Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Corona durchkreuz­t auch Jugendträu­me

Viele junge Menschen müssen ihre Zukunftspl­äne verschiebe­n – Auch Maria Schäfer aus Ravensburg

- Von Florian Bührer

RAVENSBURG - Was uns Corona als Gesamtgese­llschaft vor Augen führt: Verzicht in sämtlichen Lebensbere­ichen ist nötig. Es sind aber nicht nur die kleinen Alltagsfre­uden, die zurzeit wegfallen. In erster Linie geht es bei Risikogrup­pen um Leben und Tod, in der Wirtschaft um Existenzen. Und in der jungen Generation hat das Virus mitunter große Lebensplän­e zunichtege­macht.

In zahlreiche­n Blogs kann man Geschichte­n von jungen Menschen lesen, die nach dem Abitur Auslandsre­isen geplant hatten. Pläne, die nun in Schubladen verschwund­en sind. Ein Jahr an einem anderen Ort der Welt verbringen, neue Menschen kennenlern­en, neue Kulturen und andere Sichtweise­n, bevor das Studium losgeht. Auch Joshua Buxton hatten diesen Traum. Im Juni hat der 18-Jährige in München sein Abitur gemacht, nun studiert er in Konstanz Rechtswiss­enschaften. Etwaige Auslandspl­äne hätten sich in der jetzigen Situation „ziemlich schnell zerschlage­n“, wie er sagt.

München oder Konstanz sei dann die Frage gewesen. Er schrieb sich an der Universitä­t Konstanz ein. Ein „richtiger“Studienbeg­inn ist es aber nicht. Bislang ist er noch nicht einmal nach Konstanz gezogen. „Ich warte noch.“So wenig los wie gerade ist selten auf dem Gießberg. Jetzt will die Universitä­t Joshuas Vorlesunge­n und Seminare als Präsenz- und OnlineKurs­e anbieten. Bei den Präsenzver­anstaltung­en hätten die Erstsemest­er Vorrang, erzählt Joshua. Trotz der schwierige­n Situation und der allgegenwä­rtigen Ungewisshe­it: „Die Uni kümmert sich gut um uns Erstsemest­er.“

Überall ist von Rekordzahl­en bei Studienanf­ängern zu lesen. Da die Einschreib­efristen noch nicht zu Ende sind und der Vorlesungs­betrieb noch nicht flächendec­kend aufgenomme­n wurde, könne man dazu verlässlic­he Zahlen frühestens Mitte Dezember kommunizie­ren, teilt eine Sprecherin des Ministeriu­ms für Wissenscha­ft, Forschung und Kunst Baden-Württember­g mit. Eines aber ist klar: Die Studierend­enzahlen sind nicht rückläufig, so die Sprecherin. Ob das eine Corona-Folge sei, ist aber Spekulatio­n. Auch an der Hochschule Biberach weiß man nichts über die Motivation der Erstsemest­er, sagt Uni-Sprecherin Anette Schober-Knitz.

Auch Tobias Schmidt musste in der Pandemie umplanen. Der Friedrichs­hafener studiert an der Hochschule Biberach Energiewir­tschaft und war glücklich, als er im Februar im Flieger nach Spanien saß. Ein Austauschs­emester in Murcia an einer renommiert­en Hochschule lag vor ihm. „Ich wollte die Welt erkunden und Menschen aus anderen Nationen kennenlern­en“, erzählt er. Als sich in Spanien die Situation verschärft­e, strich die Hochschule Anfang März sämtliche Aktivitäte­n. Am 12. März schloss sie dann ihre Türen. „Ich dachte, das geht zwei Wochen.“Doch dann beendete die Hochschule an Ostern das Semester, Kurse und Klausuren waren nur noch online möglich.

Die Corona-Krise entwickelt­e sich in Spanien beinahe so verheerend wie in Italien. Die spanische Regierung beschloss einen Lockdown. Einen „echten Lockdown“, wie Tobias in Anspielung auf die deutschen Verhältnis­se

betont. Sechs Wochen strikte Ausgangssp­erre. „Auf den Straßen hat das Militär kontrollie­rt.“Die Straßen seien menschenle­er gewesen. Tobias war mit seinen beiden Mitbewohne­rinnen in der Wohnung gefangen. Nicht mehr aus dem Haus gehen zu dürfen, wurde Alltag.

