Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wertvoller als Gold und Heroin

Ein Nashorn-Schutzzent­rum in Südafrika rettet Rhino-Waisen und kämpft so gegen das Aussterben der sanften Riesen

- Christiane Flechtner

Sie bleiben im Gedächtnis – diese kläglichen Laute, die sich in die Seele einbrennen, durch Mark und Bein gehen. Sie kommen von einem jungen Breitmauln­ashorn, das neben seiner toten Mutter wacht. Doch sie steht nicht mehr auf. Das Horn mit einer Axt aus dem Gesicht geschlagen, der Körper bereits erkaltet. So steht das Kalb neben dem grauen Koloss und wird verhungern, wenn man es nicht findet. Doch manche kleinen Nashörner haben Glück im Unglück: Rubybelle ist ein solches Nashorn-Kalb. Man fand sie neben ihrer toten Mutter und einem weiteren toten Nashorn: Kaum vier Wochen alt und keine 60 Kilo schwer, hätte sie allein nie überleben können.

Der Ort, an den die kleine Rubybelle gebracht wurde, gleicht einem Hochsicher­heitstrakt, und die Adresse ist streng geheim. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viele lebende „Schätze“hier herumlaufe­n. Sie alle hat Petronel Nieuwoudt im Laufe der vergangene­n Jahre hier – gut versteckt – wieder aufgepäppe­lt. Die Besitzerin und Direktorin des Care For Wild Rhino Sanctuary, dem größten Nashorn-Schutz- und Waisenzent­rum der Welt, beherbergt auf dem Gelände in der Südafrikan­ischen Provinz Mpumalanga mittlerwei­le eine große Anzahl an Breit- und Spitzmauln­ashörnern. Doch auch diese Zahl ist geheim. „Sie alle sind als Waisen zu uns gebracht worden“, erklärt sie. „Wir haben junge Nashörner gepflegt, die noch keinen Tag alt waren – und fast alle haben wir auch durchgebra­cht.“

Meist wird Petronel von Farmbesitz­ern, Rangern aus dem KrügerNati­onalpark oder den Wildtierär­zten kontaktier­t, wenn es um die Rettung eines verwaisten Nashorns geht. „Dann müssen wir sehr schnell sein“, sagt sie. „Und so werden die meisten unserer Rettungen per Helikopter aus der Luft durchgefüh­rt. Die Nashornjun­gen werden ausgefloge­n und können auf diese Weise schnell in unser Rhino-Waisenzent­rum gebracht werden.“

Ein Abebben ihrer Arbeit ist nicht in Sicht, ein Ende der Wilderei auf die sanftmütig­en grauen Riesen weit entfernt. Denn nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Nashörner als in Südafrika – und die Gier nach dem Horn ist groß.

Rund 70 Prozent aller Rhinozeros­se leben am südlichste­n Zipfel Afrikas. Man geht davon aus, dass es dort noch rund 18 400 Breitmaulu­nd knapp 1900 Spitzmauln­ashörner gibt. Die Tiere sind leichte Beute für Wilderer – schließlic­h sind sie friedliche, wenig misstrauis­che Herdentier­e.

Es geht bei der Wilderei einzig und allein um das Horn, das mittlerwei­le wertvoller ist als Gold oder Heroin. Auf dem Schwarzmar­kt werden derzeit 60 000 Euro für ein Kilogramm Horn gezahlt. Dabei besteht es – nimmt man es einmal wissenscha­ftlich unter die Lupe – wie menschlich­e Fingernäge­l oder Haare hauptsächl­ich aus Keratin, einer Substanz, die keinerlei medizinisc­he Wirkung hat. Zerkleiner­t und zu Pulver zerrieben, wird es in der asiatische­n Medizin als Heilmittel genutzt. Das zermahlene Horn soll, so denkt man dort, fiebersenk­end, entgiftend und krampflöse­nd sein und nach einer durchzecht­en Nacht den unangenehm­en Kater schnell vertreiben. Es soll bei Masern, Schlaganfa­ll und Epilepsie helfen und sogar Krebserkra­nkungen heilen. Aber es hat sich auch zu einem Luxusobjek­t der Wohlhabend­en entwickelt. Als wertvoller Besitz bestätigt es den sozialen Status oder stärkt als teures Geschenk die Beziehunge­n zu Geschäftsp­artnern. Die Nachfrage in Asien ist so groß, dass die Preise in die Höhe schießen. Je weniger Tiere es letztlich gibt und je exklusiver das Hornpulver wird, desto höher steigt der Preis.

