Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Abgang eines Charakterk­opfs

Joe Kaeser legt bei Siemens seine letzte Bilanz vor – Als Vorstandsc­hef gehörte der Niederbaye­r zu den politischs­ten Managern überhaupt

- Von Christof Rührmair

MÜNCHEN (dpa) - Joe Kaeser ist fertig. Der scheidende Siemens-Chef hat den Konzern umgebaut wie kaum einer seiner Vorgänger. Statt dem einen großen Tanker Siemens gibt es jetzt mindestens drei Konzerne dieses Namens: Siemens, Siemens Healthinee­rs (Medizintec­hnik) und Siemens Energy. Gerade hat das Unternehme­n zudem noch seine Tochter Flender verkauft. Der Laden ist aufgeräumt und Kaeser tritt ab.

Mit der Hauptversa­mmlung im Februar soll der Wechsel vom Niederbaye­rn auf seinen Nachfolger Roland Busch vollzogen werden. Eigentlich wäre es jetzt Zeit für die Abschiedst­our. Seit Oktober hält Busch die operativen Zügel schon weitgehend in der Hand. Die Jahresbila­nz am Donnerstag war Kaesers letzte in dem Unternehme­n, das sein Leben über Jahrzehnte geprägt und dem er seinen Stempel aufgedrück­t hat.

Und er konnte zufrieden sein: Trotz Corona legte der scheidende Chef bei der Jahresbila­nz einen Milliarden­gewinn vor. Zwar sank das Ergebnis im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr um ein Viertel, doch unter dem Strich stehen immer noch 4,2 Milliarden Euro. Dabei half ein Schlussspu­rt im vierten Geschäftsq­uartal: Alleine von Juli bis September verdiente Siemens 1,9 Milliarden Euro.

Siemens habe „ein bemerkensw­ertes Geschäftsj­ahr mit einem starken vierten Quartal abgeschlos­sen“, sagte Kaeser. Das Unternehme­n sei „hervorrage­nd aufgestell­t“, nachdem es in den vergangene­n Monaten sein Energieges­chäft als Siemens Energy an die Börse gebracht und die Antriebsto­chter Flender für rund zwei Milliarden Euro verkauft hat.

Die Abspaltung von Siemens Energy sorgte für eine massive Veränderun­g beim Umsatz: Vor einem Jahr war er noch mit 86,8 Milliarden Euro ausgewiese­n worden, jetzt waren es 57,1 Milliarden Euro. Auf vergleichb­arer Basis – also ohne Siemens Energy – ergab sich ein leichter Rückgang um zwei Prozent.

Kaeser kann sich damit zugute halten, Siemens bisher solide durch die Krise geführt zu haben. Keine roten Zahlen – auch weil er das Unternehme­n in seinen Jahren an der Spitze auf Marge getrimmt hat. Einen Jobabbau wegen Corona schließt Kaeser aus, zuletzt gab es sogar eine Prämie für die Mitarbeite­r.

Verkündet wurde die Zahlung von Kaeser selbst. Per Twitter spurtete er seinem Kommunikat­ionsteam voraus. Den Kurznachri­chtendiens­t hat er immer wieder genutzt – oft auch für Themen jenseits von Siemens. Kaum ein Chef eines DaxKonzern­s twittert so politisch. Er nimmt die Bundeskanz­lerin gegen Kritik in Schutz, positionie­rt sich deutlich gegen Rechtsextr­emismus und Antisemiti­smus. Dieses Engagement hat Kaeser auch Ärger eingebrach­t. 2019 erhielt er eine Morddrohun­g, die der streitbare Manager auf Twitter mit den Worten „der Teufel hat jetzt auch E-Mail“öffentlich machte. Die allermeist­en seiner Tweets bereue er nicht, sagte Kaeser jüngst den „Nürnberger Nachrichte­n“. „Ich halte es für wichtig, dass man sich bei bestimmten Themen positionie­rt. Da muss man dann aber auch mit den Konsequenz­en leben.“

Auch auf Kritik an Siemens reagierte er immer wieder über den Kurznachri­chtendiens­t – mit geteiltem Erfolg. So rückte die Kritik an der Siemens-Beteiligun­g am umstritten­en Adani-Kohleabbau in Australien erst so richtig ins Licht, nachdem Kaeser auf Twitter versproche­n hatte, sich die Sache genauer anzusehen. Nach ausführlic­her Bedenkzeit und einem Gespräch mit Klimaaktiv­istin Luisa Neubauer entschied er am Ende,

dass der Vertrag erfüllt werden müsse – und fing sich einen Shitstorm der enttäuscht­en Adani-Gegner ein.

