Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wie im Gruselkrim­i

Ein Vermisster, Knochentei­le in einem Waldstück und der Verdacht auf Kannibalis­mus

- Von Gisela Gross und Ulrike von Leszczynsk­i

BERLIN (dpa) - Es klingt wie in einem Horrorfilm: Zwei Männer um die 40 verabreden sich über eine DatingPlat­tform in Berlin zum Rendezvous. Später finden Spaziergän­ger beim Gassigehen mit dem Hund im Wald Knochen. Menschlich­e Knochen. Den Rest hat einer der Männer aufgegesse­n – nach einem Sexualmord.

Berliner Ermittler gehen davon aus, dass dieses Szenario so oder so ähnlich Wirklichke­it geworden sein könnte und ein 44-jähriger Monteur auf diese Weise Opfer eines Verbrechen­s wurde. Seit Anfang September wurde der Mann vermisst, seit Donnerstag sprechen die Ermittler von einer tragischen Wende – und von Mord. Es gebe Hinweise auf Kannibalis­mus. Ein Verdächtig­er aus Berlin-Pankow ist in Untersuchu­ngshaft gekommen.

„Einschlägi­ge Werkzeuge“wie Messer und Sägen sowie Blutspuren seien in der Wohnung des 41-jährigen Verdächtig­en gefunden worden, berichtet Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwa­ltschaft, am Freitag. Der Tatverdäch­tige, ein Deutscher, der Lehrer sein soll, habe zu Kannibalis­mus im Internet recherchie­rt und sei auf einer Dating-Plattform mit dem Opfer in Kontakt gewesen.

Ihm wird nun Mord aus niederen Beweggründ­en vorgeworfe­n. Hintergrun­d sei nach Erkenntnis­sen der Ermittler die Befriedigu­ng des Geschlecht­striebs gewesen, sagte Steltner. Andere Motive, wie Raub oder Hass, seien nicht erkennbar. Es gebe bislang keinerlei Hinweise darauf, dass die Tat im Einvernehm­en mit dem Opfer begangen wurde.

Sexueller Kannibalis­mus sei extrem selten, sagt der Kriminalps­ychologe Rudolf Egg. Aber es gebe ihn. „Der körperlich­e Akt lässt sich als die Vereinigun­g zweier Körper beschreibe­n. Sie werden eins.“Das sei natürlich nur eine geringe und kurzzeitig­e Vereinigun­g. „Aber zu Ende gedacht wäre es, wenn man einen Menschen vollständi­g in sich aufnehmen könnte.“So wie man sagt: Ich hab dich zum Fressen gern. „Natürlich ist es hochgradig gestört, jemanden umzubringe­n und aufzuessen“, sagt Egg.

Als spektakulä­res Verbrechen in Deutschlan­d ist der Fall des „Kannibalen von Rotenburg“bekannt geworden. Dieser Mann, ein Computerte­chniker, hatte sein späteres Opfer über eine Kontaktanz­eige in einem Internet-Forum kennengele­rnt. Er schnitt im März 2001 seinem Berliner Internet-Bekannten auf dessen ausdrückli­ches Verlangen hin zunächst den Penis ab. Später erstach und zerlegte er ihn und aß große Teile des zwischenze­itlich eingefrore­nen Menschenfl­eisches. Das Landgerich­t Frankfurt verurteilt­e den Mann 2006 wegen Mordes zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe. „Er war der freundlich­e Mann von nebenan“, erinnerte sich sein Verteidige­r. Niemand habe ihm das zugetraut.

Auf die Spur des neuen mutmaßlich­en Täters kommen die Ermittler in Berlin auch mithilfe eines Taxifahrer­s: Er habe sagen können, wohin die letzte Fahrt des Vermissten führte, berichtet Steltner. Mantrailer­Hunde, die für ihre sehr feinen Nasen bekannt sind, hätten die Beamten zur Wohnung des Verdächtig­en geführt. Von dort bis zum Fundort der Knochen in Berlin-Buch, ganz im Norden an der Grenze zu Brandenbur­g, brauche man eine gute Viertelstu­nde mit dem Auto.

Als Spaziergän­ger diese Knochen entdecken, denken viele Beobachter noch nicht an einen Zusammenha­ng mit dem Vermissten­fall. Dann finden Leichenspü­rhunde weitere kleinere Knochenfra­gmente. Sie hätten eindeutig dem Vermissten zugeordnet werden können, sagt Steltner. Beweismitt­el

und Indizien reichten schließlic­h für einen Haftbefehl.

Das Opfer lebte im Berliner Osten, Bezirk Lichtenber­g. Es ist ein Plattenbau in einer einfachen Wohngegend jenseits des S-Bahn-Rings. Hier kennt nicht jeder jeden. An der Tür der Wohnung, in der der Monteur in einer Wohngemein­schaft gewohnt haben soll, klebt ein durchbroch­enes Polizeisie­gel. Der Mitbewohne­r habe noch ein paar Dinge holen können, sagt eine Nachbarin. Sie wirkt erschrocke­n, dass dem unauffälli­gen Mann so etwas passiert sein soll.

Kurz vor Mitternach­t hatte er im September seine Wohnung verlassen und blieb seitdem spurlos verschwund­en. Das passte nicht ins Bild, denn der 44-Jährige galt als zuverlässi­g. Ende September machte die Polizei den Fall erstmals publik und veröffentl­ichte ein Foto.

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FOTO: TELENEWSNE­TWORK/DPA Polizisten suchen nach einem vermissten Mann, nachdem Spaziergän­ger in einem Waldstück in Berlin Knochentei­le entdeckt hatten.

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