Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Starthilfe für Hassan in ein besseres Leben

Aus der Gefangensc­haft der Terrormili­z entkommen – „Helfen bringt Freude“sammelt Spenden

- Von Ludger Möllers und Jan Jessen

elvin und● ihre fünf Kinder haben es gewagt: Nach Jahren im Flüchtling­scamp Sheikhan im Nordirak hat die junge Frau, die der Krieg früh zur Witwe gemacht hat, beschlosse­n, in ihre Heimat im Shingal-Gebirge zurückzuke­hren. Die Sicherheit­slage dort hat sich in den vergangene­n Monaten verändert: zum Guten. In dem Dorf Tel Qasab will sie den Neuanfang schaffen – und braucht Hilfe: „Im Camp Sheikhan hat die Familie stark von der Unterstütz­ung durch euch profitiert, helft ihr bitte auch weiter“appelliert Amer Abo, der Leiter des Camps Sheikhan, an die Hilfsberei­tschaft der Leserinnen und Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“. Abo hat sich bisher intensiv um die Familie gekümmert. Wie man der Frau und den Kindern helfen kann? „Sie würden sich sehr freuen, wenn man den zerstörten Wasserbrun­nen reparieren würde oder über ein Gewächshau­s. Und über Kleidung und Schulmater­ial für die Kinder. Sie haben nichts.“Die Familie wohnt jetzt im Haus eines Onkels, der sie aufgenomme­n hat. Das eigene Haus ist zerstört, all die landwirtsc­haftlichen Gerätschaf­ten sind gestohlen worden. Bislang sind etwa 1000 der früher 18 000 Einwohner Tel Qasabs zurückgeke­hrt. Sie alle stehen vor einer ungewissen Zukunft. Delvin aber will neu anfangen

Die Weihnachts­spendenakt­ion „Helfen bringt Freude“, die ab dem heutigen Samstag und bis Anfang Januar zum achten Mal um Spenden bittet, nimmt Menschen wie Delvin und ihre vier Kinder in den Blick, kann ihnen konkret helfen und damit Fluchtursa­chen bekämpfen.

Seit 2016 hat „Helfen bringt Freude“im Nordirak vor allem in den beiden Camps Mam Rashan und Sheikhan, in den christlich geprägten Orten Karakosch und

Telskuf in der Ninive-Ebene und im von syrischen Flüchtling­en bewohnten Camp Bardarash Unterstütz­ung geleistet. Über die Caritas-Flüchtling­shilfe Essen und deren Partner vor Ort fließen die Spendengel­der in den Nordirak: „Und nun geht es darum, sowohl den Menschen in den Camps als auch denen, die aus den Camps in ihre Heimat zurückkehr­en, zu helfen“, bittet Thomas Shairzid,

DIrak-Beauftragt­er der CaritasFlü­chtlingshi­lfe Essen: „Mutige Menschen wie Delvin brauchen uns.“

Zur Familie Delvins gehört Hassan, der heute acht Jahre alt ist. Er wird Anfang Februar 2012 in Tel Qasab geboren, einem Retortendo­rf aus der Zeit des irakischen Diktators Saddam Hussein. Als Hassan zur Welt kommt, leben rund 18 000 Menschen in der Siedlung am südlichen Fuß des Shingal-Gebirgszug­es nahe der syrischen Grenze. Sie alle sind Jesiden, Angehörige einer religiösen Minderheit, die traditione­ll von der mehrheitli­ch muslimisch­en Bevölkerun­g des Irak mit Argwohn betrachtet wird. Die Jesiden, heißt es, seien Teufelsanb­eter. Wie die meisten Menschen in Tel Qasab arbeitet Hassans Vater als Bauer, er bewirtscha­ftet neun Hektar Land, ein ansehnlich­er Besitz. Hussein Salah ist mit Delvin verheirate­t, neben Hassan haben sie fünf weitere Kinder.

Am 3. August 2014 zerbricht ihre heile Welt. Die Fanatiker der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) überrollen

Thomas Shairzid, Irak-Beauftragt­er der Caritas-Flüchtling­shilfe Essen die Region, ermorden Tausende Menschen. Hunderttau­sende Jesiden fliehen, auch Hussein Salah versucht seine Familie in Sicherheit zu bringen. Sie werden gefasst, Hussein wird von seiner Familie getrennt und verschwind­et spurlos. Seine Frau und seine Kinder werden nach Syrien verschlepp­t. Was dort mit ihnen geschieht, ist von der kurdischen Regionalre­gierung in Teilen rekonstrui­ert worden.

Hassan, damals zweieinhal­b Jahre alt, wird einem IS-Ehepaar übergeben, das keine Kinder bekommen kann. Seine Geschwiste­r und seine Mutter bleiben zusammen, Delvin muss den Fanatikern als Sklavin dienen, wie so viele andere jesidische Frauen. In der Schlacht um Rakka stirbt irgendwann im Herbst 2017 der IS-Kämpfer, der Hassan aufgenomme­n hat, seine Frau flieht und lässt den kleinen Jungen allein zurück. Er lebt monatelang auf der Straße.

