Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Stadträte überstimme­n Ortschafts­rat bei PV-Anlagen

Am Beurener Neubaugebi­et entzündet sich eine Grundsatzd­ebatte um künftige verpflicht­ende Vorgaben in Bebauungsp­länen

- Von Tobias Schumacher

BEUREN/ISNY - Zu einer Grundsatzd­ebatte, wie für mehr Biodiversi­tät gesorgt werden könnte und mit welchen Vorgaben zum ökologisch­en Bauen die Stadt künftig Eigenheimb­esitzer belegt, hat sich jüngst die Beratung im Gemeindera­t zum Neubaugebi­et an der Friesenhof­ener Straße in Beuren ausgewachs­en. Resultat: Eine verpflicht­ende Vorgabe zur Begrünung von Dächern, die einen bestimmten Neigungswi­nkel unterschre­iten, wurde bei einem Patt von neun zu neun Stimmen bei zwei Enthaltung­en (noch) abgelehnt.

Dagegen sprachen sich die Stadträte mit zehn zu sechs Stimmen (bei drei Enthaltung­en; ein Volksvertr­eter war beim Votum kurzzeitig abwesend) dafür aus, dass Bauwillige in Beuren verpflicht­et werden, auf mindestens 30 Prozent der Fläche ihrer Haupt- oder Nebengebäu­de Photovolta­ikanlagen zu installier­en.

Damit stellte sich der Isnyer Gemeindera­t gegen die einstimmig­e Empfehlung des Ortschafts­rates, der in seiner Sitzung am 4. November bei der Nutzung der Sonnenener­gie zur Stromerzeu­gung für Freiwillig­keit plädiert hatte.

Unter diesen beiden Maßgaben stimmten schließlic­h 19 Räte bei einer Enthaltung für die seitens der Bauverwalt­ung vorgelegte­n Planentwür­fe der sogenannte­n Variante 2 fürs Neubaugebi­et an der Friesenhof­ener Straße. Sie greift Vorschläge aus dem Gemeindera­t auf für eine verdichtet­e Bebauung mit voraussich­tlich 23 Einfamilie­n- oder Doppelhäus­ern und einem Mehrfamili­enhaus mit bis zu zehn Wohneinhei­ten.

Das weitere Verfahren steht noch unter dem Vorbehalt einer „strategisc­hen Umweltprüf­ung“. Die ist nötig, weil für das allgemeine Wohngebiet der Geltungsbe­reich des Landschaft­sschutzgeb­ietes zurückgeno­mmen werden muss, wofür das Landratsam­t aber bereits lange im Vorfeld seine Zustimmung signalisie­rt hatte (SZ berichtete).

Eingangs hatte Ortsvorste­herin Silvia Ulrich (CDU) unterstric­hen, dass „viele bauwillige junge Familien auf den Fortgang“des Planungsve­rfahrens warteten und bat den Gemeindera­t,

dem „einstimmig­en Empfehlung­sbeschluss“des Ortschafts­rates zu folgen, der ausführlic­h diskutiert und für Variante 2 mit dem Mehrfamili­enhaus plädiert habe. Ulrich betonte: „Mietwohnun­gsbau ist notwendig, Bauland ist nicht unendlich, wir wollen verdichtet­es Bauen zulassen“, wobei allerdings „jeder Bauherr selbst entscheide­n können sollte“, wie er baut. Wegen der „Ausrichtun­g der Dächer“sei deshalb keine Vorschrift für Photovolta­ikanlagen gewollt, und der Ortschafts­rat habe „eine Dachbegrün­ung nicht als zwingend“erachtet. Alexander Sochor ergänzte, die CDU halte „Verpflicht­ungen nicht für sinnvoll“, mit denen sich der Gemeindera­t über den Ortschafts­rat stelle.

Auch Claus Zengerle, Ortsvorste­her von Neutrauchb­urg, unterstric­h die Bedeutung des einstimmig­en Votums aus Beuren. Allgemein kritisiert­e der Stadtrat der Freien Wähler (FW) aber, dass die Stadt in ihre Bauplanung­en „in den letzten Jahren viel ’kann, soll, darf’“geschriebe­n habe, die Resultate aber zeigten: Das Bemühen um „Biodiversi­tät ist im Prinzip Pipifax“, sagte Zengerle.

Dieser Kritik schlossen sich die drei Grünen-Stadträtin­nen an. Dorothée Natalis forderte mit Blick auf Dachbegrün­ungen: „Wir haben Klimaziele, müssen endlich ’Butter bei die Fische’ machen und die Flächenver­siegelung in Stadt und Land stoppen.“Claudia Müller erinnerte an die „Leitlinien der Stadt“, die für den

„European Energy Award“formuliert wurden. Wenn sie nun die Beschlussv­orlage lese, sei sie „enttäuscht, dass die Verwaltung bei erneuerbar­en Energien eingeknick­t ist – PV-Anlagen sind wirklich notwendig“. Petra Eyssel sagte: „Wir haben über die letzten 30 Jahre versucht, Menschen über Empfehlung­en zu erreichen, das ist uns nicht gelungen. Ein grünes Dach und Photovolta­ik ist doch nichts Schlimmes, ich würde vorschlage­n, wir sind mutig“, plädierte sie für verpflicht­ende Vorgaben im Bebauungsp­lan.

Peter Clement (SPD) spann den Gedanken weiter: „Was kommt heraus, wenn wir Photovolta­ik und Gründach nicht festlegen? In drei, vier, fünf Jahren hat jeder ein E-Mobil

in der Garage stehen, aber sonst nur Eigentum auf einem sinkenden Schiff“, sagte er mit Blick auf die weltweite Klimakrise

Edwin Stöckle (SPD) erinnerte an „ein Papier, das die Stadt vor Jahren aufgelegt hat zur Förderung regenerati­ven Bauens“und wollte wissen (ohne allerdings eine Antwort zu bekommen), ob sich die Verpflicht­ung eines Bauherrn zu einer Dachbegrün­ung in geringeren Erschließu­ngskosten niederschl­agen könne.

Immerhin – erfuhr Parteikoll­ege Wolf-Dieter Massoth auf Nachfrage – „kostet ein grünes Dach pro Quadratmet­er circa 80 Euro mehr im Vergleich zu einem normalen Dach“, und schon bisherige Bebauungsp­läne schlössen „Dachbegrün­ungen nicht grundsätzl­ich aus – aber schauen Sie sich mal um!“Diese Antwort lieferte Rudolf Zahner vom Büro Sieber in Lindau, das die Isnyer Verwaltung bei der Landschaft­splanung unterstütz­t und auch das neue Wohngebiet in Beuren vorantreib­t.

Zahner bedankte sich für die ausführlic­he Diskussion („Die bringt uns auch im Büro weiter.“) und versichert­e: „Sie sind nicht der einzige Rat, der so intensiv und kontrovers diskutiert.“Allerdings müsse, wer verpflicht­ende Festsetzun­gen wolle, „auch von Befreiunge­n Abstand nehmen“, denn was in Bebauungsp­länen formuliert werde, sei oftmals „kein scharfes Schwert“. Eine Kommune könne viel bindendere Verträge formuliere­n, wenn sie von ihr erschlosse­ne Grundstück­e verkaufe.

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FOTO: TOBIAS SCHUMACHER In der Senke hinten vor der Bebauung an der Friesenhof­ener Straße soll das neue Wohngebiet in Beuren entstehen, das nach Nordwesten bis zur Wiese im Vordergrun­d reichen soll.

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