Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Empfinden hinterm Mund-Nasen-Schutz
Trotz der Einschränkungen sind sich Isnyer über die Sinnhaftigkeit einig
ISNY - „Wir sitzen alle im gleichen Corona-Boot. Das Tragen einer Maske schafft Fremdheit, es irritiert.“Das ist die gemeinsame Erfahrung jener Menschen, mit denen die „Schwäbische Zeitung“gesprochen hat, um ihre Gedanken „hinterm Mund-Nasen-Schutz“in Erfahrung zu bringen: „Da müssen wir alle gemeinsam durch, man muss das Beste draus machen.“
Jeder Mensch mit gesundem Verstand wolle doch die eigene Gesundheit schützen – und die der andern ebenso. Im Corona-Boot sitzen aber verschiedene Menschen, die das Maskentragen unterschiedlich empfinden und auch ihrem Typ gemäß unterschiedlich damit umgehen – drei Stimmen dazu aus Isny:
der früher als Psychologe im Stephanuswerk tätig war, sagt: „Wenn das Gesicht eines Menschen verschleiert ist, dann ist auch sein Gefühlszustand schwerer zu erkennen, die emotionale Seite der Kommunikation ist erschwert.“
Ein leutseliger, extrovertierter Mensch tue sich schwerer damit, denn es werde ihm ja etwas weggenommen, was ihm wichtig ist und was er auch zum Erhalt seiner seelischen Gesundheit brauche. Ein introvertierterer Mensch tue sich mit der Gesichtsverschleierung leichter, denn tendenziell versuche er ja sowieso, Begegnungen zu vermeiden.
Wie geht es aber Menschen in Berufen, für die der Gesichtskontakt essentiell wichtig ist, etwa solche in sozialpädagogischen Berufen oder in der Krankenpflege? Wie geht es Menschen, die gar darunter leiden, dass die emotionale Seite der Kommunikation erschwert ist?
Stuckle sagt: „Wenn mir die Maske Sorge macht, mir seelisch weh tut, dann brauche ich Hilfe. Dann brauche ich eine 'gute Seele' zum Gespräch“, dann sei das Geben und Nehmen von Ermutigung und Hoffnungmachen dran – skypen, telefonieren, der Austausch trotz Maske.
Bei sich selbst erspüren, was fehlt, den Mangel wahrnehmen, das sei schon die halbe Lösung. Man müsse sich dann nur auf den Weg machen. Sich einigeln, sich zurückziehen, das sei genau das Falsche, sagt Stuckle.
Maskenverweigerer gehören für Stuckle ins Lager der Populisten. Die heutige Welt sei diesen sowieso zu kompliziert, und jetzt komme durch die Pandemie auch noch eine zusätzliche Verunsicherung dazu. Sie überfordere die Populisten. Umgekehrt könne ein seelisch einigermaßen gesunder Mensch Corona-Leugner mit ihren abstrusen Verschwörungsmythen nicht verstehen. „Seelisch gesunde Menschen versuchen, die eigene Ansteckung zu vermeiden und die der andern genauso. Punkt.“
ist Mitarbeiterin beim DRK-Kreisverband, Chorleiterin und Organistin. Sie empfinde in der Begegnung mit Menschen sehr deutlich, dass die Maske Abstand schafft und dass Herzlichkeit verloren geht. Die Mimik eines Menschen teile doch sehr viel Ergehen mit, das hinter der Maske leider versteckt bleibe, beschreibt Menig ihre Erfahrungen. Man müsse deshalb die emotionale Seite der Kommunikation aufs Gespräch verlegen und diesem mehr Gewicht geben. Mehrmals nachfragen zu müssen gehöre dann oft dazu, denn man verstehe durch das 'Genuschel' hinter der Maske ja nur die Hälfte.
Augenkontakt habe für sie auch an Bedeutung gewonnen, um sich ein bisschen besser hineinzufühlen ins Gegenüber. Sie greife jetzt auch öfter mal zum Telefon. Mails würden für sie das Hören der menschlichen Stimme niemals ersetzen können, sagt Menig. Augenkontakt und das Hören der Stimme würden für sie ein Stück weit das verdeckte Gesicht ersetzen. Durch den Mund-NasenSchutz gehe unserer Gesellschaft ganz viel an Menschlichkeit verloren, befürchtet Ingrid Menig, „wenn wir nicht ganz bewusst gegensteuern und nicht umso liebevoller, nachsichtiger und hilfsbereiter miteinander umzugehen lernen“. Man erlebe glücklicherweise bereits, dass kreative Ideen wachsen im Bemühen, trotz Corona einander eine Freude zu machen. „Wir sind den Verlusten nicht hilflos ausgeliefert, wenn wir uns nicht schicksalhaft ergeben.“
ist Lehrer am Gymnasium Isny. Die technische Seite der Corona-Vorschriften seien in der Schule kompetent gelöst, ist sein Eindruck. Schüler und Lehrer tragen konsequent die Maske, sowohl im Klassenzimmer als auch auf den Fluren und auch draußen auf dem Schulgelände während der Pausen. Das konsequente Lüften werde zwar durchgezogen, habe aber auch eine unangenehme, störende Seite: Die Türe des Klassenzimmers bleibe offen, und damit bekomme man leider Geräusche aus dem Flur mit. Einmal pro Stunde werde die Türe geschlossen und die Fenster eine Weile geöffnet, die Jacke hätten manche schon bereitliegen.
Der Lehrerschaft sei die Erfahrung gemeinsam, dass die emotionale Kommunikation mit den Schülern zumindest erschwert sei, erklärt Schlichter stellvertretend für seine Kollegen. „Durch den fehlenden Gesichtsausdruck ist kaum einzuschätzen, wie es Schülern geht und wo sie sich gedanklich gerade befinden.“
Und er nennt auch ein Beispiel: Eine Schülerin brauche individuelle, etwas nähere Zuwendung, weil sie gerade eine für sie schlecht ausgefallene Klassenarbeit zurückbekommen habe und damit nicht umgehen könne. Sie sitze traurig da, allein Worte mit Abstand könnten dann Nähe und Mimik von Gesicht zu Gesicht kaum ersetzen. Das schaffe Irritationen auf beiden Seiten.
Genauso sei es im Kreis der Kollegen. Manchmal würde doch eine Umarmung gut tun, die dann einfach vermieden werden muss. Der Kopf müsse dann leider das Herz ersetzen. Das irritiere genauso. Videokonferenzen könnten persönliche Kommunikation nicht ersetzen, weil die emotionale Nähe zueinander fehle. Mit dem Online-Unterricht komme die Lehrerschaft unterschiedlich zurecht. Auch er tue sich schwer damit, weil das Miteinander, die Mimik fehlt. Der Wunsch und die Absicht, jetzt erst recht zu liefern, zu funktionieren, Professionalität zu zeigen, das funktioniere nur sehr eingeschränkt. „Der innere Schaden ist bei Schülern und Lehrern nicht abzusehen“, sagt Schlichter.