Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Kein Leben ist zu 100 Prozent kaputt“
Depressionen sind gerade bei jungen Menschen nicht selten – Doch es gibt Wege aus der Krise
KREIS RAVENSBURG - Ein junger Mensch leidet an Depressionen und denkt irgendwann über Suizid nach. In solchen Fällen sind Freunde und Familienangehörige oft überfordert. Wie kann geholfen werden? Ein neuer Verein im Landkreis Ravensburg will das Thema aus der Tabu-Zone holen und aufzeigen, wo man Unterstützung bekommt.
Der Impuls zur Vereinsgründung entstand aus einer großen persönlichen Betroffenheit von Freunden und Verwandten nach dem Suizid eines Jugendlichen. Joachim Müller aus Fronhofen, heute zweiter Vorsitzender des Vereins, erinnert sich an damals: „Ich war hilflos“, sagt er. „Da hab ich mir die Frage gestellt: Wie geht man damit um, wenn man erkennt, dass jemand Probleme hat, wenn sich jemand öffnet und sagt, dass er Depressionen hat und schon über Suizid nachgedacht hat?“
Ähnliche Fragen stellten sich auch andere aus dem Umfeld des Jugendlichen. Schnell waren sie sich einig: Diese Dinge werden zu wenig thematisiert, es braucht eine InfoMöglichkeit. „Lasst uns Kids informieren“, heißt deshalb die Devise des neuen Vereins. Der Vereinsname „Luki“setzt sich aus den Anfangsbuchstaben dieses Satzes zusammen.
Laut dem deutschen Caritasverband ist Suizid unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen zehn und 25 Jahren die häufigste Todesursache. „Luki“wendet sich deshalb an Menschen unter 25. Im Fokus stehen dabei die Themen Depressionen und Suizid. Vereinsvorsitzender Simon Beck aus Zußdorf erklärt, man wolle die verschiedenen Perspektiven von Betroffenen und Angehörigen beleuchten. Und er betont: „Wir selbst sind keine Fachleute, keine Mediziner oder Psychologen. Aber wir können aufzeigen, wo man sich Hilfe holen kann.“
Der Verein hat eine Homepage erstellt sowie Plakate und Flyer gedruckt, auf denen Telefonnummern und Internetadressen von Hilfsangeboten vermerkt sind. Außerdem möchten die Mitglieder das Thema in die Schulen tragen. Zum einen, weil sie Lehrer dafür sensibilisieren wollen. Zum anderen, weil sie bei jungen Menschen das Bewusstsein „für diese gefährliche und oftmals unterschätze Krankheit“schärfen wollen. Denn Depressionen und psychische Krankheiten seien nach wie vor Tabuthemen. So plant der Verein etwa Workshops und Projekttage, zusammen mit Lehrern und Fachleuten wie zum Beispiel Ärzten des ZfP. Unterstützung bekommt der Verein
„Luki“auch von außerhalb des Landkreises: Lean Malin Wejwer aus Trossingen, Preisträger des Bundeswettbewerbs für junge Lyrik, kennt Einsamkeit und Verzweiflung aus eigenem Erleben und hatte selbst lange Zeit Suizidgedanken. Als angehender Lehrer und Autor setzt sich Lean Malin Wejwer heute für mehr Wertschätzung von Vielfalt ein und möchte junge Menschen dazu ermutigen, zu sich selbst zu stehen. Darum geht es auch in seinem Buch mit dem Titel „Schule versenken“.
„Es sollte noch viel mehr solche Vereine wie ,Luki’ geben“, sagt Wejwer. „Denn jeder, der über dieses Thema redet, macht das Richtige.“Der heute 23-Jährige erzählt, wie es ihm als Jugendlicher mit seinen Depressionen erging: „Ich habe erlebt, dass Freunde unsicher waren und Witze gemacht haben.“Sein Rat: „Es ist besser, wenn man versucht, irgendwas zu tun, als wenn man vor lauter Angst gar nichts macht.“Eine seiner Lehrerinnen habe sich damals getraut, ihn auf das Thema anzusprechen. Das sei gut gewesen, sagt Wejwer. Man sollte Betroffenen anbieten, über das Thema zu reden, auch wenn man nicht immer gleich Erfolg damit habe. „Ein Freund hat mir zum Beispiel immer wieder angeboten, mich in eine Klinik zu fahren. Meine Antwort war jahrelang Nein. Aber irgendwann hab ich Ja gesagt.“Und was kann man selbst tun, wenn man merkt, dass man depressiv ist, vielleicht auch Suizidgedanken hat? „Man sollte den Mut haben, sich jemandem anzuvertrauen – auch wenn man vielleicht Angst hat, sich blöde Kommentare anhören zu müssen“, sagt Lean Malin Wejwer. Nicht nur Freunde und Familienangehörige könnten dabei Ansprechpersonen sein, auch anonyme Beratungsstellen, Telefonseelsorge sowie Beratungslehrer oder andere Ansprechpartner in der Schule.
„Wenn man Suizidgedanken hat, heißt das nicht, dass alles blöd ist, sondern dass im Moment zu viel blöd ist“, sagt der 23-Jährige. „Kann sein, dass man mit 99,8 Prozent der Dinge gerade nicht klarkommt, aber dann gibt es immer noch 0,2 Prozent, die okay sind, und die muss man finden. Kein Leben ist zu 100 Prozent kaputt.“