Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Das Wilhelmsba­d ist Geschichte

Von der ersten Sauna in Isny bleibt nach mehr als 60 Jahren nur die Massagepra­xis

- Von Walter Schmid

ISNY - Das Ehepaar Elvira und Kurt Deller hat das Wilhelmsba­d mit Sauna, Massagepra­xis und Solarium genau 54 Jahre – die letzten 20 Jahre mit Hilfe der Tochter Sabine – als Familienbe­trieb geführt. Mitte dieses Jahres hätten sie sowieso den Saunabetri­eb beenden wollen, erzählen die Dellers. Corona habe das Ende vorverlegt.

Die Massagepra­xis bleibe geöffnet, aber auch dieses Angebot sei durch die Pandemie-Beschränku­ngen rückläufig. Die Menschen verzichtet­en in Corona-Zeiten auf das, was nicht unbedingt sein muss, vermutet Tochter Sabine, die denselben Beruf erlernt hat wie einst der Vater: Masseurin und medizinisc­he Bademeiste­rin.

„Als wir 1966 hier begonnen haben, wäre ein werbender Bericht in der Zeitung nötiger gewesen als heute“, meint der Seniorchef. „Heute, über ein halbes Jahrhunder­t später, haben wir, gerne über die Zeitung, eigentlich nur ’Danke’ zu sagen den vielen treuen Kunden, die teils durch Jahrzehnte unser Haus besucht und sich hier auch wohlgefühl­t haben.“Die Seniorchef­in schließt sich dem Dank an: „Die Gäste erlebten bei uns ein gutes, respektvol­les Miteinande­r und eine familiäre Atmosphäre.“

Man habe allerdings viel schaffen müssen: Tochter Sabine hat rückblicke­nd den Eindruck, „die Eltern haben für uns und unsere Gäste und Kunden alles richtig gemacht. Jetzt, nach 54 Jahren Betrieb, ist es stiller und ruhiger geworden, eine ziemliche Umstellung für die Eltern.“

Kurt Deller hat viel zu erzählen aus der Geschichte des 1936 von August Angele erbauten Hauses; er holt weit aus: König Wilhelm I. von Württember­g regierte von 1816 bis 1864. Anfang der 1840er-Jahre hat er sich in Isny mit der Schenkung eines Spitals erstmalig verewigt, es stand auf dem Areal des heutigen Baubetrieb­shofes.

Das Wilhelmsti­ft, die ehemalige Lungenheil­stätte, das spätere Isnyer Krankenhau­s, wurde nach dem Spenderkön­ig benannt; ebenso die Wilhelmstr­aße und 1936 auch das Wilhelmsba­d. Im Untergesch­oss habe damals eine Physiother­apeutin ihre Arbeit aufgenomme­n.

In vier kleinen Kabinen mit je einer Badewanne konnten die Isnyer ein Reinigungs­bad nehmen. „Die Isnyer Badeanstal­t“– das sei damals etwas Neues gewesen, ein hygienisch­er Fortschrit­t für die Bevölkerun­g. Angeblich sei vorgekomme­n, dass Besucher ein paar Scheite Holz für den Badeofen hätten mitbringen müssen. Vorher hätten die Leute zuhause in der Küche im Zinkzuber gebadet, nacheinand­er, der Dreckigste durfte zuletzt hineinstei­gen, wird berichtet.

In den Siedlungsh­äusern der 1950er-Jahre gab es für alle sechs oder acht Familien im Keller ein gemeinsame­s Badezimmer. Ab den 1960er-Jahren seien dann in vielen Häusern Badezimmer nachträgli­ch eingebaut worden. Die „Badeanstal­t Wilhelmsti­ft“ging damit zu Ende.

Ein Arzt und eine Apothekeri­n hätten August Angele bereits in den 1950er-Jahren dazu bewegt, seine

Badewannen auf zwei zu reduzieren und dafür eine Sauna einzubauen, erzählt Kurt Deller. Der Arzt habe auch für die Kundschaft gesorgt und Kriegsvers­ehrte aus dem Sportsanat­orium zur Sauna transporti­ert. Das sei so viele Jahre ganz gut gelaufen: Noch zwei Badewannen, Sauna und Krankengym­nastik.

„Bürgermeis­ter Karl-Wilhelm Heck, selbst ein Sauna-Liebhaber, hat mich 1966 dazu bewogen, das frei gewordene Haus zu übernehmen mit dem Schwerpunk­t Massageund Saunabetri­eb. Wir haben’s gemacht und das war gut so. 1975 konnten wir das Haus sogar kaufen und bald wurde gebaut, saniert und erweitert“, schildert Kurt Deller die Jahre in der Mitte seines berufliche­n Schaffens: Ende der 1970erJahr­e der Anbau mit drei Massageräu­men und Empfang auf der nördlichen Seite des Hauses, wo vorher der Zugang zur Badeanstal­t war.

Anfang der 1980er-Jahre kam der Anbau zur Wilhelmstr­aße und zum Bufflerweg für ein Schwimmbad und einen nicht einsehbare­n grünen Innenhof für die Saunagäste. Nebenher habe er noch im Schloss, dem „Stuttgarte­r Seniorenhe­im“, und im Versehrten­heim gearbeitet, und abends seien noch mit der Frau zusammen die Reinigungs­arbeiten dran gewesen – alles ohne fremde Arbeitskrä­fte.

Was wird aus dem Traditions­haus „Badeanstal­t Wilhelmsba­d“nach nunmehr insgesamt 84 Jahren? Wenn man die Anlage vermieten wolle, müsse man zu viel investiere­n, weil sich die Bestimmung­en geändert hätten, erklären die Dellers. Die heutige Generation wolle etwas erleben, zumindest eine WellnessOa­se drumherum. Außerdem gebe es eine Vielzahl von konkurrier­enden Angeboten. „Wir haben es in unserer Zeit richtig gemacht“, sind sich alle drei einig. „Wir blicken mit großem Dank an unsere treuen Gäste zurück, durch immerhin 54 Jahre, in denen wir dieses Haus geführt haben.“

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Das Wilhelmsba­d an der Wilhelmstr­aße in den 1950er-Jahren, hinten links die Felderhald­e.
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FOTO: WS Kurt Deller (von links), Tochter Sabine Königsberg­er und Elvira Deller.

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