Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Heute ist alles viel professioneller“
Vier Notärzte fliegen heuer zum letzten Mal mit dem Christoph 17
ALLGÄU - „Zu manchen Kreuzen am Straßenrand hat man ein Gesicht“, sagt Gerhard Zipperlen. Der 64-Jährige und seine Kollegen Dr. Ernst Horling (62), Lutz Menthel (57) und Dr. Nikolaus Felder (69) waren zusammen fast 120 Jahre lang als Notärzte in der Luftrettung im Allgäu aktiv, haben ungezählten Menschen geholfen, aber auch viel Leid gesehen. Für die vier ist heuer Schluss mit der Fliegerei. Während ihrer Dienstzeit hat sich in der Luftrettung Vieles verändert.
Das zeigt sich schon beim Thema Nachfolger, denn die gibt es bereits: „Die Zahl der Bewerber war hoch, die Auswahl schwer“, sagt Menthel. Früher war das anders. „Ich hätte meine Stelle im Kemptener Stadtkrankenhaus damals nicht bekommen, wenn ich nicht unterschrieben hätte, dass ich fliege“, erzählt Felder. Der Internist war 35 Jahre lang regelmäßig im Christoph 17 unterwegs.
Wer heute als Arzt in einen Rettungshubschrauber steigt, muss eine Weiterbildung zum Notfallmediziner absolviert haben und eine Bergetaubzw. Windenausbildung vorweisen. „Sonst gefährdet man die Maschine“, sagt Horling. Spezielle Kurse zur Luftrettung sind zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben, werden im Allgäu aber trotzdem verlangt. „Früher gab es das nicht. Da ist man statt in den Krankenwagen
halt in den Hubschrauber gestiegen“, sagt Zipperlen, der mehr als 31 Jahre lang dabei war. Die Notfallmedizin habe damals ohnehin noch in den Kinderschuhen gesteckt. Geflogen wurde während der Arbeitszeit. „Dann hat im Krankenhaus aber ein Arzt gefehlt, das führte immer wieder zu Unmut bei den Kollegen“, sagt Felder. Heute fliegen die Retter in der Regel zwei Tage pro Monat in ihrer Freizeit, abgerechnet wird laut Zipperlen über das Rote Kreuz. „Ich habe insgesamt mehr als zwei Jahre meines Lebens am Hangar verbracht“, sagt der Anästhesist.
Als Horling vor über 30 Jahren zum ersten Mal im Christoph 17 mitgeflogen ist, gab es noch nicht einmal Dienstkleidung. Man sei eben so eingestiegen, wie man beim Arbeiten war, wenn es sein musste auch mit Schlappen an den Füßen. „Wir haben uns dann Malerkittel besorgt und die entsprechenden Aufnäher angebracht. Die Helme haben wir uns geteilt“, erzählt der Chirurg. Felder erinnert sich an Kolleginnen, die mit Sommerkleid und Pumps losgeflogen sind. „Heute ist alles viel professioneller“, sagt Zipperlen. Das betreffe die Technik im Hubschrauber genau wie medizinische Aspekte.
Ans Aufhören haben die vier lange nicht gedacht, obwohl die Arbeit auch schwere Momente mit sich bringt. „Das ist ein leidenschaftlicher Teil eines ohnehin schon leidenschaftlichen Berufs“, sagt Menthel. Der Chirurg und Hausarzt war 22 Jahre in der Luftrettung aktiv. Den Entschluss aufzuhören fasste er nach einem Einsatz im Sommer 2019. Damals wurden in Balderschwang zwei Kinder von einem Traktor überrollt. „Da kam ich an den Punkt, an dem ich dachte: Jetzt reicht es dann auch.“
Wenn Kinder betroffen sind, wird fast immer der Hubschrauber losgeschickt. Gleiches gilt für schwere Unfälle mit mehreren Verletzten oder wenn es um Verbrennungen geht. „Und wir fliegen, wenn wir schneller am Einsatzort sein können als die Landnotärzte“, sagt Zipperlen. Zur Besatzung des Christoph 17 gehören neben dem Notarzt ein speziell für Hubschrauber-Einsätze ausgebildeter Rettungssanitäter und ein Pilot. Der entscheidet auch, ob überhaupt geflogen werden kann. „Bei dichtem Nebel geht die Maschine nicht raus“, sagt Horling.
Mit dem Arbeiten bei schwierigen Verhältnissen haben die Notärzte viel Erfahrung. Denn häufig werden sie von der Bergwacht auch zu Unglücken im Gebirge gerufen. „Da wirst du dann an einem günstigen Platz rausgeschmissen und musst schauen, wie du zum Unfallort kommst“, sagt Menthel. Zipperlen erinnert sich an einen Einsatz, bei dem er zweieinhalb Stunden lang aufsteigen musste, bevor er bei dem Verletzten ankam. Der Rückweg dauerte drei Stunden.
Trotz all dieser Strapazen würden sich die Mediziner wieder für die Luftrettung entscheiden. Aber: „Alleine sind wir gar nichts. Es geht nicht ohne ein gutes Team und viele Helfer, die tolle Arbeit leisten“, sagt Felder.