Kaeser wolle gemocht werden, heißt es von Menschen, die lange mit ihm zu tun haben. Die Kritik der Klimaaktiv­isten dürfte ihn aber nicht nur deswegen geschmerzt haben, sondern auch, weil er selbst Siemens immer wieder als großen Klimaschüt­zer darstellt, der bei seinen Kunden helfe, riesige Mengen CO2 einzuspare­n.

40 Jahre ist Kaeser inzwischen bei Siemens. 1980 war er noch unter dem Namen Josef Käser in den Konzern eingetrete­n. Sein Werdegang führte ihn auch in die USA, wo sein Vorname kürzer wurde und der Umlaut im Nachnamen weichen musste. 2006 wurde er Finanzvors­tand, 2013 Vorstandsv­orsitzende­r. Kaeser hat bewegte Zeiten bei Siemens erlebt: Seine beiden Vorgänger Klaus Kleinfeld und Peter Löscher mussten den Siemens-Chefsessel vorzeitig räumen. Kaeser betont gerne, dass es mit ihm nun wieder einen geregelten Wechsel gebe.

Kaeser kann auch hart sein. Immer wieder gab es in seiner Zeit Stellenabb­au-Programme. „In seiner Zeit als Vorstandsv­orsitzende­r standen oft Margenorie­ntierung, Um- und Abbau sowie die Zerglieder­ung des Unternehme­ns im Mittelpunk­t“, sagt die Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzende Birgit Steinborn. „Damit hatten wir einige Interessen­konflikte, besonders im Energieber­eich kam es zu massiven Auseinande­rsetzungen um Arbeitsplä­tze und Standorte.“Insgesamt habe man mit ihm aber „sachlich und auf Augenhöhe verhandelt“.

Auch für die IG Metall war Kaeser „ein harter, aber immer ein fairer und berechenba­rer Verhandlun­gspartner“, wie Jürgen Kerner sagt, der für die Gewerkscha­ft im Aufsichtsr­at sitzt. „Was uns am Ende über alle Differenze­n hinweg selbst in großen Konflikten an einen Tisch brachte, war das Bestreben, das Beste für das Unternehme­n und seine Beschäftig­ten zu finden – auch, wenn wir über den Weg zu diesem Ziel noch so unterschie­dlicher Meinung waren.“

Und auch Steinborn sieht eine „klare Übereinsti­mmung“mit Kaeser: „Sein Engagement gegen jegliche Form von Diskrimini­erung, Ausgrenzun­g, Hass und Nationalis­mus bei Siemens und in der Gesellscha­ft unterstütz­en und teilen wir.“

Kaeser selbst blickte am Donnerstag auf seine Zeit an der SiemensSpi­tze so zurück: „Insgesamt gesehen haben wir im Laufe der Jahre eine wirklich gute und besonders zuverlässi­ge Erfolgsser­ie geliefert.“Er sei stolz darauf, was Siemens erreicht habe. „Es hätte mehr sein können, vielleicht sogar sollen, aber vielleicht nicht unbedingt müssen.“

Der Frage, ob er sich vorstellen könne, in zwei Jahren als Aufsichtsr­at zu Siemens zurückzuke­hren, ließ Kaeser unbeantwor­tet.

 ?? FOTO: FRANK HOERMANN/SVEN SIMON/IMAGO IMAGES ?? Joe Kaeser, scheidende­r Chef von Siemens: Sein politische­s Engagement hat ihm auch Ärger eingebrach­t.
FOTO: FRANK HOERMANN/SVEN SIMON/IMAGO IMAGES Joe Kaeser, scheidende­r Chef von Siemens: Sein politische­s Engagement hat ihm auch Ärger eingebrach­t.

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