Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Wertvoller als Gold und Heroin
Ein Nashorn-Schutzzentrum in Südafrika rettet Rhino-Waisen und kämpft so gegen das Aussterben der sanften Riesen
Sie bleiben im Gedächtnis – diese kläglichen Laute, die sich in die Seele einbrennen, durch Mark und Bein gehen. Sie kommen von einem jungen Breitmaulnashorn, das neben seiner toten Mutter wacht. Doch sie steht nicht mehr auf. Das Horn mit einer Axt aus dem Gesicht geschlagen, der Körper bereits erkaltet. So steht das Kalb neben dem grauen Koloss und wird verhungern, wenn man es nicht findet. Doch manche kleinen Nashörner haben Glück im Unglück: Rubybelle ist ein solches Nashorn-Kalb. Man fand sie neben ihrer toten Mutter und einem weiteren toten Nashorn: Kaum vier Wochen alt und keine 60 Kilo schwer, hätte sie allein nie überleben können.
Der Ort, an den die kleine Rubybelle gebracht wurde, gleicht einem Hochsicherheitstrakt, und die Adresse ist streng geheim. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viele lebende „Schätze“hier herumlaufen. Sie alle hat Petronel Nieuwoudt im Laufe der vergangenen Jahre hier – gut versteckt – wieder aufgepäppelt. Die Besitzerin und Direktorin des Care For Wild Rhino Sanctuary, dem größten Nashorn-Schutz- und Waisenzentrum der Welt, beherbergt auf dem Gelände in der Südafrikanischen Provinz Mpumalanga mittlerweile eine große Anzahl an Breit- und Spitzmaulnashörnern. Doch auch diese Zahl ist geheim. „Sie alle sind als Waisen zu uns gebracht worden“, erklärt sie. „Wir haben junge Nashörner gepflegt, die noch keinen Tag alt waren – und fast alle haben wir auch durchgebracht.“
Meist wird Petronel von Farmbesitzern, Rangern aus dem KrügerNationalpark oder den Wildtierärzten kontaktiert, wenn es um die Rettung eines verwaisten Nashorns geht. „Dann müssen wir sehr schnell sein“, sagt sie. „Und so werden die meisten unserer Rettungen per Helikopter aus der Luft durchgeführt. Die Nashornjungen werden ausgeflogen und können auf diese Weise schnell in unser Rhino-Waisenzentrum gebracht werden.“
Ein Abebben ihrer Arbeit ist nicht in Sicht, ein Ende der Wilderei auf die sanftmütigen grauen Riesen weit entfernt. Denn nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Nashörner als in Südafrika – und die Gier nach dem Horn ist groß.
Rund 70 Prozent aller Rhinozerosse leben am südlichsten Zipfel Afrikas. Man geht davon aus, dass es dort noch rund 18 400 Breitmaulund knapp 1900 Spitzmaulnashörner gibt. Die Tiere sind leichte Beute für Wilderer – schließlich sind sie friedliche, wenig misstrauische Herdentiere.
Es geht bei der Wilderei einzig und allein um das Horn, das mittlerweile wertvoller ist als Gold oder Heroin. Auf dem Schwarzmarkt werden derzeit 60 000 Euro für ein Kilogramm Horn gezahlt. Dabei besteht es – nimmt man es einmal wissenschaftlich unter die Lupe – wie menschliche Fingernägel oder Haare hauptsächlich aus Keratin, einer Substanz, die keinerlei medizinische Wirkung hat. Zerkleinert und zu Pulver zerrieben, wird es in der asiatischen Medizin als Heilmittel genutzt. Das zermahlene Horn soll, so denkt man dort, fiebersenkend, entgiftend und krampflösend sein und nach einer durchzechten Nacht den unangenehmen Kater schnell vertreiben. Es soll bei Masern, Schlaganfall und Epilepsie helfen und sogar Krebserkrankungen heilen. Aber es hat sich auch zu einem Luxusobjekt der Wohlhabenden entwickelt. Als wertvoller Besitz bestätigt es den sozialen Status oder stärkt als teures Geschenk die Beziehungen zu Geschäftspartnern. Die Nachfrage in Asien ist so groß, dass die Preise in die Höhe schießen. Je weniger Tiere es letztlich gibt und je exklusiver das Hornpulver wird, desto höher steigt der Preis.
