Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Ein neues Bild ist wie eine neue Liebe
Wer sein Geld in Kunstwerke steckt, sollte jede Menge Leidenschaft mitbringen
STUTTGART - Angesichts des herrschenden „Anlagenotstands“durch den niedrigen Zins entdecken Privatpersonen zunehmend Kunstwerke als Kapitalanlage. Dabei fällt auf, dass es am Kunst- wie am Kapitalmarkt um Werte und Entwicklungen, um Rankings und Preise geht, aber eben auch um Spekulationen und Fehleinschätzungen. Deshalb sollten sich Kunstinteressierte gut informieren, auf Galerien oder Webseiten wie www.artnet.de umschauen und Auktionsergebnisse studieren, um eine gute Übersicht zu erhalten. „Der Kunstmarkt ist deutlich transparenter geworden, als er früher war“, sagt die freie Kunstkuratorin Claudia Fenkart in Stuttgart.
Klar, wer erfolgreich in Kunst anlegen will, muss Trends rechtzeitig aufspüren können. Doch über den Aspekt des monetären Werts hinaus müsse dem Käufer das Werk auch das Herz öffnen, sagt sie. Ja, es sei geradezu essenziell, eine persönliche Beziehung zu einem Kunstwerk aufzubauen. „Sie sollten sich für ein Bild wie für eine neue Liebe entscheiden“, macht Fenkart klar. Und dafür ist eben auch jede Menge an Leidenschaft nötig.
Dabei ist zu beachten, dass es nicht nur einen einzigen Kunstmarkt gibt, sondern eine Vielzahl von heterogenen Einzelsegmenten. Durch das Aufkommen zahlreicher neuer Kunstmessen und Galerien ist es ohnehin schwerer geworden, den Überblick zu behalten. „Das ist wie in einem unübersichtlichen Dschungel“, sagt Fenkart. Dennoch ist die Nachfrage bei der Klassischen Moderne, bei amerikanischer Pop Art und bei alten Meistern aus den Niederlanden und Italien sowie bei der Gegenwartskunst ungebrochen. Weniger nachgefragt ist dagegen laut Fenkart die Epoche des 19. Jahrhunderts. Die oftmals gigantischen Verkaufserlöse, die Ausnahmewerke international erzielen, stellen freilich nur einen Teil des Kunstmarkts dar. Es gibt auf der anderen Seite zahlreiche Künstler und auch Galerien, von denen viele ums Überleben kämpfen.
Wer bei seiner Suche auf Nummer sicher gehen will, der sollte nach Überzeugung von Fenkart Kunst erwerben, die bereits „kunstgeschichtlich festgeschrieben“ist. Das heißt, man sollte sich für Künstler interessieren, deren Werke bereits in bedeutenden Museen, Sammlungen und etablierten Galerien hängen und die regelmäßig in einschlägigen Kunstmedien auftauchen. Dies zeigt, dass nicht das Werk und der Künstler allein Qualitätsansprüchen genügen müssen, sondern erst die Wahrnehmung durch den Kunstmarkt seinen Wert erzeugt. Klar, wer heute einen Dix, Schlemmer, Baumeister,
Ackermann oder Hölzel zu Hause hat, kann sich glücklich schätzen. Als Künstler aus der Region, die sie empfehlen würde, nennt Fenkart Matthias Bitzer, Werner Pokorny, Willi Siber, Katharina Grosse, Tim Eitel, Franz Ackermann, Stephan Balkenhol, Susanne Kühn, Tobias Rehberger – und nach wie vor natürlich auch Werke von Baumeister, Ackermann, Schlemmer und Hölzl.
Betrachtet man die internationale Spitze des Kunstmarkts, der im Luxus Investment Index von der Londoner Beratungsgesellschaft Knight Frank abgebildet wird, stellt man eine Verlangsamung der Preisentwicklung fest. Nach einem Wertzuwachs von 134 Prozent über die vorangegangenen zehn Jahre legte der Kunstmarkt 2019, gemessen an den weltweiten Topauktionen, nur noch um vier Prozent zu. Und mit Ausbruch von Corona scheinen risikoaffine Käufer die Pandemie offenbar als Chance zu begreifen, um erst recht zuzugreifen. Vor diesem Hintergrund
kam es bei den Online-Auktionen von Christie’s oder Sotheby’s in diesem Jahr zu einem weitgehenden Abverkauf der Werke einer Reihe von alten Meistern. Als teuerster lebender Künstler gilt übrigens Jeff Koons, dessen Edelstahlskulptur „Rabbit“bei einer Auktion im Mai vergangenen Jahres 91,1 Millionen Dollar erzielte.
Was den steuerlichen Aspekt angeht, beträgt die Spekulationsfrist für Kunstwerke im Gegensatz zu Aktien weiterhin ein Jahr. Hinzu kommen Möglichkeiten zur 60-prozentigen Reduktion („kleine Kulturgutbefreiung“) oder vollständigen Vermeidung von Erbschafts- und Schenkungssteuer im Privatbereich („große Kulturgutbefreiung“). Voraussetzung dafür ist aber, dass die Erhaltung der Kunstgegenstände im öffentlichen Interesse liegt. Außerdem müssen die Eigentümer bereit sein, die Objekte etwa Ausstellungen zur Verfügung zu stellen und zehn Jahre lang nicht zu veräußern.