Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Für Frauen in Not verschärft Corona persönliche Krisen
Ravensburg beteiligt sich an weltweiter Kampagne zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen
RAVENSBURG - Wenn demnächst mehrere Gebäude in Ravensburg orange angestrahlt werden, hat das einen Grund und ist damit eine Botschaft verknüpft: Die Beleuchtung ist Teil einer weltweiten Aktion, die zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen aufruft. Die gibt es auch in Ravensburg, wie die Geschäftsführerin des Vereins „Frauen und Kinder in Not“berichtet. Die Corona-Pandemie kann für Betroffene die Lage sogar noch verschärfen.
Als im Frühjahr das öffentliche Leben zur Vermeidung der weiteren Virusverbreitung weitgehend zurückgefahren wurde, war auch in der Frauenberatungsstelle des Vereins „Frauen und Kinder in Not“zunächst komplette Funkstille, sagt Beraterin Elvira Birk. „Kein Wunder, wenn Kinder fast nonstop zu betreuen sind, der gefährdende Partner zuhause ist“, sagt Birk. „Mit den ersten Lockerungen nahmen sofort die Anfragen wieder zu.“
Bei Neuanfragen habe sie seitdem oft Sätze gehört wie zum Beispiel: „Homeoffice war eine Katastrophe, materiell ist mit Kurzarbeitergeld noch mehr Druck, die Kontrolle durch den Partner war durchgängig und hochbelastend.“Im Sommer sei dann viel Betrieb in der Beratungsstelle gewesen. „Nach unserem Eindruck kam einiges an, was im Frühjahr unter dem Deckel blieb, wo in der übergeordneten Krise versucht wurde, irgendwie miteinander zu improvisieren, durchzuhalten“, so Birk.
Nach wie vor sind Betroffene aber durch Corona verunsichert: Birk erzählt, dass für eine Frau, die körperliche, seelische, soziale und materielle Gewalt durch ihren Ehemann erlebe, kürzlich die Option Frauenhaus ins Gespräch gekommen sei. Die Frau habe aber gesagt, sie könne sich das aktuell aus Angst vor einer Corona-Infektion für sich und ihre beiden Grundschulkinder nicht vorstellen.
Die Frauenhausleiterin und Geschäftsführerin des Vereins, Roswitha Elben-Zwirner, will solche Angst zerstreuen: Im Frauenhaus werde derzeit immer ein Zimmer freigehalten. Das führe zwar dazu, dass der Verein noch mehr auf Spenden angewiesen ist, als sonst, aber nur so könne man bei Corona-Verdachtsfällen eine schnelle Trennung der Frauen und ihrer Kinder schaffen. Während in Großstädten die Belegung der Frauenhäuser während der Pandemie angestiegen sei, könne sie das für Ravensburg nicht sagen.
Der Verein „Frauen und Kinder in Not“freut sich, dass Ravensburg zum ersten Mal an der Aktion „Orange the World“der internationalen
Nichtregierungsorganisation „UN Women“teilnimmt. Die Idee dazu hatte der Soroptimist International Club Ravensburg/Weingarten. Auch „Frauen und Kinder in Not“und die städtische Gleichstellungsbeauftragte Eva-Maria Komprecht gestalten das Projekt mit.
„Noch immer ist Gewalt gegen Mädchen und Frauen eine der am weitest verbreiteten Menschenrechtsverletzungen
der Welt, auch in Deutschland“, heißt es in einer Pressemitteilung aller Beteiligten. Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen haben nach Einschätzung der Veranstalterinnen zu einem weiteren Anstieg der Gewalt geführt. „Wir haben große Sorgen, dass Frauen und Mädchen unbemerkt erhebliches physisches und psychisches Leid erfahren“, erklärt Veronika Bouley
vom Soroptimist International Club. Betroffene brauchen Unterstützungsangebote und dürfen nicht stigmatisiert werden, wie die SeniorPräsidentin der hiesigen Soroptimisten, Sigrid Scharpf, ergänzt. Dazu gehöre ein offener und mutiger Umgang mit Gewalterfahrungen. „Und den erreichen wir nur, wenn wir uns als Gesellschaft der Tragweite bewusst sind“, so Scharpf. Mit Licht und Worten, die auf den Asphalt gesprüht sind, sollen Passanten zum Nachdenken darüber angeregt werden, was jeder und jede dazu beitragen kann, Gewalt in Beziehungen zu beenden.
Die Gleichstellungsbeauftragte Komprecht hat aber auch eine politische Forderung: „An die Politik geht die Forderung nach Unterstützung der Beratungsstellen und Frauenhäuser und nach Einrichtung von Präventionsprogrammen, wie in der Istanbul-Konvention vereinbart.“In diesem völkerrechtlich bindenden Vertrag verpflichtet sich Deutschland, offensiv gegen alle Formen insbesondere geschlechtsspezifischer Gewalt vorzugehen. Der Ravensburger Verein „Frauen und Kinder in Not“fordert schon lange mehr Geld für Beraterinnen, weil der Weg ins Frauenhaus nur die letzte Option sein solle (die SZ berichtete).
Elvira Birk, die viele von Gewalt betroffene Frauen kennt, wünscht sich, dass sie sich durch die Ravensburger Teilnahme an der weltweiten Solidaritätsaktion ermutigt fühlen. „Sie sollen spüren, dass sie nicht allein sind – weder hier in Ravensburg noch auf der Welt, dass es Menschen und Organisationen gibt, die sie unterstützen möchten, um den Ausstieg aus der Gewaltspirale zu schaffen“, so Birk. Alle anderen Betrachter soll die Aktion mit bekannten Fakten über häusliche und sexualisierte Gewalt sensibilisieren, damit im persönlichen Umfeld, bei der Arbeit, im Gesundheitswesen Warnsignale wahrgenommen werden und Hilfe geleistet wird.