Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Ich will nicht den Bauch wachsen lassen“
Handball-Rentner Martin Strobel über die aktuellen Probleme seines Sports
RAVENSBURG - Zehn Jahre lang hielt er seine Knochen für den HBW Balingen-Weilstetten hin, wurde mit der Deutschen Nationalmannschaft 2016 Europameister und 2019 mit einer schweren Verletzung zum tragischen Helden der Heimweltmeisterschaft. Seit etwa einem halben Jahr ist Martin Strobel nun offiziell Handball-Rentner. Mit Felix Alex hat der 34-Jährige über die aktuellen Gefahren für seinen Sport, sein jüngstes Buchprojekt („Höhepunkt am Tiefpunkt: Extreme erleben und Chancen ergreifen“) sowie ein mögliches Comeback gesprochen.
Herr Strobel, wie fühlt man sich so als Handball-Rentner, schon im süßen Leben mit Plauze angekommen?
Definitiv, auch wenn es etwas anders war als man es sich vorab vorgestellt hat. Man muss sich in der neuen Rolle ja erst zurechtfinden, und der Start in ein neues Leben ist ja immer eine Herausforderung. Zudem ergeben sich solche auch durch die CoronaSituation, aber das geht ja nicht nur mir so. Zu der anderen Sache: Sportlich versuche ich weiter eine Struktur beizubehalten und mir Routinen aufzubauen und meinen Körper fit zu halten. Ich will also jetzt nicht den Bauch wachsen zu lassen.
Ähnliche Probleme hat der gesamte Handballsport. Nach langer Pause ging es im September wieder los. Die Bundesliga hat sogar beschlossen, im Notfall auch für längere Zeit Spiele ohne Zuschauer durchzuziehen. Richtige Entscheidung?
Man hat sich vor der Saison entschieden, die Liga zu starten und die Szenarien waren klar: Wenn es gut läuft, kann man die Zuschauerzahl erhöhen, wenn es schlecht läuft, muss man reduzieren oder ganz zuschließen. Die Konzepte sind durchdacht und haben ihren Sinn. Aber eines ist auch klar, natürlich kann man versuchen die Spieler im Spielmodus abzuschirmen, aber jeder hat sein Leben außerhalb des Sports und muss sich frei bewegen. Man kann das Risiko also nie ganz minimieren.
Für Sie im Nachhinein genau der richtige Moment fürs Karriereende?
Die aktuelle Situation hat mich natürlich ein bisschen besser den Abstand finden lassen. Die Liga ist damals ja nicht mit vollen Hallen und vollen Emotionen gestartet und so gewinnt man vielleicht als Spieler da ein bisschen mehr Abstand und fokussiert sich auf sein neues Leben. Anderseits liegt mir natürlich viel an der Sportart und ich möchte, dass sie sich entwickelt und gut präsentiert.
Da bin ich ebenfalls zwiegespalten. Zum einen braucht unsere Sportart eine gewisse Präsenz. Man hat ja damals gesehen, wie es der Gesellschaft gutgetan hat, als die Fußballnungen
Bundesliga wieder gespielt hat. Das wäre auch für uns wichtig und da ist die Nationalmannschaft natürlich das Zugpferd schlechthin. Andererseits ist es gesellschaftspolitisch kritisch zu sehen, wenn Kinder eventuell nur ab und an oder gar nicht mehr in die Schule dürfen. Zudem schickt man die Spieler in ein Risiko rein.
Da wären wir bei der mentalen Komponente. Was macht das mit einem Profi, der mit einer gewissen Angst in so ein Turnier geht?
Im Spiel selber macht es dann wohl keinen Unterschied, da ist man zu sehr Sportler, um sich mit anderen Dingen auseinanderzusetzen. Allerdings bevor so eine Reise ansteht, da macht man sich schon Gedanken und da herrscht eine Ungewissheit.
In Ihrem nun erschienenen Buch raten Sie generell Profisportlern, sich mental Unterstützung zu holen. Aktuell wichtiger denn je, oder?
