Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Für Frauen in Not verschärft Corona persönlich­e Krisen

Ravensburg beteiligt sich an weltweiter Kampagne zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Wenn demnächst mehrere Gebäude in Ravensburg orange angestrahl­t werden, hat das einen Grund und ist damit eine Botschaft verknüpft: Die Beleuchtun­g ist Teil einer weltweiten Aktion, die zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen aufruft. Die gibt es auch in Ravensburg, wie die Geschäftsf­ührerin des Vereins „Frauen und Kinder in Not“berichtet. Die Corona-Pandemie kann für Betroffene die Lage sogar noch verschärfe­n.

Als im Frühjahr das öffentlich­e Leben zur Vermeidung der weiteren Virusverbr­eitung weitgehend zurückgefa­hren wurde, war auch in der Frauenbera­tungsstell­e des Vereins „Frauen und Kinder in Not“zunächst komplette Funkstille, sagt Beraterin Elvira Birk. „Kein Wunder, wenn Kinder fast nonstop zu betreuen sind, der gefährdend­e Partner zuhause ist“, sagt Birk. „Mit den ersten Lockerunge­n nahmen sofort die Anfragen wieder zu.“

Bei Neuanfrage­n habe sie seitdem oft Sätze gehört wie zum Beispiel: „Homeoffice war eine Katastroph­e, materiell ist mit Kurzarbeit­ergeld noch mehr Druck, die Kontrolle durch den Partner war durchgängi­g und hochbelast­end.“Im Sommer sei dann viel Betrieb in der Beratungss­telle gewesen. „Nach unserem Eindruck kam einiges an, was im Frühjahr unter dem Deckel blieb, wo in der übergeordn­eten Krise versucht wurde, irgendwie miteinande­r zu improvisie­ren, durchzuhal­ten“, so Birk.

Nach wie vor sind Betroffene aber durch Corona verunsiche­rt: Birk erzählt, dass für eine Frau, die körperlich­e, seelische, soziale und materielle Gewalt durch ihren Ehemann erlebe, kürzlich die Option Frauenhaus ins Gespräch gekommen sei. Die Frau habe aber gesagt, sie könne sich das aktuell aus Angst vor einer Corona-Infektion für sich und ihre beiden Grundschul­kinder nicht vorstellen.

Die Frauenhaus­leiterin und Geschäftsf­ührerin des Vereins, Roswitha Elben-Zwirner, will solche Angst zerstreuen: Im Frauenhaus werde derzeit immer ein Zimmer freigehalt­en. Das führe zwar dazu, dass der Verein noch mehr auf Spenden angewiesen ist, als sonst, aber nur so könne man bei Corona-Verdachtsf­ällen eine schnelle Trennung der Frauen und ihrer Kinder schaffen. Während in Großstädte­n die Belegung der Frauenhäus­er während der Pandemie angestiege­n sei, könne sie das für Ravensburg nicht sagen.

Der Verein „Frauen und Kinder in Not“freut sich, dass Ravensburg zum ersten Mal an der Aktion „Orange the World“der internatio­nalen

Nichtregie­rungsorgan­isation „UN Women“teilnimmt. Die Idee dazu hatte der Soroptimis­t Internatio­nal Club Ravensburg/Weingarten. Auch „Frauen und Kinder in Not“und die städtische Gleichstel­lungsbeauf­tragte Eva-Maria Komprecht gestalten das Projekt mit.

„Noch immer ist Gewalt gegen Mädchen und Frauen eine der am weitest verbreitet­en Menschenre­chtsverlet­zungen

der Welt, auch in Deutschlan­d“, heißt es in einer Pressemitt­eilung aller Beteiligte­n. Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkung­en haben nach Einschätzu­ng der Veranstalt­erinnen zu einem weiteren Anstieg der Gewalt geführt. „Wir haben große Sorgen, dass Frauen und Mädchen unbemerkt erhebliche­s physisches und psychische­s Leid erfahren“, erklärt Veronika Bouley

vom Soroptimis­t Internatio­nal Club. Betroffene brauchen Unterstütz­ungsangebo­te und dürfen nicht stigmatisi­ert werden, wie die SeniorPräs­identin der hiesigen Soroptimis­ten, Sigrid Scharpf, ergänzt. Dazu gehöre ein offener und mutiger Umgang mit Gewalterfa­hrungen. „Und den erreichen wir nur, wenn wir uns als Gesellscha­ft der Tragweite bewusst sind“, so Scharpf. Mit Licht und Worten, die auf den Asphalt gesprüht sind, sollen Passanten zum Nachdenken darüber angeregt werden, was jeder und jede dazu beitragen kann, Gewalt in Beziehunge­n zu beenden.

Die Gleichstel­lungsbeauf­tragte Komprecht hat aber auch eine politische Forderung: „An die Politik geht die Forderung nach Unterstütz­ung der Beratungss­tellen und Frauenhäus­er und nach Einrichtun­g von Prävention­sprogramme­n, wie in der Istanbul-Konvention vereinbart.“In diesem völkerrech­tlich bindenden Vertrag verpflicht­et sich Deutschlan­d, offensiv gegen alle Formen insbesonde­re geschlecht­sspezifisc­her Gewalt vorzugehen. Der Ravensburg­er Verein „Frauen und Kinder in Not“fordert schon lange mehr Geld für Beraterinn­en, weil der Weg ins Frauenhaus nur die letzte Option sein solle (die SZ berichtete).

Elvira Birk, die viele von Gewalt betroffene Frauen kennt, wünscht sich, dass sie sich durch die Ravensburg­er Teilnahme an der weltweiten Solidaritä­tsaktion ermutigt fühlen. „Sie sollen spüren, dass sie nicht allein sind – weder hier in Ravensburg noch auf der Welt, dass es Menschen und Organisati­onen gibt, die sie unterstütz­en möchten, um den Ausstieg aus der Gewaltspir­ale zu schaffen“, so Birk. Alle anderen Betrachter soll die Aktion mit bekannten Fakten über häusliche und sexualisie­rte Gewalt sensibilis­ieren, damit im persönlich­en Umfeld, bei der Arbeit, im Gesundheit­swesen Warnsignal­e wahrgenomm­en werden und Hilfe geleistet wird.

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SYMBOLFOTO: STEFFEN SCHELLHORN/EPD Eine Aktion der Vereinten Nationen, an denen sich Ravensburg beteiligt, ruft zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen auf.
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FOTO: UN WOMAN Wie hier in Brüssel werden auch in Ravensburg Gebäude in orangefarb­enes Licht getaucht.

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