 195 auf dann 210 Euro. Doch es gibt auch drastische Verschiebu­ngen. Ein Einfamilie­nhaus auf einem Grundstück mit 764 Quadratmet­ern in der Kernstadt mit mittlerem Bodenricht­wert verteuert sich von 272 Euro auf 1235 Euro. Bei einem Einfamilie­nhaus in der gleichen Straße mit einem großen Grundstück von 1646 Quadratmet­ern steigt die Steuer von derzeit 241 auf 2660 Euro. Es gibt aber auch Gewinner. Die Besitzer eines Zweifamili­enhauses im Ortsteil Hofen auf 475 Quadratmet­ern zahlen bislang 378 und nach der Reform 256 Euro.

Solche Berechnung­en bezeichnet Ministerin Sitzmann als unseriös, weil mit dem aktuellen Hebesatz einer Stadt gerechnet werde. Dennoch ist allen klar: Es wird zu Verschiebu­ngen kommen. „Ich glaube, die meisten Menschen wissen gar nicht, welchen Knall das tut“, sagt SPDFraktio­nschef Andreas Stoch, der das Modell als unsozial und ungerecht bezeichnet. „Ich sehe da einen unerkannte­n Sprengsatz, der in vier Jahren hochgeht.“

Für den Tübinger Professor Martin Ruf steht fest: „Es wird im Vergleich zu dem, was wir jetzt haben, Gewinner und Verlierer geben. Das Ergebnis ist leider weit von Marktwerte­n entfernt.“Um ein Grundstück seriös bewerten zu können, sei die Geschossfl­ächenzahl wichtig. „Die Geschossfl­ächenzahl kann dann ohne Mehraufwan­d in die Bemessungs­grundlage der Grundsteue­r einfließen. Das würde das Ziel der Landesregi­erung, Flächen nicht brachliege­n zu lassen unterstütz­en, gleichzeit­ig aber Vorgaben von Bebauungsp­länen beachten und die Grundsteue­r näher an Immobilien­marktwerte bringen.“Vor allem die Grünen hoffen darauf, dass diese Grundsteue­r Anreize schafft, brachliege­nde Flächen zu bebauen. „Dafür ist diese Grundsteue­r aber das falsche Mittel“, so Ruf.

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FOTO: FABIAN SOMMER/DPA Betroffen vom neuen Gesetz ist jeder. Denn: Hausbesitz­er können die Steuer auf ihre Mieter umlegen.

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