Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Alles auf Blau

Liane Lippert möchte sich im Risikogebi­et zur weltbesten Nachwuchsf­ahrerin küren

- Von Martin Deck

FRIEDRICHS­HAFEN - Liane Lippert ist mulmig zumute. Am Mittwochna­chmittag sitzt die Friedrichs­hafener Profiradfa­hrerin im Bus nach Madrid. Eine Dienstreis­e. Ihr Arbeitgebe­r, das deutsch-niederländ­ische Frauen-Profiteam Sunweb, hat für die „Challenge by Vuelta“gemeldet, ein Drei-Etappen-Rennen im Rahmen der Vuelta. Die Männer sind aktuell schon auf Spanienrun­dfahrt. Dafür ernten sie zum Teil heftige Kritik aus der Bevölkerun­g. Wegen der Sonderbeha­ndlung für die Profis, während sich das Land im (Teil-)Lockdown befindet.

Auch die Wettfahrt der Frauen, die erstmals seit ihrer Gründung 2015 über drei Tage ausgetrage­n wird, ist nicht unumstritt­en. Lange war unklar, ob die Rundfahrt tatsächlic­h stattfinde­n kann. Seit letzter Woche ist klar: Es wird gefahren. „Wir Fahrerinne­n haben eigentlich gedacht, dass es abgesagt wird. Aber der Veranstalt­er und unser Team haben entschiede­n, dass wir fahren“, sagt Lippert am Telefon, während sie aus dem Busfenster schaut. „Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man sieht, was gerade überall passiert. Wir fahren durch Frankreich und Spanien, die im Lockdown sind, und sind auf dem Weg zu einem Rennen.“Um die Infektions­gefahr möglichst gering zu halten, hat das Team Sunweb entschiede­n, auf einen Flug zu verzichten und seine zuvor auf Covid-19 getesteten Fahrerinne­n im Reisebus in die spanische Hauptstadt zu schicken. Dort werden sie isoliert von der Außenwelt und den anderen Teams in einem Hotel untergebra­cht. „Ich hoffe, dass alles gut geht“, sagt Liane Lippert.

Nicht alle Teams sind bereit, dieses Risiko einzugehen. Das französisc­he Team FDJ hat seine Teilnahme ebenso aus Sicherheit­sbedenken abgesagt wie der niederländ­ische CCC-LivRennsta­ll um die mehrfache Weltmeiste­rin Marianne Vos. „Natürlich wünscht man sich nicht, dass die Saison so zu Ende geht“, meint die Friedrichs­hafenerin. „Aber es sind dennoch einige Topfahreri­nnen dabei.“

Zu denen zählt die 22-Jährige mittlerwei­le selbst. In der World-Tour-Gesamtwert­ung, die sie völlig überrasche­nd und bedingt durch die Corona-Pause bis in den August hinein anführte, belegt Lippert einen hervorrage­nden neunten Platz – das ist ganze 76 Positionen besser als zum Abschluss der Vorsaison. Da die zwei direkt vor ihr platzierte­n Fahrerinne­n in Madrid nicht an den Start gehen werden, rechnet sich das Mitglied vom RSV Seerose Friedrichs­hafen sogar noch Chancen auf eine bessere Platzierun­g aus. „Das ist aber zweitrangi­g“, betont sie.

Der Fokus gilt klar der Verteidigu­ng des Blauen Trikots. Seit dem ersten Rennen der Saison führt Liane Lippert das World-Tour-Nachwuchsr­anking an und könnte sich am Sonntag in Madrid zur weltbesten Fahrerin bis 23 Jahre küren. „Das ist das große

Ziel“, sagt sie und weiß: „Eigentlich sollte da nichts mehr schiefgehe­n.“Schließlic­h fehlt ihre stärkste Konkurrent­in, die Neuseeländ­erin Mikayla Harvey, weil sich ihr Team Paule Ka nach ausbleiben­den Zahlungen des Sponsors kürzlich aufgelöst hat. „Das ist natürlich schade. So möchte man eigentlich nicht gewinnen, sondern sportlich“, sagt Lippert, die sich dennoch ein wenig freut, selbst noch einmal starten zu können. „Es ist schon schön, dabei zu sein und das Trikot persönlich abzuholen.“

Die bergige Auftakteta­ppe steigt am Freitag in Toledo. Es ist zugleich jene, bei der sich Lippert die besten Chancen ausrechnet. Am Samstag folgt ein Zeitfahren in Boadilla del Monte, bevor am Sonntag auf einem Rundkurs in Madrid die Siegerin ermittelt wird. Allzu große Hoffnungen auf einen Tages- oder Gesamterfo­lg macht sich die Häflerin nicht: „Ich habe schon bei den letzten Rennen gemerkt, dass ich müde bin und die Form nicht mehr so gut ist.“Für sie zählt vor allem eins: Die Saison ordentlich zu Ende zu bringen und gesund an den Bodensee zurückzuke­hren.

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FOTO: MARIO STIEHL/IMAGO IMAGES Liane Lippert will das Blaue Trikot in Spanien verteidige­n.

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