Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Dritter Impfstoff beweist Wirksamkeit
Oxford-Vakzin eignet sich auch für Arztpraxen – Spahn: Zentren öffnen im Dezember
BERLIN - Ein dritter Corona-Impfstoff hat seine Wirksamkeit bewiesen: Am Montag meldeten die Universität Oxford und der britische Pharmakonzern Astra-Zeneca aus laufenden Studien eine Effektivität von 70,4 Prozent für ihren gemeinsam entwickelten Wirkstoff. Bei Verabreichung einer halben und einer ganzen Dosis im Abstand von einem Monat erreiche der Wert sogar 90 Prozent. „Damit kommen wir dem Ziel näher, ihn kostengünstig der ganzen Welt zur Verfügung zu stellen“, teilte die Universität am Montag mit. Bis Ende kommenden Jahres sollen drei Milliarden Impfdosen hergestellt und ausgeliefert werden.
In den vergangenen Wochen hatten bereits der deutsche Hersteller Biontech und sein US-Konkurrent Moderna Wirksamkeitsraten um 95 Prozent vermeldet. Alle drei führenden Anbieter hoffen nun auf eine rasche Marktzulassung durch die Behörden – möglichst noch in diesem Jahr. Biontech hat die endgültige Testphase bereits abgeschlossen und liegt damit etwas vor den Wettbewerbern. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte daher an, schon Mitte Dezember Impfzentren einrichten zu lassen. Das heiße nicht unbedingt, dass die Vergabe dann schon starte, betonte Spahn an Montag in Dessau-Roßlau. „Wir wollen aber auf alle Fälle vorbereitet sein.“
Die Daten aus den Studien sehen gut aus, bestätigte Spahn. „Das schätzen die amerikanischen und europäischen Behörden gleichermaßen so ein.“Falls es schon im Dezember eine Zulassung in der EU gebe, müsse auch die Infrastruktur da sein, um mit den Impfungen zu beginnen. „Es kann aber auch sein, dass wir erst im Februar die Zulassung haben“, warnte Spahn. In diesem Fall müssten die Impfzentren auf den Impfstoff warten – das sei besser als umgekehrt.
Bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA läuft bereits seit Anfang Oktober der Zulassungsprozess für den Biontech-Wirkstoff. Experten sehen derzeit keinen Grund, die Zulassung zu verweigern – schließlich verhindert er die Erkrankung, ohne nennenswerte Nebenwirkungen auszulösen. Die US-Arzneimittelaufsicht FDA will am 10. Dezember über eine vorläufige Zulassung entscheiden.
Biontech liegt in den Zulassungsverfahren zwar etwas vorn, doch die Universität Oxford verweist auf die praktischen Vorteile ihres Kandidaten im Vergleich zu den anderen Spitzenreitern. „Der Oxford-Impfstoff kann bei Kühlschranktemperatur gelagert und entlang der bestehenden Infrastruktur ausgeliefert werden.“Damit unterscheidet er sich positiv von den Produkten von Biontech und Moderna. Deren Wirkstoffe auf Basis der neuen mRNATechnik können nur bei tiefen Minustemperaturen aufbewahrt werden. Sie eignen sich damit nicht für die Verteilung über Arztpraxen. Während die Substanz von Biontech nur bei minus 70 Grad stabil bleibt, reichen für Konkurrent Moderna minus 20 Grad.
Spahn sieht bei der Notwendigkeit zur Tiefkühlung bei minus 70 Grad das größte Problem des deutschen Produkts. „Wir machen jetzt den Plan mit den Impfzentren, weil der erste Impfstoff nun einmal nicht ausreichend vorhanden sein wird und so aufwändig gekühlt werden muss.“Sobald eine Alternative da sei, die sich wie andere Impfstoffe über die Arztpraxen verteilen lasse, sei das der bessere Weg.
In den Zentren lassen sich nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts rund 100 000 Menschen pro Tag impfen. Grundsätzlich lassen sich damit die Risikogruppen – je nach deren Definition – in rund acht Monaten durchimpfen. Es könnte jedoch auch viel schneller gehen, wenn der Oxford-Impfstoff und andere haltbarere Varianten nach und nach in den normalen Arztpraxen verfügbar werden. Daher ist die Erfolgsmeldung aus Großbritannien auch für Deutschland so wichtig.
Der biologische Ansatz der Universität Oxford unterscheidet sich deutlich von dem der beiden anderen Entwickler Biontech und Moderna. Die Oxford-Forscher haben ein Erkältungsvirus aus der Familie der Adeno-Viren neu programmiert, um eine Erbgutsequenz in die Zellen des Impflings einzuschleusen, die dort die Herstellung des eigentlichen Impfstoffs auslöst. Die genetische Information, die der Oxford-Impfstoff transportiert, liegt in Form von DNA vor, also der Erbinformation, die sich auch im menschlichen Zellkern findet. Biontech und Moderna transportieren ebenfalls die Blaupausen für Corona-Bestandteile in die Zellen, doch sie verwenden dafür Boten-Ribonukleinsäure (mRNA), die sie in ein Gebilde aus Fetten einhüllen.
Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile. Die Trägerviren des Oxford-Verfahrens sind ziemlich stabil. Die mRNA zerfällt dagegen leicht – deshalb die Notwendigkeit zur Tiefkühlung. Die Adeno-Viren haben jedoch größere Auswirkungen auf den Körper und damit mehr potenzielle Nebenwirkungen als mRNA, die sich schnell verflüchtigt.
Auch eine Wirksamkeit von 70 Prozent wäre ausreichend, um die Pandemie zu bekämpfen. Das PaulEhrlich-Institut, das in Deutschland für die Arzneizulassung zuständig ist, sieht sogar einen Nutzen bei Impfstoffen, die nur 50 Prozent der Erkrankungen verhindern. Auch damit lässt sich die Weitergabe dämpfen und die Reproduktionszahl R drücken. Die deutlich höheren Werte um 90 Prozent, die nun bekannt werden, gehören also definitiv zu den guten Nachrichten im CoronaKampf.