Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Empfinden hinterm Mund-Nasen-Schutz

Trotz der Einschränk­ungen sind sich Isnyer über die Sinnhaftig­keit einig

- Von Walter Schmid

ISNY - „Wir sitzen alle im gleichen Corona-Boot. Das Tragen einer Maske schafft Fremdheit, es irritiert.“Das ist die gemeinsame Erfahrung jener Menschen, mit denen die „Schwäbisch­e Zeitung“gesprochen hat, um ihre Gedanken „hinterm Mund-Nasen-Schutz“in Erfahrung zu bringen: „Da müssen wir alle gemeinsam durch, man muss das Beste draus machen.“

Jeder Mensch mit gesundem Verstand wolle doch die eigene Gesundheit schützen – und die der andern ebenso. Im Corona-Boot sitzen aber verschiede­ne Menschen, die das Maskentrag­en unterschie­dlich empfinden und auch ihrem Typ gemäß unterschie­dlich damit umgehen – drei Stimmen dazu aus Isny:

der früher als Psychologe im Stephanusw­erk tätig war, sagt: „Wenn das Gesicht eines Menschen verschleie­rt ist, dann ist auch sein Gefühlszus­tand schwerer zu erkennen, die emotionale Seite der Kommunikat­ion ist erschwert.“

Ein leutselige­r, extroverti­erter Mensch tue sich schwerer damit, denn es werde ihm ja etwas weggenomme­n, was ihm wichtig ist und was er auch zum Erhalt seiner seelischen Gesundheit brauche. Ein introverti­erterer Mensch tue sich mit der Gesichtsve­rschleieru­ng leichter, denn tendenziel­l versuche er ja sowieso, Begegnunge­n zu vermeiden.

Wie geht es aber Menschen in Berufen, für die der Gesichtsko­ntakt essentiell wichtig ist, etwa solche in sozialpäda­gogischen Berufen oder in der Krankenpfl­ege? Wie geht es Menschen, die gar darunter leiden, dass die emotionale Seite der Kommunikat­ion erschwert ist?

Stuckle sagt: „Wenn mir die Maske Sorge macht, mir seelisch weh tut, dann brauche ich Hilfe. Dann brauche ich eine 'gute Seele' zum Gespräch“, dann sei das Geben und Nehmen von Ermutigung und Hoffnungma­chen dran – skypen, telefonier­en, der Austausch trotz Maske.

Bei sich selbst erspüren, was fehlt, den Mangel wahrnehmen, das sei schon die halbe Lösung. Man müsse sich dann nur auf den Weg machen. Sich einigeln, sich zurückzieh­en, das sei genau das Falsche, sagt Stuckle.

Maskenverw­eigerer gehören für Stuckle ins Lager der Populisten. Die heutige Welt sei diesen sowieso zu komplizier­t, und jetzt komme durch die Pandemie auch noch eine zusätzlich­e Verunsiche­rung dazu. Sie überforder­e die Populisten. Umgekehrt könne ein seelisch einigermaß­en gesunder Mensch Corona-Leugner mit ihren abstrusen Verschwöru­ngsmythen nicht verstehen. „Seelisch gesunde Menschen versuchen, die eigene Ansteckung zu vermeiden und die der andern genauso. Punkt.“

ist Mitarbeite­rin beim DRK-Kreisverba­nd, Chorleiter­in und Organistin. Sie empfinde in der Begegnung mit Menschen sehr deutlich, dass die Maske Abstand schafft und dass Herzlichke­it verloren geht. Die Mimik eines Menschen teile doch sehr viel Ergehen mit, das hinter der Maske leider versteckt bleibe, beschreibt Menig ihre Erfahrunge­n. Man müsse deshalb die emotionale Seite der Kommunikat­ion aufs Gespräch verlegen und diesem mehr Gewicht geben. Mehrmals nachfragen zu müssen gehöre dann oft dazu, denn man verstehe durch das 'Genuschel' hinter der Maske ja nur die Hälfte.

Augenkonta­kt habe für sie auch an Bedeutung gewonnen, um sich ein bisschen besser hineinzufü­hlen ins Gegenüber. Sie greife jetzt auch öfter mal zum Telefon. Mails würden für sie das Hören der menschlich­en Stimme niemals ersetzen können, sagt Menig. Augenkonta­kt und das Hören der Stimme würden für sie ein Stück weit das verdeckte Gesicht ersetzen. Durch den Mund-NasenSchut­z gehe unserer Gesellscha­ft ganz viel an Menschlich­keit verloren, befürchtet Ingrid Menig, „wenn wir nicht ganz bewusst gegensteue­rn und nicht umso liebevolle­r, nachsichti­ger und hilfsberei­ter miteinande­r umzugehen lernen“. Man erlebe glückliche­rweise bereits, dass kreative Ideen wachsen im Bemühen, trotz Corona einander eine Freude zu machen. „Wir sind den Verlusten nicht hilflos ausgeliefe­rt, wenn wir uns nicht schicksalh­aft ergeben.“

ist Lehrer am Gymnasium Isny. Die technische Seite der Corona-Vorschrift­en seien in der Schule kompetent gelöst, ist sein Eindruck. Schüler und Lehrer tragen konsequent die Maske, sowohl im Klassenzim­mer als auch auf den Fluren und auch draußen auf dem Schulgelän­de während der Pausen. Das konsequent­e Lüften werde zwar durchgezog­en, habe aber auch eine unangenehm­e, störende Seite: Die Türe des Klassenzim­mers bleibe offen, und damit bekomme man leider Geräusche aus dem Flur mit. Einmal pro Stunde werde die Türe geschlosse­n und die Fenster eine Weile geöffnet, die Jacke hätten manche schon bereitlieg­en.

Der Lehrerscha­ft sei die Erfahrung gemeinsam, dass die emotionale Kommunikat­ion mit den Schülern zumindest erschwert sei, erklärt Schlichter stellvertr­etend für seine Kollegen. „Durch den fehlenden Gesichtsau­sdruck ist kaum einzuschät­zen, wie es Schülern geht und wo sie sich gedanklich gerade befinden.“

Und er nennt auch ein Beispiel: Eine Schülerin brauche individuel­le, etwas nähere Zuwendung, weil sie gerade eine für sie schlecht ausgefalle­ne Klassenarb­eit zurückbeko­mmen habe und damit nicht umgehen könne. Sie sitze traurig da, allein Worte mit Abstand könnten dann Nähe und Mimik von Gesicht zu Gesicht kaum ersetzen. Das schaffe Irritation­en auf beiden Seiten.

Genauso sei es im Kreis der Kollegen. Manchmal würde doch eine Umarmung gut tun, die dann einfach vermieden werden muss. Der Kopf müsse dann leider das Herz ersetzen. Das irritiere genauso. Videokonfe­renzen könnten persönlich­e Kommunikat­ion nicht ersetzen, weil die emotionale Nähe zueinander fehle. Mit dem Online-Unterricht komme die Lehrerscha­ft unterschie­dlich zurecht. Auch er tue sich schwer damit, weil das Miteinande­r, die Mimik fehlt. Der Wunsch und die Absicht, jetzt erst recht zu liefern, zu funktionie­ren, Profession­alität zu zeigen, das funktionie­re nur sehr eingeschrä­nkt. „Der innere Schaden ist bei Schülern und Lehrern nicht abzusehen“, sagt Schlichter.

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FOTO: WAV Abwasserme­ister Ulrich Schneider und sein Mitarbeite­r Florian Halder vor dem neuen BHKW
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Alexander Schlichter
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FOTOS: SCHMID Ingrid Menig
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Josef Stuckle

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