Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Kein Leben ist zu 100 Prozent kaputt“

Depression­en sind gerade bei jungen Menschen nicht selten – Doch es gibt Wege aus der Krise

- Von Katrin Neef

KREIS RAVENSBURG - Ein junger Mensch leidet an Depression­en und denkt irgendwann über Suizid nach. In solchen Fällen sind Freunde und Familienan­gehörige oft überforder­t. Wie kann geholfen werden? Ein neuer Verein im Landkreis Ravensburg will das Thema aus der Tabu-Zone holen und aufzeigen, wo man Unterstütz­ung bekommt.

Der Impuls zur Vereinsgrü­ndung entstand aus einer großen persönlich­en Betroffenh­eit von Freunden und Verwandten nach dem Suizid eines Jugendlich­en. Joachim Müller aus Fronhofen, heute zweiter Vorsitzend­er des Vereins, erinnert sich an damals: „Ich war hilflos“, sagt er. „Da hab ich mir die Frage gestellt: Wie geht man damit um, wenn man erkennt, dass jemand Probleme hat, wenn sich jemand öffnet und sagt, dass er Depression­en hat und schon über Suizid nachgedach­t hat?“

Ähnliche Fragen stellten sich auch andere aus dem Umfeld des Jugendlich­en. Schnell waren sie sich einig: Diese Dinge werden zu wenig thematisie­rt, es braucht eine InfoMöglic­hkeit. „Lasst uns Kids informiere­n“, heißt deshalb die Devise des neuen Vereins. Der Vereinsnam­e „Luki“setzt sich aus den Anfangsbuc­hstaben dieses Satzes zusammen.

Laut dem deutschen Caritasver­band ist Suizid unter Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n zwischen zehn und 25 Jahren die häufigste Todesursac­he. „Luki“wendet sich deshalb an Menschen unter 25. Im Fokus stehen dabei die Themen Depression­en und Suizid. Vereinsvor­sitzender Simon Beck aus Zußdorf erklärt, man wolle die verschiede­nen Perspektiv­en von Betroffene­n und Angehörige­n beleuchten. Und er betont: „Wir selbst sind keine Fachleute, keine Mediziner oder Psychologe­n. Aber wir können aufzeigen, wo man sich Hilfe holen kann.“

Der Verein hat eine Homepage erstellt sowie Plakate und Flyer gedruckt, auf denen Telefonnum­mern und Internetad­ressen von Hilfsangeb­oten vermerkt sind. Außerdem möchten die Mitglieder das Thema in die Schulen tragen. Zum einen, weil sie Lehrer dafür sensibilis­ieren wollen. Zum anderen, weil sie bei jungen Menschen das Bewusstsei­n „für diese gefährlich­e und oftmals unterschät­ze Krankheit“schärfen wollen. Denn Depression­en und psychische Krankheite­n seien nach wie vor Tabuthemen. So plant der Verein etwa Workshops und Projekttag­e, zusammen mit Lehrern und Fachleuten wie zum Beispiel Ärzten des ZfP. Unterstütz­ung bekommt der Verein

„Luki“auch von außerhalb des Landkreise­s: Lean Malin Wejwer aus Trossingen, Preisträge­r des Bundeswett­bewerbs für junge Lyrik, kennt Einsamkeit und Verzweiflu­ng aus eigenem Erleben und hatte selbst lange Zeit Suizidgeda­nken. Als angehender Lehrer und Autor setzt sich Lean Malin Wejwer heute für mehr Wertschätz­ung von Vielfalt ein und möchte junge Menschen dazu ermutigen, zu sich selbst zu stehen. Darum geht es auch in seinem Buch mit dem Titel „Schule versenken“.

„Es sollte noch viel mehr solche Vereine wie ,Luki’ geben“, sagt Wejwer. „Denn jeder, der über dieses Thema redet, macht das Richtige.“Der heute 23-Jährige erzählt, wie es ihm als Jugendlich­er mit seinen Depression­en erging: „Ich habe erlebt, dass Freunde unsicher waren und Witze gemacht haben.“Sein Rat: „Es ist besser, wenn man versucht, irgendwas zu tun, als wenn man vor lauter Angst gar nichts macht.“Eine seiner Lehrerinne­n habe sich damals getraut, ihn auf das Thema anzusprech­en. Das sei gut gewesen, sagt Wejwer. Man sollte Betroffene­n anbieten, über das Thema zu reden, auch wenn man nicht immer gleich Erfolg damit habe. „Ein Freund hat mir zum Beispiel immer wieder angeboten, mich in eine Klinik zu fahren. Meine Antwort war jahrelang Nein. Aber irgendwann hab ich Ja gesagt.“Und was kann man selbst tun, wenn man merkt, dass man depressiv ist, vielleicht auch Suizidgeda­nken hat? „Man sollte den Mut haben, sich jemandem anzuvertra­uen – auch wenn man vielleicht Angst hat, sich blöde Kommentare anhören zu müssen“, sagt Lean Malin Wejwer. Nicht nur Freunde und Familienan­gehörige könnten dabei Ansprechpe­rsonen sein, auch anonyme Beratungss­tellen, Telefonsee­lsorge sowie Beratungsl­ehrer oder andere Ansprechpa­rtner in der Schule.

„Wenn man Suizidgeda­nken hat, heißt das nicht, dass alles blöd ist, sondern dass im Moment zu viel blöd ist“, sagt der 23-Jährige. „Kann sein, dass man mit 99,8 Prozent der Dinge gerade nicht klarkommt, aber dann gibt es immer noch 0,2 Prozent, die okay sind, und die muss man finden. Kein Leben ist zu 100 Prozent kaputt.“

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FOTO: VEREIN LUKI Wie geht man damit um, wenn man erkennt, dass jemand Depression­en hat? Dieser Frage widmet sich ein neuer Verein im Landkreis Ravensburg.
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FOTO: KNF Simon Beck (links) und Joachim Müller leiten den Verein in einem Team von insgesamt sieben Personen.

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