Diese Zeit ist für Spitzensportler extrem lehrreich. Vor leeren Hallen zu spielen, man hat von außen keinen immensen Druck und muss den Fokus ganz auf die eigene Leistung setzen. Zudem wird genau darauf geachtet, wie man auf dem Spielfeld wirkt, das macht schon einiges mit dem Spieler. Über die emotionale Komponente von außen kann man sich ja viel erarbeiten. Das fällt nun alles weg. Da ist ein Austausch noch wichtiger. Aber allgemein ist eine Zweitmeinung wichtig. Das macht man zwar auch sonst, aber die Mei
von Mitspielern, Trainern oder auch die der Familie sind ja meistens irgendwie behaftet.
Im Handball herrscht noch oft eine Art Kriegertum vor. Stärke ist sehr prägnant und so hart wie wir in den Zweikämpfen sind, sofort wieder aufstehen, das spiegelt sich natürlich auch nach außen wieder. Man will gewisse Situationen selbst regeln können. Zudem hat sich mit der Zeit auch einiges gewandelt.
Kommt jetzt eine Früher-war-alles-besser-Rede des Veteranen?
Ich will natürlich nicht sagen, dass früher alles besser war, aber es wird ja schon offensichtlich, wenn man sich allein die Generationen anschaut. Früher hat sich vieles im Alltag so ergeben. Heute, wenn man als Mannschaft im Bus irgendwohin fährt und das Handy immer dabei ist, unterhält man sich ganz anders. Gewisse Themen kommen oftmals gar nicht mehr zur Sprache und da wird in sich reingefressen, was eigentlich raus sollte. Aber das ist in der Gesellschaft nicht anders.
Früher gab es die klaren Hierarchien. Der mit der größten Leistung war der Leader und ist vorneweg marschiert. Aber heute geht es uns allen so gut, dass man die Menschen anders packen muss, um sie zu motivieren. Das kann man lernen. Die Menschen kennenzulernen, ihre Bedürfnisse und dann die Kunst das zu vereinen und voranzugehen.
Naja, vor zehn Jahren wurde mir noch vorgehalten, dass ich zu ruhig bin. Im Prinzip habe ich mich seit dem aber nicht verändert. Was sich aber gewandelt hat ist, dass das Wort, das ich sage, mehr gehört wird. Statt immer laut zu sein, einfach gezielter sein. So habe ich mir Respekt erarbeitet und konnte den auch weitergeben.
Am Anfang gab es ja eher Kritik, als ich als Zweitligaprofi berufen wurde und dann waren wir erfolgreich und natürlich auch stolz darauf. Ich auch darauf, dass ich das erreicht habe, indem ich mir treu geblieben bin, mich eben nie verstellt habe.
Die Idee schwirrte schon länger im Kopf, aber der Knackpunkt waren diese vier Monate auf dem Weg zur WM plus die Verletzung. Ich habe gewusst, ich habe nun Zeit und fange einfach an und nach den ersten Seiten hat es sich so gut angefühlt, dass ich es weitertreiben wollte.
Mein Ziel ist eher meine Erkenntnisse und Erfahrungen weiterzugeben und das nicht nur in Form von Geschichten. Ich persönlich habe viel aus Biografien und Sachbüchern gezogen und wollt, dass jemand mit dem Buch wirklich etwas anfangen kann und nicht nur sagt „das waren aber schöne Geschichten“.
Mit dem heutigen Wissen würde man sicher einiges anders machen. Aber als ich mit Lemgo die Qualifikation zur Champions League verpasst habe, obwohl wir kurz davor waren, das ist etwas, dass ich schon noch mal gerne erlebt hätte.
Aktuell ist das ausgeschlossen, es liegt nichts an und mit dem Thema habe ich mich auch nicht auseinandergesetzt. Aktuell liegt der Fokus auf der Selbstständigkeit. Was aber noch in meinem Kopf ist, ist aber eine Art Benefizspiel, es ist ja kein Abschiedsspiel, wenn es 1,5 bis zwei Jahre dauert bis so was über die Bühne geht. Aber ich möchte den Fans schon noch etwas zurückgeben.