Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Stadträte überstimmen Ortschaftsrat bei PV-Anlagen
Am Beurener Neubaugebiet entzündet sich eine Grundsatzdebatte um künftige verpflichtende Vorgaben in Bebauungsplänen
BEUREN/ISNY - Zu einer Grundsatzdebatte, wie für mehr Biodiversität gesorgt werden könnte und mit welchen Vorgaben zum ökologischen Bauen die Stadt künftig Eigenheimbesitzer belegt, hat sich jüngst die Beratung im Gemeinderat zum Neubaugebiet an der Friesenhofener Straße in Beuren ausgewachsen. Resultat: Eine verpflichtende Vorgabe zur Begrünung von Dächern, die einen bestimmten Neigungswinkel unterschreiten, wurde bei einem Patt von neun zu neun Stimmen bei zwei Enthaltungen (noch) abgelehnt.
Dagegen sprachen sich die Stadträte mit zehn zu sechs Stimmen (bei drei Enthaltungen; ein Volksvertreter war beim Votum kurzzeitig abwesend) dafür aus, dass Bauwillige in Beuren verpflichtet werden, auf mindestens 30 Prozent der Fläche ihrer Haupt- oder Nebengebäude Photovoltaikanlagen zu installieren.
Damit stellte sich der Isnyer Gemeinderat gegen die einstimmige Empfehlung des Ortschaftsrates, der in seiner Sitzung am 4. November bei der Nutzung der Sonnenenergie zur Stromerzeugung für Freiwilligkeit plädiert hatte.
Unter diesen beiden Maßgaben stimmten schließlich 19 Räte bei einer Enthaltung für die seitens der Bauverwaltung vorgelegten Planentwürfe der sogenannten Variante 2 fürs Neubaugebiet an der Friesenhofener Straße. Sie greift Vorschläge aus dem Gemeinderat auf für eine verdichtete Bebauung mit voraussichtlich 23 Einfamilien- oder Doppelhäusern und einem Mehrfamilienhaus mit bis zu zehn Wohneinheiten.
Das weitere Verfahren steht noch unter dem Vorbehalt einer „strategischen Umweltprüfung“. Die ist nötig, weil für das allgemeine Wohngebiet der Geltungsbereich des Landschaftsschutzgebietes zurückgenommen werden muss, wofür das Landratsamt aber bereits lange im Vorfeld seine Zustimmung signalisiert hatte (SZ berichtete).
Eingangs hatte Ortsvorsteherin Silvia Ulrich (CDU) unterstrichen, dass „viele bauwillige junge Familien auf den Fortgang“des Planungsverfahrens warteten und bat den Gemeinderat,
dem „einstimmigen Empfehlungsbeschluss“des Ortschaftsrates zu folgen, der ausführlich diskutiert und für Variante 2 mit dem Mehrfamilienhaus plädiert habe. Ulrich betonte: „Mietwohnungsbau ist notwendig, Bauland ist nicht unendlich, wir wollen verdichtetes Bauen zulassen“, wobei allerdings „jeder Bauherr selbst entscheiden können sollte“, wie er baut. Wegen der „Ausrichtung der Dächer“sei deshalb keine Vorschrift für Photovoltaikanlagen gewollt, und der Ortschaftsrat habe „eine Dachbegrünung nicht als zwingend“erachtet. Alexander Sochor ergänzte, die CDU halte „Verpflichtungen nicht für sinnvoll“, mit denen sich der Gemeinderat über den Ortschaftsrat stelle.
Auch Claus Zengerle, Ortsvorsteher von Neutrauchburg, unterstrich die Bedeutung des einstimmigen Votums aus Beuren. Allgemein kritisierte der Stadtrat der Freien Wähler (FW) aber, dass die Stadt in ihre Bauplanungen „in den letzten Jahren viel ’kann, soll, darf’“geschrieben habe, die Resultate aber zeigten: Das Bemühen um „Biodiversität ist im Prinzip Pipifax“, sagte Zengerle.
Dieser Kritik schlossen sich die drei Grünen-Stadträtinnen an. Dorothée Natalis forderte mit Blick auf Dachbegrünungen: „Wir haben Klimaziele, müssen endlich ’Butter bei die Fische’ machen und die Flächenversiegelung in Stadt und Land stoppen.“Claudia Müller erinnerte an die „Leitlinien der Stadt“, die für den
„European Energy Award“formuliert wurden. Wenn sie nun die Beschlussvorlage lese, sei sie „enttäuscht, dass die Verwaltung bei erneuerbaren Energien eingeknickt ist – PV-Anlagen sind wirklich notwendig“. Petra Eyssel sagte: „Wir haben über die letzten 30 Jahre versucht, Menschen über Empfehlungen zu erreichen, das ist uns nicht gelungen. Ein grünes Dach und Photovoltaik ist doch nichts Schlimmes, ich würde vorschlagen, wir sind mutig“, plädierte sie für verpflichtende Vorgaben im Bebauungsplan.
Peter Clement (SPD) spann den Gedanken weiter: „Was kommt heraus, wenn wir Photovoltaik und Gründach nicht festlegen? In drei, vier, fünf Jahren hat jeder ein E-Mobil
in der Garage stehen, aber sonst nur Eigentum auf einem sinkenden Schiff“, sagte er mit Blick auf die weltweite Klimakrise
Edwin Stöckle (SPD) erinnerte an „ein Papier, das die Stadt vor Jahren aufgelegt hat zur Förderung regenerativen Bauens“und wollte wissen (ohne allerdings eine Antwort zu bekommen), ob sich die Verpflichtung eines Bauherrn zu einer Dachbegrünung in geringeren Erschließungskosten niederschlagen könne.
Immerhin – erfuhr Parteikollege Wolf-Dieter Massoth auf Nachfrage – „kostet ein grünes Dach pro Quadratmeter circa 80 Euro mehr im Vergleich zu einem normalen Dach“, und schon bisherige Bebauungspläne schlössen „Dachbegrünungen nicht grundsätzlich aus – aber schauen Sie sich mal um!“Diese Antwort lieferte Rudolf Zahner vom Büro Sieber in Lindau, das die Isnyer Verwaltung bei der Landschaftsplanung unterstützt und auch das neue Wohngebiet in Beuren vorantreibt.
Zahner bedankte sich für die ausführliche Diskussion („Die bringt uns auch im Büro weiter.“) und versicherte: „Sie sind nicht der einzige Rat, der so intensiv und kontrovers diskutiert.“Allerdings müsse, wer verpflichtende Festsetzungen wolle, „auch von Befreiungen Abstand nehmen“, denn was in Bebauungsplänen formuliert werde, sei oftmals „kein scharfes Schwert“. Eine Kommune könne viel bindendere Verträge formulieren, wenn sie von ihr erschlossene Grundstücke verkaufe.