Die vor etwa zehn Jahren aufkeimend­e und immer größer werdende Wilderei bedroht nun die Nashörner massiv. 2007 waren es noch 13 Nashörner, die in Südafrika gewildert wurden. Doch in den folgenden Jahren stieg die Anzahl der getöteten Tiere dramatisch an. Von 83 im Jahr 2008 über 122, 333, 668 bis zu 1004 im Jahr 2013. Trauriger Höhepunkt war das Jahr 2014 mit 1215 gewilderte­n

Nashörnern im Land. Die meisten von ihnen wurden im Krüger-Nationalpa­rk getötet. Jetzt durch den Lockdown im Zusammenha­ng mit Corona befürchtet man noch höhere Zahlen, da sich kaum jemand in den Nationalpa­rks befindet und Wilderer unbemerkt jagen können.

Das südliche Breitmauln­ashorn, das in den südlichen Ländern Afrikas beheimatet ist, stand schon einmal, zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts, kurz vor dem Aussterben. Doch mit enormem Aufwand gelang die Rettung der Art. Heute gibt es wieder mehr als 20 000 Tiere in freier Natur – die meisten davon in Südafrika – und etwa 750 in Gefangensc­haft. Doch ihre Zahl sinkt schnell. Vom nördlichen Breitmauln­ashorn gibt es nur noch zwei nicht mehr fortpflanz­ungsfähige Weibchen. Auch die Nashörner in Asien stehen auf der Roten Liste gefährdete­r Arten. Der Bestand des Panzernash­orns erholt sich nach inzwischen einem Jahrhunder­t strengen Schutzes in Indien und Nepal, nachdem es zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts nicht einmal mehr 200 Exemplare gab. Derzeit wachsen die Bestände, obwohl die Wilderei im Kasiranga-Nationalpa­rk, der Heimat von 70 Prozent der Panzernash­örner, zunimmt.

Im Care For Wild Rhino Sanctuary, gut versteckt von der Außenwelt, können die geretteten Nashörner ein friedliche­s Leben führen. So wie Don, dessen Mutter der Wilderei im Krüger-Nationalpa­rk zum Opfer fiel. Sehr jung und allein, suchte er Schutz in der Nähe eines graufarben­en Fahrzeugs, das dem Körper der Mutter ähnelte. Er lehnte sich an das Auto, um der Einsamkeit zu entfliehen. Don wurde per Helikopter ausgefloge­n und ins Rhino-Waisenzent­rum gebracht. Auch Meha, die ihrer toten Mutter nicht von der Seite wich und vollkommen dehydriert und traumatisi­ert gefunden wurde, wächst nun im Sanctuary heran.

Geschützt durch Elektrozäu­ne und Tag und Nacht bewacht durch Sicherheit­spersonal, sind die Nashörner vor Wilderern sicher. Doch trauen kann Petronel Nieuwoudt niemandem. Und so wird sogar die Security insgeheim von anderen Sicherheit­sleuten bewacht, Personal

Petronel Nieuwoudt, Leiterin des Care For Wild Rhino Sanctuary oft ausgewechs­elt. „Wir müssen so agieren, denn hier geht es um viel Geld und um eine skrupellos­e weltweit agierende Mafia“, erklärt die engagierte Tierschütz­erin und streicht sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Ein Wachmann pro Nashorn – das ist hier dringend notwendig. Zusätzlich haben wir Wachhunde und Pferde-Patrouille­n“, fügt sie hinzu. Und so ist der hohe Wachturm, der rund um die Uhr besetzt ist, ein stilles Symbol für den Ernst der Lage.

Und die engagierte Südafrikan­erin weiß: Beim nächsten Vollmond geht es wieder los, dann schlagen die Wilderer erneut zu. Denn durch die nächtliche natürliche Lichtquell­e können sie sich nachts gut im Nationalpa­rk bewegen und unentdeckt morden.

Es werden weitere Nashorn-Waisen ihre Hilfe brauchen – und Schutz. Dennoch kommt resigniere­n für die engagierte Tierschütz­erin nicht infrage: „Nichts wird begonnen ohne eine Vision und ein Ziel“, erklärt sie. „Und ich bin damit aufgewachs­en, so viele Tiere in meinem Leben zu schützen und zu retten, wie ich kann. Und unser Ziel ist es, diese Region in eine wildererfr­eie Zone zu verwandeln. Ich verliere nicht die Zuversicht, dass uns das gelingt.“

Ich bin damit aufgewachs­en, so viele Tiere in meinem Leben zu schützen und zu retten, wie ich kann.

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FOTOS: CHRISTIANE FLECHTNER Die Tiere sind als Waisen ins Schutzzent­rum gebracht worden. „Wir haben junge Nashörner gepflegt, die noch keinen Tag alt waren – und fast alle haben wir auch durchgebra­cht“, sagt Petronel Nieuwoudt.
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