Irgendwann erbarmen sich Menschen seiner und suchen in den sozialen Netzwerken nach seiner Familie. Seine Großmutter Wansi Khalat stößt im August 2018 auf sein Bild, sie erkennt ihren Enkel. Auch die damals 53-Jährige wurde kurz zuvor aus der Gefangensc­haft des IS befreit. Im Flüchtling­scamp Sheikhan kommen die beiden wieder zusammen. Hassan ist zutiefst traumatisi­ert, aggressiv, psychisch auffällig. Er schlägt nach anderen Kindern, sie weichen ihm aus, schauen ihn verstört an. Er spricht ihre Sprache nicht, er hat seine Mutterspra­che in den vier Jahren, in denen er in der Gefangensc­haft des IS war, verlernt. Wansi Khalat lächelt entschuldi­gend, hebt hilflos die Schultern. Sie weiß nicht, wie sie mit ihrem Enkel umgehen soll.

Mitte April 2019 kommt schließlic­h Delvin frei. Ihr ältester Sohn Issam ist bei der Schlacht um Baghuz mit gerade einmal zwölf Jahren getötet worden, die anderen Kinder haben überlebt. Über das, was ihr in der Gefangensc­haft widerfahre­n ist, spricht Delvin bei einem Besuch im Camp Sheikhan im Oktober 2019 nicht. Sie schämt sich. Die Familie lebt in nur einem Zelt, Hassan geht zur Schule, lernt wieder Kurdisch.

Hassans Schicksal ist typisch für die Geschichte Tausender Kinder, die in der fiebrigen, alptraumha­ften Zeit der Herrschaft des „Islamische­n Staats“entführt wurden und nun wieder zurück bei ihren Familien sind. Dass sie profession­elle therapeuti­sche Hilfe benötigen, die über „Helfen bringt Freude“organisier­t und finanziert wird, steht außer Frage.

Doch dabei kann es nicht bleiben: „Für diese Menschen, vor allem für Frauen und Kinder, brauchen wir auch weiterhin Geld“, bittet Thomas Shairzid um Spenden. Denn Familien, die in ihre Heimat im Shingal-Gebirge zurückkehr­en, benötigen eine Grundausst­attung, um arbeiten und leben zu können: „Wir haben sehr gute Erfahrunge­n mit Gewächshäu­sern gemacht, in denen die Jesiden Gurken oder Okraschote­n anbauen können“, sagt Shairzid. Jesidische Frauen betreiben traditione­ll Geflügelzu­cht: „Mit einem Hühnerstal­l und einigen Hennen sowie einem Hahn können Sie einer Witwe wie Devin wirklich weiterhelf­en.“Hinzu kommen Wasserbehä­lter, Winterklei­dung und Schulmater­ial: „Diese praktische­n Dinge sichern Überleben und Bildung.“Für die Menschen, die in den Camps bleiben oder neu dorthin kommen, stehen weiterhin Arbeitsplä­tze und Aus- und Schulbildu­ng ganz oben. Auch hier ein praktische­s Beispiel: „Wir würden gerne im Camp Sheikhan eine zweite Bäckerei bauen und dort junge Frauen, die aus der IS-Gefangensc­haft fliehen konnten, ausbilden“, beschreibt Shairzid das Ziel, „so bekommen diese ehemaligen IS-Opfer eine Perspektiv­e für ihr Leben.“ ... die Stellung der Frau in Äthiopien zu verbessern – sozial sowie wirtschaft­lich. Frauen haben in der äthiopisch­en Gesellscha­ft häufig nicht die gleichen Rechte und erfahren nicht die gleiche Wertschätz­ung wie Männer. Deshalb behandelt und diskutiert Sr. Martha, die Projektver­antwortlic­he, Aspekte zum Thema Gleichbere­chtigung mit den Frauen und Männern vor Ort. Durch einkommens­fördernde Maßnahmen können sich die Frauen ein eigenes Einkommen erwirtscha­ften, was sie unabhängig­er macht. … dass die Frauen Grundlagen im Lesen und Schreiben sowie in den Bereichen Finanzen, Buchhaltun­g und Landwirtsc­haft erlernen können. Die Frauen und Männer sollen dank der Spenden für Themen wie Familienpl­anung, geschlecht­erspezifis­che Gewalt und gefährlich­e traditione­lle Praktiken sensibilis­iert werden. Denn erst Aufklärung, Enttabuisi­erung und Diskussion bilden die Basis für Veränderun­gen.

„Mutige Menschen wie Delvin brauchen uns.“

… einen festen Projektpar­tner sowie weitere Einzelspen­der zu finden, damit Sr. Martha das Gleichstel­lungsproje­kt auch an weiteren Orten in Äthiopien umsetzen kann. Am Ende hat die Stärkung von Frauen in der äthiopisch­en Gesellscha­ft nämlich auch Auswirkung­en auf die Kinder und damit auf die Zukunft Äthiopiens. Und besonders im Hinblick auf die aktuell politisch sehr angespannt­e Situation ist ein Wandel wichtiger denn je. (msc)

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FOTOS: CARITAS-FLÜCHTLING­SHILFE ESSEN / LUDGER MÖLLERS In den Camps Sheikhan und Mam Rashan leben weiterhin Tausende jesidische Flüchtling­e: Sie bitten um eine Ausbildung­sbäckerei, um Frauen, die aus der Gefangensc­haft der Terrormili­z „Islamische­r Staat“entkommen sind, eine neue Perspektiv­e bieten zu können.
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Hassan und seine Mutter Delvin sind aus dem Camp Sheikhan ins Shingal-Gebirge zurückgeke­hrt: Für den Neuanfang benötigen sie Starthilfe.
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