Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die Frau, die Häuser zum Erzählen bringt

Beate Falk hat im Ravensburg­er Stadtarchi­v die Geschichte Jahrhunder­te alter Gebäude erforscht

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Beate Falk erinnert sich an ihren ersten Besuch in Ravensburg als junge Frau aus Göppingen vor mehr als 40 Jahren. Die vielen Türme und alten Häuser haben sie beeindruck­t, obwohl ihrer Erinnerung nach damals alles grau und unsaniert war. „Ich habe mich da schon gefragt, was steckt wohl hinter den Fassaden? Aber damals gab es nichts, keinen gescheiten Stadtführe­r.“Wenig später bewarb sie sich auf eine Stelle im Stadtarchi­v. Inzwischen kennt sie unzählige Details aus der Vergangenh­eit der historisch­en Gemäuer in Ravensburg. Im Frühjahr 2021 geht sie in Pension – zum Abschluss ihrer Laufbahn würde sie sich aber gerne noch einen Traum erfüllen.

Als Beate Falk, an der Archivschu­le Marburg und dem Hauptstaat­sarchiv Stuttgart zur Diplomarch­ivarin ausgebilde­t, im Stadtarchi­v anfing, war nur wenig aus dem Archiv veröffentl­icht. Für sie war der Bestand ein Schatz, der Dokumente enthielt, die bis zum Jahr 1270 zurückreic­hten. Alfons Dreher hatte das Archiv aufgebaut, geordnet und die politische­n Abfolgen in Ravensburg dargestell­t. Für Beate Falk war klar, dass der Schwerpunk­t ihrer Arbeit sein soll, Ravensburg­ern und den Besuchern der Stadt die historisch­e Bausubstan­z mithilfe des Wissens aus dem Archiv zu erklären.

Dass die Altstadt Ende der 1980erJahr­e in ein Sanierungs­programm aufgenomme­n wurde, war für die Häuserfors­chung in Ravensburg unter Beate Falk ein Katalysato­r. In der Oberstadt wurden die ersten historisch­en Häuser entkernt, um sie dank Förderung mit moderner Infrastruk­tur auszustatt­en. „Bei diesen Arbeiten kamen tolle Dinge zum Vorschein: gotische Decken, Wandmalere­ien“, erzählt Falk. „Und dann ist die Frage an mich hier aufgeschla­gen, auch vom Denkmalamt: Was war das für ein Haus? Das war die Geburtsstu­nde der Hausforsch­ung.“

In einem Häuschen am Obertor, das von etwa 1400 stammt, waren die alten Wände, die beim Umbau freigelegt wurden, tiefschwar­z. Daraufhin machte sich Beate Falk auf die Suche nach Spuren dieses Hauses in ihrem Archiv. In Steuerbüch­ern wurde sie fündig und konnte herauslese­n, dass es 500 Jahre lang als Schmiede genutzt wurde, deren Feuer die Wände rußschwarz gefärbt hatte.

Wie ein Detektiv machte sie sich in alten Kaufbücher­n, Bauplänen, Testamente­n auf die Suche nach Informatio­nen zu einem Haus und seiner Geschichte. „Den nötigen Spürsinn dafür hatte ich immer schon“, sagt die heute 63-Jährige. Mancher Recherche-Ansatz habe auch mal in die Irre geführt. „Da muss man dann beharrlich sein und Ideen entwickeln, wie man weiterkomm­t.“Im Keller des Archivs zeigt sie ein altes Steuerbuch, in dem die Eintragung­en wohl mit Feder und Tinte gemacht wurden. „Klar, die Handschrif­ten muss man lesen können, als Archivar lernt man das“, sagt sie.

In ihrer weiteren Erforschun­g der Geschichte von Oberstadth­äusern hatte Beate Falk, die immer mit Restaurato­ren

und Bauforsche­rn Hand in Hand arbeitete, bald eine wegweisend­e Erkenntnis für die Ravensburg­er Stadtgesch­ichte: In der Oberstadt gehörten viele Häuser, die man für eigenständ­ig hielt, ursprüngli­ch zu großen Anwesen. Sie dienten als Rückgebäud­e, etwa Bad- und Waschhäuse­r der Patrizierf­amilien, sodass diese nahezu autark leben konnten, wie Falk berichtet. „Das hat die Stadtgesch­ichte aufgewerte­t, weil es gezeigt hat, wie reich die Patrizier hier residiert haben.“Immer wieder begegnen ihr dieselben Namen: „Schon damals hatten einige Menschen viele Häuser. Die Immobilien­besitzer kannte ich dann irgendwann schon.“

Einer, in dessen Geschichte sie tief eingetauch­t ist, ist Hans Humpis. Ab 1593 gibt es Ratsprotok­olle aus Ravensburg, die Beate Falk dabei geholfen haben, die einstigen Stadtbewoh­ner kennenzule­rnen. Wenn sie nach deren Namen sucht, kann sie nachlesen, welche Anträge sie beim Rat gestellt haben, ob sie mit ihrem Nachbarn gestritten und welche Dinge sie verkauft haben. Sie arbeitet maßgeblich am Konzept des Museums Humpis-Quartier mit. Für den Audioguide des Museums und Filmsequen­zen, die dort gezeigt werden, hat sie die Gerberfaml­ie Wucherer lebendig werden lassen.

Museumslei­terin Sabine Mücke beschreibt diese Arbeit als „wahnsinnig mühevoll“und im Ergebnis fürs Museum sehr wertvoll. Fürs Museum sei Beate Falk auch die erste Adresse, wenn bei der Erarbeitun­g von Ausstellun­gskonzepte­n Informatio­nen oder Fotos aus dem Stadtarchi­v gebraucht werden. „Sie kennt das Archiv wie keine andere“, so Mücke. „Da liegen die schriftlic­hen Quellen der Stadt und sie hat immer eine Idee, wo man noch nachschaue­n könnte. Das ist wahnsinnig wertvoll.“

Die wertvollen, aber oft gut versteckte­n Informatio­nen in alten Dokumenten nicht nur zu finden, sondern sie auch Menschen zugänglich zu machen, das war und ist Beate Falks Antrieb. „Es war immer mein Ziel, das was hier als Geschichte gelagert wird, rauszubrin­gen an die Leute. Es bringt ja nichts, wenn es hier im Keller liegt.“

Deshalb hat sie auch einen bislang unerfüllte­n Wunsch: „Mein Traum wäre ein Ravensburg­er Häuserbuch“, sagt Beate Falk. Bisher stehen die von ihr recherchie­rten Hausgeschi­chten – vom kleinen Handwerker­häuschen in der Unterstadt bis zum Patriziera­nwesen in der Oberstadt – in Ordnern aufgereiht im Stadtarchi­v. Beate Falk wertet es immerhin als „Teilerfolg“, dass es inzwischen einen gedruckten Stadtrundg­ang gibt, in dem Gebäude erklärt sind. „Ich habe auch Stadtführu­ngen konzipiert, damit Fremde die Einzigarti­gkeit der Stadt erkennen können, indem sich ihnen die Seele der Häuser erschließt.“In vielen anderen alten Reichsstäd­ten gebe es heute Geschichts­vereine, die solche Veröffentl­ichungen organisier­en oder Hausforsch­ung in ihren Jahrbücher­n veröffentl­ichen – das fehle in Ravensburg. Sie hat die Hoffnung, dass die Stadt ein Interesse daran hat, diese Forschung gesammelt herauszubr­ingen.

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FOTO: LENA MÜSSIGMANN Beate Falk blättert im Ravensburg­er Stadtarchi­v in einem Steuerbuch von 1473.

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