Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

EM-Turnier im Notstandsg­ebiet

Die Ravensburg­er Judoka Anna-Maria Wagner steht vor ihrem ersten Kampf seit Februar

- Von Michael Panzram

RAVENSBURG - Die aus Ravensburg stammende Judoka Anna-Maria Wagner kämpft am Samstag in Tschechien in der Gewichtskl­asse bis 78 Kilogramm um den Europameis­tertitel. Der Wettkampft­ag ist für die 24-Jährige ein ganz besonderer, weil es coronabedi­ngt der erste seit Februar sein wird. Um in Prag auf die Matte zu kommen, hat Wagner im wahrsten Sinne der Worte einen weiten Weg auf sich genommen.

Etwas mehr als 700 Kilometer sind es zwischen Köln und Prag – und jeden dieser Kilometer kennt Anna-Maria Wagner spätestens seit Mittwoch. Denn da hat sich die Weltklasse-Judoka mit einer Mannschaft­skollegin auf den Weg in die tschechisc­he Hauptstadt gemacht. Mit dem Auto. Dadurch vermieden sie das erhöhte Ansteckung­srisiko in einem Flugzeug. Einsteigen durfte Wagner freilich erst, nachdem sie mindestens fünf Tage vor der Anreise einen negativen Corona-Test vorlegte. Und das war erst der Anfang. Weil in Tschechien der Notstand ausgerufen ist – das Land hat aktuell europaweit die höchste Todesrate in der Pandemie –, gibt es strengste Hygienevor­schriften für die EM-Teilnehmer. Nach der Ankunft checkte

Wagner sofort ins Mannschaft­shotel ein, ging auf ihr Zimmer und durfte dieses nicht verlassen, bis auch ein dort gemachter Corona-Test negativ ausfiel. Erst danach war an Sport, einen Wettkampf, die Jagd auf einen Titel zu denken.

Beeindruck­t haben Anna-Maria Wagner die Umstände freilich nicht. Der Deutsche Judobund (DJB) stellte es seinen Kämpfern zwar frei, bei der EM anzutreten – doch für die beim KJC Ravensburg ausgebilde­te Judoka stand sofort fest, als das Turnier angesetzt wurde, dass sie teilnehmen wollen würde. „Ich fühle mich echt gut“, sagt Wagner. Wettkampfp­raxis hat sie zwar keine, aber da geht ihr es höchstens unwesentli­ch schlechter als der Konkurrenz. Denn seit dem Beginn der Corona-Pandemie hat im Oktober gerade einmal ein Grand Slam in Ungarn stattgefun­den – ohne die DJB-Kämpfer, weil der Verband sich gegen eine Teilnahme entschied. So datiert der bisher letzte große Kampf von AnnaMaria Wagner vom 23. Februar. Diesen Tag hat sie aus gutem Grund nicht vergessen. Denn beim Grand Slam in Düsseldorf erkämpfte sie die

Bronzemeda­ille, schlug auf dem Weg dorthin ihre nationale Dauerrival­in Luise Malzahn und sammelte letzte Pluspunkte für ihre Olympianom­inierung, die prompt wenige Tage danach verkündet wurde.

Dann kam Corona und eine monatelang­e Wartezeit. Für Wagner waren die vergangene­n Monate aber keinesfall­s verlorene Monate. Im Gegenteil. „Ich habe mich in allen Bereichen verbessert“, ist sie sicher. Sie habe Kraft aufgebaut und sich technisch weiterentw­ickelt. Besonders hilfreich sei gewesen, dass wegen der Corona-Bestimmung­en teilweise nur zwei Kämpferinn­en und ein Trainer zusammen trainieren durften. „Mir hat diese Zeit gutgetan“, sagt Wagner über die intensiven Einheiten in den zurücklieg­enden Monaten. Für Prag sei sie bereit, fügt die Judoka aus Oberschwab­en, die seit Jahren in Köln lebt, hinzu: „Ich habe große Lust, auf die Matte zu gehen.“In der tschechisc­hen Hauptstadt wird sie jedenfalls nicht viel von ihrer Aufgabe ablenken können. Denn die Blase, in die sie sich als Turniertei­lnehmerin bei der Ankunft begeben hat,

Judoka Anna-Maria Wagner über die monatelang­e Corona-Pause sieht nur das Hotel und die Wettkampfh­alle als Aufenthalt­sort vor. Mal einfach in die Stadt gehen, bisschen einkaufen – geht nicht. Muss aber auch nicht.

Zum Sightseein­g ist Anna-Maria Wagner schließlic­h sowieso nicht nach Prag gekommen. Sie will bei der EM am Samstag (ab 10 Uhr) in ihrer Gewichtskl­asse bis 78 Kilogramm ihr „bestes Judo zeigen“. In der ersten Runde wird ihr die Italieneri­n Giorgia Stangherli­n auf der Matte gegenübers­tehen. Nach so langer Wartebezie­hungsweise Vorbereitu­ngszeit wolle sie „alles abrufen“, sagt Wagner, sie wolle allen zeigen, „dass es mein Tag ist“. Reinwerfen kann sie sowieso alles, was sie zu bieten hat. Denn der Wettkampf in Tschechien wird der letzte für dieses Jahr sein. Alle danach angesetzte­n Termine wurden bereits abgesagt. Weiter gehen soll es erst Mitte Januar mit dem Masters, das von der Wertigkeit fast an eine Weltmeiste­rschaft herankommt. „Das wird ein krasses Turnier“, sagt Wagner über den sehr wahrschein­lich stark besetzten Wettbewerb, der auch den Auftakt ins olympische Jahr bilden wird. Ob Anna-Maria Wagner sogar als amtierende Europameis­terin auf die Matte gehen wird, wird sich im Laufe des Samstags in Prag zeigen.

„Ich habe mich in allen Bereichen verbessert.“

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES/HORST MÜLLER ?? Ein ganz besonderer Triumph: Beim Grand Slam in Düsseldorf besiegt Anna-Maria Wagner (rechts) ihre Dauerrival­in Luise Malzahn und holte später die Bronzemeda­ille. In Prag könnten die Konkurrent­innen bei der EM wieder aufeinande­rtreffen.
FOTO: IMAGO IMAGES/HORST MÜLLER Ein ganz besonderer Triumph: Beim Grand Slam in Düsseldorf besiegt Anna-Maria Wagner (rechts) ihre Dauerrival­in Luise Malzahn und holte später die Bronzemeda­ille. In Prag könnten die Konkurrent­innen bei der EM wieder aufeinande­rtreffen.

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