Die vor etwa zehn Jahren aufkeimende und immer größer werdende Wilderei bedroht nun die Nashörner massiv. 2007 waren es noch 13 Nashörner, die in Südafrika gewildert wurden. Doch in den folgenden Jahren stieg die Anzahl der getöteten Tiere dramatisch an. Von 83 im Jahr 2008 über 122, 333, 668 bis zu 1004 im Jahr 2013. Trauriger Höhepunkt war das Jahr 2014 mit 1215 gewilderten
Nashörnern im Land. Die meisten von ihnen wurden im Krüger-Nationalpark getötet. Jetzt durch den Lockdown im Zusammenhang mit Corona befürchtet man noch höhere Zahlen, da sich kaum jemand in den Nationalparks befindet und Wilderer unbemerkt jagen können.
Das südliche Breitmaulnashorn, das in den südlichen Ländern Afrikas beheimatet ist, stand schon einmal, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, kurz vor dem Aussterben. Doch mit enormem Aufwand gelang die Rettung der Art. Heute gibt es wieder mehr als 20 000 Tiere in freier Natur – die meisten davon in Südafrika – und etwa 750 in Gefangenschaft. Doch ihre Zahl sinkt schnell. Vom nördlichen Breitmaulnashorn gibt es nur noch zwei nicht mehr fortpflanzungsfähige Weibchen. Auch die Nashörner in Asien stehen auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Der Bestand des Panzernashorns erholt sich nach inzwischen einem Jahrhundert strengen Schutzes in Indien und Nepal, nachdem es zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht einmal mehr 200 Exemplare gab. Derzeit wachsen die Bestände, obwohl die Wilderei im Kasiranga-Nationalpark, der Heimat von 70 Prozent der Panzernashörner, zunimmt.
Im Care For Wild Rhino Sanctuary, gut versteckt von der Außenwelt, können die geretteten Nashörner ein friedliches Leben führen. So wie Don, dessen Mutter der Wilderei im Krüger-Nationalpark zum Opfer fiel. Sehr jung und allein, suchte er Schutz in der Nähe eines graufarbenen Fahrzeugs, das dem Körper der Mutter ähnelte. Er lehnte sich an das Auto, um der Einsamkeit zu entfliehen. Don wurde per Helikopter ausgeflogen und ins Rhino-Waisenzentrum gebracht. Auch Meha, die ihrer toten Mutter nicht von der Seite wich und vollkommen dehydriert und traumatisiert gefunden wurde, wächst nun im Sanctuary heran.
Geschützt durch Elektrozäune und Tag und Nacht bewacht durch Sicherheitspersonal, sind die Nashörner vor Wilderern sicher. Doch trauen kann Petronel Nieuwoudt niemandem. Und so wird sogar die Security insgeheim von anderen Sicherheitsleuten bewacht, Personal
Petronel Nieuwoudt, Leiterin des Care For Wild Rhino Sanctuary oft ausgewechselt. „Wir müssen so agieren, denn hier geht es um viel Geld und um eine skrupellose weltweit agierende Mafia“, erklärt die engagierte Tierschützerin und streicht sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Ein Wachmann pro Nashorn – das ist hier dringend notwendig. Zusätzlich haben wir Wachhunde und Pferde-Patrouillen“, fügt sie hinzu. Und so ist der hohe Wachturm, der rund um die Uhr besetzt ist, ein stilles Symbol für den Ernst der Lage.
Und die engagierte Südafrikanerin weiß: Beim nächsten Vollmond geht es wieder los, dann schlagen die Wilderer erneut zu. Denn durch die nächtliche natürliche Lichtquelle können sie sich nachts gut im Nationalpark bewegen und unentdeckt morden.
Es werden weitere Nashorn-Waisen ihre Hilfe brauchen – und Schutz. Dennoch kommt resignieren für die engagierte Tierschützerin nicht infrage: „Nichts wird begonnen ohne eine Vision und ein Ziel“, erklärt sie. „Und ich bin damit aufgewachsen, so viele Tiere in meinem Leben zu schützen und zu retten, wie ich kann. Und unser Ziel ist es, diese Region in eine wildererfreie Zone zu verwandeln. Ich verliere nicht die Zuversicht, dass uns das gelingt.“
Ich bin damit aufgewachsen, so viele Tiere in meinem Leben zu schützen und zu retten, wie ich kann.