Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Frisch aus der Quarantäne
Hoffenheim fehlen gegen Stuttgart zehn Spieler, der VfB hat dennoch großen Respekt
STUTTGART/HOFFENHEIM - Das Leben funktioniert wesentlich leichter, wenn man alle Unbillen mit Humor nimmt. Hoffenheins Sportchef Alexander Rosen etwa musste sich zuletzt mit ungewohnter Bürokratie herumschlagen – den Corona- und Gesundheitsbestimmungen in aller Welt nämlich. Kaum war ein TSG-Nationalspieler auf Länderspielreise, schon schien er sich mit dem Coronavirus angesteckt zu haben, was letztlich in einer eine Woche langen freiweilligen Mannschaftsquarantäne mündete.
Noch immer sind sieben Hoffenheimer in Isolation (Kevin Vogt, Sebastian Rudy, Robert Skov, Jacob Bruun Larsen, Munas Dabbur, Ishak Belfodil und Sargis Adamjan), und weil der Club zudem drei Verletzte beklagt (Benjamin Hübner, Ermin Bicakcic, Konstantinos Stafylidis) stellte er bei der DFL ein Gnadengesuch, das Derby gegen den VfB Stuttgart doch bitteschön um einen Tag auf Sonntag zu verlegen. Die Liga aber lehnte ab – laut Regularien muss eine Mannschaft antreten, wenn sie über 15 gesunde Spieler inklusive Torwart verfügt. Rosens Fazit über seinen Job: „Da sind sehr viele Dinge, die ich so in meiner Stellenausschreibung nicht finde.“
Immerhin: Seit Montag trainieren die Hoffenheimer wieder, auch Torjäger Andrej Kramaric, der sich ebenfalls infiziert hatte, ist nach sieben verpassten Pflichtspielen wieder fit. Mit dem kroatischen WM-Zweiten, der in drei Partien sechs Tore schoss, ist die TSG bedeutend stärker – der 29-Jährige ist der Ausnahmefußballer bei den Nordadenern.
VfB-Trainer Pellegrino Matarazzo, der immer noch im Kraichgau in der Nähe des Stadions wohnt, hat Respekt vor seinem früheren Club, bei dem er Assistent der Ex-Trainer Julian Nagelsmann und Alfred Schreuder war: „Hoffenheims Stärke ist der breite, ausgeglichene Kader, ich bin sicher, dass sie kein Problem haben, eine überdurchschnittliche Bundesliga-Mannschaft auf den Platz zu bekommen. Und sie werden noch schwerer ausrechenbar sein als sonst.“Wobei: In der Tabelle ist derzeit als Achter allein der VfB überdurchschnittlich (10 Zähler) – auswärts ist der Aufsteiger sogar noch ungeschlagen. Die TSG belegt lediglich Rang 13 (7), hat es aber immerhin geschafft, den FC Bayern zu schlagen, was mehr als überdurchschnittlich ist.
An guten Tagen, so der Eindruck, können beide Teams jeden schlagen. Auch der VfB wappnete sich in dieser
Woche gegen ein mögliches Überschwappen des Virus auf die Mannschaft. Borna Sosa und Darko Churlinov wurden isoliert, weil es in den U21-Teams von Kroatien und Nordmadzedonien mehrere Corona-Fälle gab, wurden nun aber negativ getestet und sind ebenso mit von der Partie wie die Stürmer Sasa Kalajdzic und Nicolas Gonzalez.
Für den Argentinier, der in den beiden Länderspielen in der Woche an der Seite Lionel Messis zwei Tore schoss, gab es erneut Sonderlob von Matarazzo. „Nico hat natürlich riesige Reisestrapazen hinter sich“, sagte er, „aber ich gehe davon aus, dass er spielen möchte und mit breiter Brust aufläuft. Wenn er sich gut fühlt, wird er sicherlich auf dem Platz stehen können – ob vorne oder links. Es ist ein guter Junge, ich mag ihn.“
Gedanken an einen baldigen Wechsel des 23-Jährigen verschwende er nicht, dafür macht sich Matarazzo diverse Gedanken über die defensiven Standardsituationen – sieben der bisher neun VfB-Gegentore fielen nach ruhenden Bällen, zuletzt auch beim 2:2 gegen Frankfurt. „Wir waren damals auf dem Feld die kleinere Mannschaft, allerdings bewusst, weil wir
Hoffenheim-Coach Sebastian Hoeneß uns für den Spielfluss entschieden haben“, sagt Matarazzo, der dennoch den kopfballstarken Neuzugang Waldemar Anton für den zuletzt wackligen Atakan Karazor bringen dürfte. Auch Daniel Didavi, dessen Vertrag wie jener von Kapitän Gonzalo Castro ausläuft und der zuletzt zweimal nicht in der Startelf stand, darf sich Hoffnung machen: „Daniel ist immer ein Mann für die Startelf, er hat Qualitäten, die den Sieg bringen können.“Brisant: Bei einer bestimmten Anzahl von Spielen verlängert sich der Vertrag Didavis, der der bestbezahlte Spieler ides VfB sein dürfte, automatisch. Sportdirektor Sven Mislintat sagt dazu: „Wenn er die entsprechende Anzahl an Spielen erreicht, hat er sich die Verlängerung auch verdient.“
Auch die Hoffenheimer hätten sich nach epidemiegeplagten fünf sieglosen Spielen so einiges verdient, glaubt zumindest Trainer Sebastian Hoeneß. „Natürlich fragt man sich zwischenzeitlich, was man eigentlich verbrochen hat“, sagte der 38-Jährige, für den das Spiel gegen Stuttgart ein besonderes ist. Hoeneß wurde einst im Nachwuchs des VfB als Spieler ausgebildet und 1999 mit der U 17 an der Seite von Kevin Kuranyi und Andreas Hinkel deutscher Meister. Auch sein Vater Dieter war einst beim VfB aktiv, auch seine Stellenausschreibung wechselte. Vier Jahre war er Spieler, fünf Manager, in Quarantäne musste er nie.
„Natürlich fragt man sich zwischenzeitlich, was man eigentlich verbrochen hat.“