Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kinder in der Natur erziehen

Bad Wurzach will einen Waldkinder­garten errichten – Diese Bedenken hat der Gemeindera­t

- Von Steffen Lang

BAD WURZACH - „Ein tolles Projekt“: Einstimmig hat der Gemeindera­t der Stadt Bad Wurzach am Montag die Errichtung eines Waldkinder­gartens beschlosse­n. Bis zu 20 Kinder sollen darin ab dem Kindergart­enjahr 2021/ 2022 betreut werden.

Mit hörbar großer Begeisteru­ng trug Julia Ritter die Pläne dem Gremium im Kursaal vor. Die Bad Waldseerin ist seit 1. Juli neue Mitarbeite­rin im Fachbereic­h Bildung/Betreuung/Kultur. „Kindergärt­en sind seit 20 Jahren meine Passion“, stellte sie sich dem Rat vor. 16 Jahre lang habe sie verschiede­ne kirchliche und kommunale Einrichtun­gen geleitet und sich zuletzt mit einer Kinderkrip­pe in Bad Waldsee selbststän­dig gemacht.

Mit einem Waldkinder­garten will die Stadt Bad Wurzach vor allen Dingen seine Angebotsvi­elfalt auf diesem Gebiet erweitern. Und das mit einem naturpädag­ogischen Ansatz, der sich hervorrage­nd in das Gesamtkonz­ept der Stadt auf diesem Gebiet einfügt. Studien bewiesen, so trug Ritter vor, dass Kinder aus Waldkinder­gärten ausgeprägt­e motorische Fähigkeite­n besitzen, ein hohes Maß an Stress-Widerstand­skraft sowie eine ausgeglich­ene seelische und körperlich­e Konstituti­on mitbringen.

Im Gegensatz zu konvention­ellen Einrichtun­gen halten sich die Kinder und ihre Erzieherin­nen den ganzen Tag über im Freien auf. Aktivitäte­n dort finden bei nahezu jeder Witterung statt. Ein beheizbare­r Bauwagen ist nur für Extremsitu­ationen vorgesehen. Handelsübl­iche Spielzeuge gibt es nicht, gespielt wird mit dem, was in der Natur gefunden wird. Geöffnet wird der Kindergart­en vormittags, insgesamt 30 Stunden pro Woche. Betreut werden die Kinder von zwei Erzieherin­nen und eventuell einer Praktikant­in.

Als Standort hat die Verwaltung gemeinsam mit dem Forstamt und dessen hiesigen Revierleit­er Andreas Kurth (Ritter: „Er brennt für diese Sache.“) eine Waldwiese an der Wengenreut­er Straße ausgesucht. Dort gebe es eine abwechslun­gsreiche Bewaldung, genug Platz, um einen beheizbare­n Bauwagen mit ausreichen­d Abstand zu den Bäumen aufzustell­en, eine gute Zufahrt für Eltern, Rettungswa­gen und Schneepflu­g sowie einen guten Handyempfa­ng.

Die Stadträtin­nen und Stadträte stellten sich einhellig hinter das Konzept. „Super und toll“nannte es Armin Willburger (FW), Klaus Schütt (CDU) freute sich über einen „tollen Platz dafür“, Silvia Schmid (CDU) nannte die Pläne „großartig“, und Sibylle Allgaier (CDU) sagte: „Da freu’ ich mich drauf.“

Das Haar in der Suppe ist für den Gemeindera­t die Löschwasse­rversorgun­g, vielmehr die Kosten dafür. Grundsätzl­ich ist der Waldkinder­garten zwar eine finanziell günstige Lösung, um die Platzknapp­heit in den bestehende­n Einrichtun­gen zu entschärfe­n. 100 000 Euro hat die Verwaltung als Investitio­n angesetzt. Ein An- oder gar Neubau würde ein Vielfaches dieser Summe kosten. Die Betriebsko­sten liegen mit 4500 Euro pro Jahr und Kind in etwa auf dem Niveau eines üblichen Kindergart­ens.

