Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Oberschwaben ist in Neuzeit angekommen“
Prominente Blutreiter und Entscheidungsträger begrüßen die Öffnung des Blutrittes in Weingarten
WEINGARTEN - Die Entscheidung des Weingartener Kirchengemeinderates, den Blutritt für Frauen zu öffnen, hat – neben einigen zurückhaltenden Stimmen – jede Menge positive Reaktionen bei prominenten Blutreitern, bekannten Weingartenern und wichtigen Entscheidungsträgern hervorgerufen. Gerade aus Rottenburg und Stuttgart gibt es lobende Worte. „Ich befürworte die Entscheidung der Kirchengemeinde in Weingarten sehr. Mir ist es ein großes Anliegen, die Rolle der Frauen in der Kirche zu stärken. Dass Frauen jetzt am Blutfreitag mitreiten dürfen, freut mich“, sagt Gebhard Fürst, Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Und auch der baden-württembergische Sozialminister Manne Lucha (Grüne) misst der Entscheidung große Bedeutung bei. Schließlich sei ein aktives Gemeindeleben ohne Frauen undenkbar. „Das ist ein großes und wichtiges Signal für Geschlechtergerechtigkeit, aber auch für die Bindungskraft der Kirche. So hat der Blutritt eine Zukunft – denn Tradition kann nur durch Weiterentwicklung gewahrt werden“, sagt Lucha. Für ihn stehe der Blutritt für die tiefe Verwurzelung, der Heimat und der Zusammengehörigkeit von Männern und Frauen im Glauben. „Nun liegt es an den Blutreitergruppen, dieses mutige Signal aufzunehmen und sich der Erneuerung nicht zu verschließen.“
Großer Zuspruch kommt auch vom baden-württembergischen Justizminister Guido Wolf (CDU). Der gebürtige Weingartener versucht – sofern es die Termine zulassen – stets mitzureiten. Seit vier Jahrzehnten sei der Blutfreitag für ihn ein besonders wichtiger und persönlicher Tag, gerade mit Blick auf die tiefe Glaubenserfahrung. „Daher gehe ich nicht davon aus, dass die getroffene Entscheidung Gegner dieser Öffnung von künftigen Teilnahmen abhalten wird. Ich bin mir sicher, dass es sich die Mitglieder des Kirchengemeinderats nicht einfach gemacht haben. Umso mehr verdient ihre Entscheidung Respekt“, sagt Wolf. „Ich finde, es ist ein mutiger Schritt, der auch zeigt: tief verwurzelte Tradition und zeitgemäße Öffnungen sind gerade kein Gegensatz.“
Er habe sich bei der ganzen Thematik an eine ähnliche Diskussion vor vielen Jahren erinnert gefühlt. Damals war es um die Teilnahme von Ministrantinnen gegangen. „Ich war Befürworter und fühle mich im Nachhinein klar bestätigt: Heute sind Ministrantinnen aus der katholischen Kirche, aus der Messe und der Jugendarbeit, nicht mehr wegzudenken. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in einigen Jahren Blutreiterinnen als etwas völlig selbstverständliches ansehen“, sagt Wolf.
Deutlich zurückhaltender reagierte sein Parteikollege Axel Müller. Der Bundestagsabgeordnete des Landkreises Ravensburg, ebenfalls langjähriger Blutreiter, hatte sich noch im
Mai auf SZ-Nachfrage gegen die Teilnahme von Frauen an der Männerwallfahrt ausgesprochen. „Letztendlich müssen das die Reitergruppen nun beschließen, ob sie das wollen oder nicht – sie sind hier der Souverän. Nur die Reiter kennen die auch für mich hohe Bedeutung einer Männerpastoral und sie müssen abwägen, ob das in der bisherigen Form erhalten werden soll“, sagt Müller. „Wer jedoch hofft, dass diese Entscheidung die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft verlangsamt, wird vermutlich bitter enttäuscht werden.“
Etwas positiver blickt derweil Felix Habisreutinger, Sprecher der Festordner, in die Zukunft. Zwar hätte er den Gruppen die Entscheidung lieber persönlich mitgeteilt, um auf Fragen und Sorgen einzugehen. Doch das war wegen des „Lockdowns light“im November nun einfach nicht möglich. Nicht nur weil die Festordner mit in die Entscheidung des Kirchengemeinderats einbezogen wurden, begrüßt Habisreutinger die Veränderung: „Ich persönlich finde die Öffnung gut, da der Kern des Blutfreitags viel größer und kraftvoller, als eine Frauen-Männer-Frage ist. Manchmal müssen auch Traditionen vorsichtig modifiziert werden und sich dem Zeitgeist anpassen.“
Betont locker gibt sich Stadtrat Horst Wiest, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler. Es sei erwartbar gewesen, dass dieser Schritt früher oder später komme. Auch wenn er die Öffnung nicht gebraucht hätte, verändere sich für ihn wenig. „Jede Tradition muss man auch mal verändern. Ich fürchte nur, dass die Kirche sich so das Gewissen rein macht, sich an anderer Stelle für die Frauen aber nichts ändert“, sagt er. Für Wiest stellt sich in der Zukunft viel mehr eine praktische Frage: „Kommen die Männer jetzt noch so einfach an ein Pferd?“Schließlich besitzen viele Blutreiter selbst kein Pferd, sondern leihen es sich – oft von Frauen – für die Prozession aus.
Das sieht auch der Weingartener Heimatkundler und Heilig-Blut-Experte Jürgen Hohl als Problem. Dennoch begrüßt er die Öffnung. Allerdings hätte er es lieber gesehen, wenn alle Blutreitergruppen abgestimmt hätten und die Entscheidung nicht vom Kirchengemeinderat vorgegeben worden wäre. „Aber wenn die das entschieden haben und es den Gruppen frei lassen, selbst zu entscheiden, finde ich das ok“, sagt Hohl.
Der in Berlin lebende Douglas Wolfsperger, Regisseur des seinerzeit viel beachteten Filmes „Die Blutritter“, der schon 2004 viele wichtige Fragen rund um die Heilig-Blut-Verehrung aufgeworfen hatte, war völlig überrascht als er von der Öffnung hörte. „Das ist ja unglaublich. Da bekomme ich Gänsehaut. Oberschwaben ist in der Neuzeit angekommen“, sagte er. Nun hofft Wolfsperger, dass nun auch in anderen Bereichen der Kirche, Reformen anstehen und umgesetzt werden: „Ich denke schon, dass das etwas bewegt.“