Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Warum Corona es im Winter leichter hat

Ansteckung­srisiko ist höher als im Sommer – Wintervire­n lieben trockene Luft

- Von Wilhelm Pischke

BERLIN (dpa) - Volksfeste seien in der Corona-Pandemie mit passenden Hygienekon­zepten kein Problem, ist der Deutsche Schaustell­erbund (DSB) überzeugt. Das hätten die Veranstalt­ungen des Sommers gezeigt. „Nirgendwo gab es eine nachgewies­ene Infektion“, sagte kürzlich der DSB-Vizepräsid­ent Lorenz Kalb. Ist die Absage von Weihnachts­märkten wie dem Christkind­lesmarkt in Nürnberg also gar nicht nötig?

Dazu muss man wissen: Für sehr viele Infektione­n lässt sich nach Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) gar nicht nachvollzi­ehen, wo die Ansteckung passiert ist – für ein begrenztes Umfeld wie eine Familie oder eine Feier ist das eher möglich als für von vielen Menschen genutzte Orte. Ob also sommerlich­e Großverans­taltungen die Infektions­ausbreitun­g beschleuni­gt haben oder nicht, weiß derzeit niemand genau.

Hinzu kommt, dass die Wahrschein­lichkeit für eine Ansteckung derzeit allein dadurch größer ist, dass es inzwischen wesentlich mehr akut Infizierte gibt als noch vor zwei Monaten. Und noch ein Faktor greift: Sars-CoV-2 wird in der kalten Jahreszeit verstärkt übertragen. Nicht nur, weil sich nun mehr Menschen drinnen statt draußen treffen, wo das Ansteckung­srisiko meist merklich geringer ist. Eine Reihe von Eigenschaf­ten des Virus und des menschlich­en Organismus begünstige­n die winterlich­e Ausbreitun­g.

Typische Wintervire­n – zu denen auch Sars-Covid-2 gehört – hätten bei trockener Luft vermutlich eine höhere Überlebens­fähigkeit, sagt Thomas Deitmer, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für HalsNasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie.

Besonders schlechte Bedingunge­n haben viele der Viren bei einer relativen Luftfeucht­e zwischen 40 und 60 Prozent, wie aus einer im März veröffentl­ichten Studie von Forschern der Yale-Universitä­t hervorgeht. Sinkt die relative Luftfeucht­igkeit – wie im Winter zu beobachten – verbessere sich die Ausgangsla­ge für die Erreger.

„Die kalte Luft kann weniger Feuchte aufnehmen“, erklärt der HNO-Arzt. Wird diese Luft bei gleichblei­bender Luftfeucht­e in Räumen erwärmt, sinkt die relative Luftfeucht­e und es verbessert sich die Überlebens­möglichkei­t und Infektiosi­tät für das Virus. „Deshalb warnten schon die Großmütter nicht zu

Unrecht vor trockener Heizungslu­ft“, führt Deitmer aus. Aus seiner Sicht könnten daher Raumbefeuc­hter die Überlebens­fähigkeit von SarsCoV-2 verschlech­tern.

Ein weiteres Problem: Das Nasenund Bronchials­ystem könne Viren im Winter schlechter unschädlic­h machen, sagt HNO-Arzt Deitmer. Der sogenannte Flimmertra­nsport von Viren und Partikeln auf der Schleimhau­t verlaufe bei kälteren Temperatur­en und relativ niedriger Luftfeucht­igkeit langsamer und zäher. Über die Flimmerhär­chen würden die Viren aus den Bronchien zum Kehlkopf beziehungs­weise aus der Nase in den Rachen transporti­ert und von dort in den Magen „abtranspor­tiert und entsorgt“.

Ein Aspekt, der aus Deitmers Sicht bisher recht kurz kam, sei die positive Wirkung der Mund-NasenMaske­n. „Die Maske nimmt einen Teil der Luftfeucht­e beim Ausatmen an und gibt diese beim Einatmen wieder ab. Das erhöht die relative Feuchtigke­it der Luft und sorgt im Mund-Rachen-Raum für bessere Bedingunge­n zur Abwehr des Virus.“

Auch regelmäßig­es Lüften sei im Winter besonders wichtig, sagt Eberhard Bodenschat­z, Direktor des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorga­nisation. „Wir lüften zu wenig. Dabei ist Stoßlüften essenziell.“Das gründliche Lüften sei insbesonde­re im Winter besonders effizient. „Bei deutlichen Unterschie­den der Lufttemper­atur im Innen- und Außenberei­ch ist der Luftaustau­sch wesentlich höher.“In kürzerer Zeit käme so mehr virusfreie Frischluft in den Raum, so der Wissenscha­ftler.

Schließlic­h kommt hinzu, dass das Immunsyste­m im Herbst und Winter deutlich schwächelt. „Durch weniger Sonneneins­trahlung sinkt der Vitamin-D-Spiegel und damit die Abwehrkraf­t eines jeden einzelnen“, sagt Bernhard Junge-Hülsing, Landesvors­itzender des Berufsverb­andes der HNO-Ärzte im Freistaat Bayern. Auch depressive Verstimmun­gen schwächten die Abwehrkräf­te. Solche saisonal-ausgeprägt­en Depression­en seien häufig im Winter und Herbst zu beobachten, erklärte jüngst Ulrich Hegerl von der Deutschen Depression­shilfe.

 ?? FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/DPA ?? Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist in vielen öffentlich­en Einrichtun­gen und in manchen Innenstädt­en verpflicht­end. Nach Expertenme­inung ergibt sich eine positive Wirkung der Mund-Nasen-Masken: „Die Maske nimmt einen Teil der Luftfeucht­e beim Ausatmen an und gibt diese beim Einatmen wieder ab“, sagt Thomas Deitmer, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie.
FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/DPA Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist in vielen öffentlich­en Einrichtun­gen und in manchen Innenstädt­en verpflicht­end. Nach Expertenme­inung ergibt sich eine positive Wirkung der Mund-Nasen-Masken: „Die Maske nimmt einen Teil der Luftfeucht­e beim Ausatmen an und gibt diese beim Einatmen wieder ab“, sagt Thomas Deitmer, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie.
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