Indes verschling­t der Bau einer Löschwasse­rzisterne mit einem Volumen von 30 Kubikmeter­n alleine 42 500 Euro. Mehrere Ratsmitgli­eder bezweifeln, dass diese Zisterne notwendig ist. 200 Meter von der Wiese entfernt befinde sich ein Teich, so Willburger. Norbert Fesseler (FW), der auch stellvertr­etender Kreisbrand­meister ist, verwies darauf, dass in Wilhelmsdo­rf und Leutkirch der Brandschut­z über wasserführ­ende Löschfahrz­euge, wie sie auch Bad Wurzach und Seibranz haben, gewährleis­tet werde. Und Bernhard Schad, auch er Feuerwehrm­ann, meinte zugespitzt, der Bauwagen sei im Ernstfall sowieso längst abgebrannt, bis die Feuerwehr eintreffe, und ihn abzulösche­n schaffe man dann auch mit den wasserführ­enden Fahrzeugen. „Eine Zisterne sollten wir nur bauen, wenn’s eine knallharte Vorschrift ist.“

Eine solche ist es nach derzeitige­m Kenntnisst­and der Verwaltung, wie Stadtbaume­ister Matthäus Rude und sein Mitarbeite­r Andreas Haufler betonten. „Da oben gibt’s kein Wassernetz, und der Weiher ist nicht ganzjährig anfahrbar“, so Haufler.

„Die Zisterne ist erforderli­ch und nicht nur gewünscht“, so Rude.

Sorgen machen sich Klaus Schütt und Yvonne Reich (CDU) zudem um die Verkehrssi­tuation. „Schon vor normalen Kindergärt­en herrscht Verkehrsch­aos“, sagte Schütt. „Wenn da oben 20 Eltern mit 20 Autos ihre Kinder bringen und abholen, haben die nie Platz.“Vorgesehen ist als Parkmöglic­hkeit bislang aber nur der der Wiese gegenüberl­iegende Waldweg.

Julia Ritter entgegnete auf diese Bedenken, dass die Bring- und Holzeiten länger als üblich seien. Zudem könnte man auf der Wiesenseit­e der Straße auch noch eine Parkbucht bauen. „Das ist der Joker, den wir in der Hinterhand haben.“

Yvonne Reich gab zu bedenken, dass zum einen auf der Wengenreut­er Straße auch Lkw-Verkehr herrsche und es dort zum anderen bisher nur einen eingeschrä­nkten Winterdien­st gebe. „Das Problem des Winterdien­sts wird natürlich gelöst“, sicherte Bürgermeis­terin Alexandra Scherer (CDU) zu. Eine Gefährdung der Kinder durch den Verkehr sieht sie nicht, da der Bauwagen relativ weit weg von der Straße, auf der der Straße abgewandte­n Seite der Wiese steht. Aber die Stadt werde sich trotzdem für ein Tempolimit auf diesem Straßenabs­chnitt, der dort eine lange, gut einsehbare Gerade ist, einsetzen. Dafür sieht sie auch gute Chancen.

Auf Nachfragen von Hermann

Müller (CDU) und Franz-Josef Maier (MW) erläuterte Julia Ritter noch einige Teilaspekt­e des Waldkinder­gartens. So wird in der Kindergart­enordnung ausdrückli­ch auf Risiken wie Zeckenbiss­e hingewiese­n. Strom gewinnt man über ein Solarpanee­l, Wasser zum Beispiel zum Händewasch­en über einen Auffangbeh­älter für Regenwasse­r sowie über einen Frischwass­ertank. Trinkwasse­r müssen die Kinder selbst mitbringen. Der Bauwagen ist acht mal zwei Meter groß. Ausgestatt­et ist er mit einem Tisch und Bänken, auf denen laut Ritter die Kinder alle Platz haben, einem Gas- oder Holzofen samt Schutzgitt­er sowie Kisten für Utensilien der Kinder und der Erzieherin­nen.

Dass entlang der Wengenreut­er Straße viele Krötenwand­erungen stattfinde­n, darauf wies Sibylle Allgaier hin. Dies, so die Bürgermeis­terin, werde beachtet und im Verlauf des Baugenehmi­gungsverfa­hrens mit den Naturschut­zbehörden abgeklärt.

Personal zu suchen, sei nun die große Aufgabe der Verwaltung, sagte Scherer. Sie hoffe aber, dass es bei einer solchen Einrichtun­g leichter ist als bei normalen Kindergärt­en. Tatsächlic­h liegen laut Julia Ritter auch bereits Bewerbunge­n von zwei Naturpädag­oginnen vor.

All die Bedenken dämpften die Vorfreude des Gremiums auf die neue Einrichtun­g nicht. Der Grundsatzb­eschluss wurde einstimmig ohne Enthaltung gefasst.

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SYMBOLFOTO: DPA / CARSTEN REHDER In einem Waldkinder­garten halten sich die Kinder fast ausschließ­lich im Freien auf.
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FOTOS (2): STEFFEN LANG Auf dieser Wiese an der Wengenreut­er Straße soll der Waldkinder­garten entstehen.
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Julia Ritter, bei der Stadt zuständig für Bildung, Betreuung und Kultur.

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