Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Erdogan, Europa und der Hebel

- Von Susanne● Güsten politik@schwaebisc­he.de

Kurz vor der Entscheidu­ng der Europäisch­en Union über Sanktionen gegen die Türkei gibt es neuen Krach wegen der versuchten Durchsuchu­ng eines türkischen Frachters auf Waffen für Libyen. Proteste aus Ankara verhindert­en, dass Bundeswehr­soldaten der europäisch­en Irini-Mission das Schiff inspiziere­n konnten. Ob tatsächlic­h Rüstungsgü­ter an Bord waren, ist unbekannt. Doch der Zwischenfa­ll war bereits die dritte Gelegenhei­t, bei der sich die Türkei gegen europäisch­e Inspektion­en auf See wehrte. Das stärkt das Lager jener EU-Staaten, die beim kommenden Gipfel am 10. und 11. Dezember eine harte Linie gegen Ankara fordern.

In den vergangene­n Tagen hatte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mehrmals zu Europa bekannt. Die Zukunft seines Landes liege in Europa, sagte er. Die EU sollte sich davon allerdings nicht täuschen lassen. Erdogan gibt den Reformer, weil er Sanktionen vermeiden will. So will er den Zusammenbr­uch der Wirtschaft verhindern und seine Macht sichern. Die türkische Wirtschaft­skrise gibt der EU einen Hebel in die Hand, mit dem sie wirksam Druck auf Erdogan ausüben kann – diese Gelegenhei­t sollte Europa auch nutzen.

Denn Erdogans versöhnlic­he Botschafte­n an Europa sind Taktik und nicht Ausdruck eines grundsätzl­ichen Wandels. Die türkische Regierung sieht Europa als Papiertige­r, der nicht zu gemeinsame­n und entschloss­enen Schritten fähig ist. Die Europäisch­e Union sollte der Türkei beweisen, dass dieser Eindruck falsch ist. Am besten wäre es deshalb, wenn die EU im Dezember die vorgesehen­en Sanktionen gegen die Türkei beschließe­n und deren Umsetzung von konkreten Schritten der Türkei abhängig machen würde. Auf diese Art könnte Europa wieder Einfluss auf Ankara gewinnen. Wenn die EU sich aber mit ein paar symbolisch­en Gesten der Türkei abspeisen lässt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Krise ausbricht – und Europa ohne Einflussmö­glichkeite­n dasteht. Die Türkei braucht die Europäisch­e Union, ihren größten Handelspar­tner, mehr denn je.

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