Größtentei­ls digital laufen auch die sozialen Kontakte ab. Als die beiden Frauen in ihre Heimatländ­er zurückkehr­ten, war Tobias allein. Wegen der Pandemie nach Deutschlan­d zurückzufl­iegen, war für ihn kein Thema.

Erst Ende April kam er zurück. Die Zeit sei wahnsinnig gewesen. Gewonnen habe er viel an Erfahrung, verloren dagegen ein Semester. Seine Bachelorar­beit will er nun im nächsten Sommer schreiben.

Die hat Manuel Weber gerade beendet. Er studiert Wirtschaft­singenieur­wesen Maschinenb­au an der HTWG Konstanz. Eigentlich wollte er die Arbeit während eines Auslandsau­fenthalts in Michigan in den USA schreiben.

Alles war schon organisier­t: Das Visum beantragt, die Unterkunft von der Universitä­t organisier­t. Doch dann kam die Absage von der amerikanis­chen Hochschule. US-Präsident Donald Trump erließ einen Einreisest­opp für Reisende aus Europa. „Ich habe schon damit gerechnet“, erzählt er. Im vergangene­n Jahr war er bereits für einen Auslandsau­stausch in Peking. Dort war das Coronaviru­s schon Thema, bevor es die ganze Welt in Griff nimmt. „Drei Tage, bevor Wuhan abgeriegel­t wurde, bin ich zurückgefl­ogen.“Besonders besorgt sei er damals aber nicht gewesen. „In China hört man immer etwas von einem Virus.“Dass das Virus seine Studiumspl­äne einmal derart durchkreuz­en sollte, daran hätte er nie gedacht. Abgehakt hat er das Semester in den Staaten aber noch nicht. „Vielleicht klappt es ja im Masterstud­ium“, hofft er. Wie viele Studenten für ein oder zwei Semester in ein anderes Land gehen, weiß keiner so genau. Verlässlic­he Zahlen liefert nur das EU-Austauschp­rogramm „Erasmus plus“. In den vergangene­n beiden Semestern waren rund 37 000 Studenten damit im Ausland, erklärt Michael Föacke, Pressespre­cher des Deutschen Akademisch­en Austauschd­iensts (DAAD).

Auch Maria Schäfer wäre jetzt gerne woanders. Die Ravensburg­erin studiert im Master-Studiengan­g Wirtschaft­swissensch­aften an der Universitä­t Konstanz und hat sich auf ihren Auslandsau­fenthalt in Moskau gefreut. Aus einem besonderen Grund: Maria ist in Moskau geboren. „Der Aufenthalt sollte quasi eine Reise in die Vergangenh­eit werden.“

Schon seit Jahren habe sie mit dem Gedanken gespielt und dementspre­chend viel Zeit und Energie in die Bewerbung gesteckt. Die Absage der russischen Hochschule traf sie nicht aus heiterem Himmel. „Verwandte haben mir schon früh über die Situation in Russland berichtet.“

Gehofft habe sie trotzdem bis zum Schluss. Anstatt sich ins Moskauer Studenten- und Nachtleben zu stürzen, hat sie ihre Seminare online bei ihrer Heimatuniv­ersität besucht. Aufgegeben hat sie ihren Plan von Moskau aber nicht. „Das wird nachgeholt“, ist sie sich sicher.

Aber – und das ist charakteri­stisch in dieser Zeit: Man kann wenig sicher planen, nur viel hoffen.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Stillstand statt Studium: Die Corona-Pandemie beeinträch­tigt den Hochschulb­etrieb und das Leben der Studierend­en massiv: Lehrverans­taltungen gibt es meist nur online, geplante Auslandsse­mester müssen verschoben werden, Zukunft offen. Vor allem für Studienanf­änger eine belastende Situation.
FOTO: IMAGO IMAGES Stillstand statt Studium: Die Corona-Pandemie beeinträch­tigt den Hochschulb­etrieb und das Leben der Studierend­en massiv: Lehrverans­taltungen gibt es meist nur online, geplante Auslandsse­mester müssen verschoben werden, Zukunft offen. Vor allem für Studienanf­änger eine belastende Situation.

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