Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Die Angst beherrscht alle Erkrankten“
Mediziner haben bei Covid-19-Patienten beobachtet, wie diese nach der Genesung unter Spätfolgen leiden
KEMPTEN - „Die Angst ist das Schlimme an dieser Krankheit“, denn „die Angst beherrscht alle Erkrankten“. Und diese Angst, sagt Lutz Menthel, belaste die Psyche. Der Allgemein-Mediziner, der als Koordinierungsarzt in Kempten täglich mit Corona befasst ist, kennt die Probleme von Covid-19-Erkrankten, die Monate nach ihrer Genesung mit Spätfolgen wie Leistungsabfall, Kurzatmigkeit, Müdigkeit und Nervenausfällen zu kämpfen haben. Selbst bei mildem Krankheitsverlauf, wenn Patienten nicht beatmet werden müssten, gebe es solche Folgeerscheinungen, bestätigt Prof. Dr. Christian Schumann, Chefarzt der Klinik für Pneumologie im Klinikverbund Allgäu. Vor allem die chronische Müdigkeit mache sich bemerkbar. Bei zehn bis 15 Prozent seiner Patienten, die zur Nachuntersuchung kämen, hat der Facharzt dies beobachtet.
Doch die Frage, wie lange diese Folgeschäden andauern, kann nach Ansicht von Mediziner Menthel niemand beantworten. Das sei zum einen „sehr individuell“. Zum anderen sei Covid-19 ein neuer Virus. Doch „Leistungseinbrüche“, vor allem beim Sport, und Kurzatmigkeit sind ihm ebenso bekannt wie Nervenausfälle. Die Feinmotorik lasse nach. Eine Schraube zu justieren oder einen Faden durch ein Nadelöhr zu ziehen, werde dann zu einer immensen Anstrengung. Was der Kemptener Arzt Covid-19 aber aus seiner Kenntnis heraus auf jeden Fall als Spätfolge zuordnet, ist die Angst – und die Ungewissheit der Genesenden, ob sie jemals wieder so leben können, wie sie gerne möchten. Nicht umsonst sprechen Corona-Patienten von depressiven Stimmungen während und nach der Krankheit.
Professor Schumann, der in jüngster Zeit mehr als ein Dutzend Corona-Genesende im Nachhinein behandelt hat, sagt: „Die Patienten sind verändert.“Viele bemerken, dass es nicht mehr rund läuft. Wer einen schweren Krankheitsverlauf hinter sich habe, müsse oft mit muskulärer sowie Herz- und Lungen-Beeinträchtigung kämpfen. Empfehlen kann Schumann deshalb nur, sich nach einer Covid-19-Erkrankung regelmäßig untersuchen zu lassen. Das biete auch das Klinikum an. Einig sind sich Pneumologe und Allgemeinarzt, dass ein langfristiger Verlauf dieser Krankheit noch nicht so bekannt sei. Und das ist auch die Ungewissheit jener, die nach Monaten noch Folgen spüren.
Da ist zum Beispiel Thomas Greiter, der als einer der ersten Allgäuer im März an Corona erkrankte. Nach zwei Wochen Quarantäne dachte er wie andere auch, er habe die Krankheit überstanden. Aber „es ging nur in kleinen Schritten aufwärts“, sagt der Kemptener. Heute, nach fast neun Monaten, leidet der Geschäftsführer einer Agentur für Marketing und digitale Kommunikation noch immer unter Folgen von Covid-19: Bei Anstrengungen bekomme er schlecht Luft, fühle sich müde. „Es ist erschreckend, dass man das so lange spürt.“
Angesteckt haben sich der Kemptener und seine Frau beim Skiurlaub in Südtirol. Wie andere Infizierte hielten die Greiters die Erkältungssymptome für einen grippalen Infekt. Erst als sich der Zustand verschlechterte, Geruchs- und Geschmackssinn nachließen und ein Test die Gewissheit brachte, begab sich das Ehepaar in Isolation. Dass Greiter neun Monate nach der Erkrankung noch Folgen spürt, hätte er nie für möglich gehalten. Wenngleich das im Vergleich zu anderen eher geringe Beeinträchtigungen seien. Zum Beispiel, dass er seinem Hobby Sporttauchen noch nicht wieder nachgehen könne.
Aktuell liegen derzeit 40 Covid-19-Patienten (Stand: 20. November) in den Krankenhäusern des Klinikverbunds Allgäu auf einer Normalstation. Weitere zehn müssen auf der Intensivstation behandelt werden. Zwei Patienten sind am Donnerstag an den Folgen von Corona verstorben, sagt Christian Wucherer vom Klinikverbund Allgäu. Seit dem Ausbruch der Pandemie im Frühjahr haben demnach 122 Patienten das Virus nicht überlebt.