Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Geflüchtete Lehrer wollen wieder lehren
Pädagogische Hochschule Weingarten zieht nach eineinhalb Jahren Projektlaufzeit Bilanz
WEINGARTEN (kep) - „Ich bin mit ganzer Leidenschaft Lehrer und ich freue mich, dass ich mich auf gutem Weg befinde, bald wieder unterrichten zu dürfen – in Deutschland“, erzählt Arash Malek. Der 49-Jährige stammt ursprünglich aus dem Iran, floh vor sieben Jahren nach Deutschland. Malek war einer der ersten sieben Teilnehmer des Igel-Projekts der PH Weingarten, einem Programm zur Integration geflüchteter Lehrerkräfte in die Lehrerausbildung. Das Projekt, gestartet im März 2019, soll im Ausland ausgebildeten Lehrkräften die Möglichkeit zur Requalifizierung bieten, wenn diese den Lehrberuf in Deutschland wieder aufnehmen möchten.
Über die Angebote des Igel-Programms werden die Teilnehmer auf den Quereinstieg in das Lehramtstudium an der PH Weingarten vorbereitet und im Studium unterstützt. Malek sagt, er sei immer noch mit Begeisterung dabei. Wenn alles gut läuft, schließe er nächstes Jahr ab. „Ich denke, es ist sinnvoll, wenn auch Lehrer mit Migrationshintergrund in Deutschland unterrichten. Wir können Brücken zwischen Kulturen bauen, interkulturelle Zusammenhänge vermitteln“, so Malek. Größte Herausforderung seien für ihn deutsche Fachbegriffe gewesen. Eineinhalb Jahre sind seit Projektstart vergangen.
Die PH Weingarten zieht nun Bilanz. Inzwischen sind es 24 Teilnehmer, acht davon begannen diesen November mit dem Programm. „Wir sind stolz darauf, dass fast alle Teilnehmer vom Projektstart noch dabei sind. Es spricht für den Erfolg des Programms“, so Katja Kansteiner, Leiterin des Igel-Programms. Lediglich ein Teilnehmer habe abgebrochen, weil der Spagat zwischen Familie, Arbeit und Studium für ihn nicht mehr möglich gewesen sei. „Wir haben in den vergangenen Monaten viel dazu gelernt und Anpassungen am Projekt vorgenommen“, berichtet sie. „Die Projektvorlaufzeit ist nun länger, das Angebot breiter angesetzt, es gibt zum Beispiel einen Mediencrashkurs. Des Weiteren wurde ein Bildungs- und wissenschaftlicher Sprachkurs eingeführt.“Auch ein Buddy-Konzept sei umgesetzt worden, das heißt, „ältere Igel“und andere Studenten werden den neuen Teilnehmern zur Seite gestellt, um Hilfestellungen geben zu können. „Dieses Konzept ist eine WinWin-Situation, sowohl für die Neulinge, als auch für die älteren Studenten“, berichtet Anika Schneider, akademische Mitarbeiterin beim Projekt Igel.
Hassan Al Fandi ist ein neuer Teilnehmer und sieht in dem Buddy-Programm eine große Unterstützung. Al Fandi stammt aus Syrien, ist Englischlehrer und unterrichtete nach seiner
Flucht, bevor er vor fünf Jahren nach Deutschland kam, zwei Jahre lang syrische Flüchtlinge in der Türkei. „Ich bin sehr dankbar für dieses Projekt. Er ist für mich wie ein Kompass, der mich zum richtigen Ziel führt“, sagt er. Diese Meinung teilt er mit Elenice Costa Loch. Die 41-jährige Brasilianerin startete ebenfalls im Herbst in das Projekt. „Am Anfang hatte ich Angst, ob ich alles verstehe. Jeden Tag werde ich aber etwas sicherer“, erzählt sie stolz.
Kansteiner sagt, es erfordere Mut und Arbeitsaufwand von den Teilnehmern, das Studium anzugehen und durchzuziehen. „Es ist für mich immer wieder beeindruckend zu sehen, wie die Teilnehmer für ihren Traum, wieder unterrichten zu können, kämpfen. Es ist mir persönlich deshalb jede Zeit und Kraft wert, die ich in das Projekt stecke. Die Herausforderungen
an die Teilnehmer sind vielschichtig: Sie bestreiten nicht nur ihren Alltag mit ihren Kindern, sondern müssen eine neue Sprache mit Fachbegriffen lernen, das Schulsystem in Deutschland verstehen, Prüfungen ablegen, dem Druck standhalten und auch finanziell ihren Lebensunterhalt bestreiten“, erzählt sie. Sie habe deshalb größten Respekt vor jedem einzelnen IGEL-Teilnehmer. Auch den psychischen Faktor dürfe man nicht vergessen. Alle Teilnehmer seien ja bereits als Lehrkraft in ihrem Land anerkannt gewesen, haben zum Teil schon jahrelange Berufserfahrung. Nun noch einmal viele Hürden nehmen zu müssen, sei nicht immer einfach.
Einige dieser Hürden hat Nadia Hasanky bereits hinter sich. 20 Jahre lang unterrichtete sie in Syrien, in ihrer Heimatstadt Aleppo, als Grundschullehrerin.
Sie startete wie Malek im Frühjahr 2019. In zwei bis drei Jahren wird sie voraussichtlich in Deutschland wieder als Lehrerin tätig sein können. „Ja, es ist eine permanente Herausforderung, die Sprache, das viele Lernen und nebenbei noch Mutter von drei Kindern zu sein. Ich liebe diesen Beruf und möchte wieder Lehrerin sein, ich schaffe das“, so die 45Jährige. Sie sagt, dass auch die Coronazeit eine Herausforderung darstelle. Man könne sich nicht mehr treffen, Gruppenarbeit entfalle und per Chat sei es schwieriger, die Sprache zu lernen. Aber es werde besser, so Hasanky.
Die Online-Lehre als Folge der Coronakrise bringe jedoch auch Vorteile mit sich, so Kansteiner. „Bisher ist die PH Weingarten die einzige Hochschule in Baden-Württemberg, die ein solches Projekt anbietet. Teilnehmern, die weiter entfernt wohnen, ist es nun möglich, online am Programm teilzunehmen“, sagt sie.
Kansteiner möchte das Projekt auch zukünftig voranbringen. Ihre Vision: Das Programm enger an Schulen anknüpfen, sodass idealerweise Theorie und Praxis besser verzahnt sind. „Dafür müssen jedoch zuerst entsprechende Systeme und Strukturen erschaffen werden. Wir sind aber auf dem richtigen Weg“, so Kansteiner optimistisch.