Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Zauberbuden, Budenzauber
Alle Jahre wieder pünktlich zum Advent streuen unsere Pop-Sender Christmas Carols, also Weihnachtslieder aus England und den USA, in ihr Normalprogramm ein wie die Rosinen in den Christstollenteig. Etwa SWR1 am 1. Dezember: Zwischen Michael Jacksons „You Are Not Alone” und „Dancing Queen” von ABBA ertönte ein feierliches „O Come, All Ye Faithful“. Wäre an dieser Stelle auch die deutsche Version denkbar gewesen? „Herbei, oh ihr Gläub’gen, fröhlich triumphieret, oh kommet, oh kommet nach Bethlehem!“? Wetten, dass nicht! Denn da könnte der Sinngehalt stören, gefragt ist nur das pseudoweihnachtliche Hintergrundrauschen.
Wir kennen das von Weihnachtsmärkten. Allerdings nicht in diesem Corona-Jahr. Kein Gedudel, keine Schwaden von Bratwurst, gebrannten Mandeln und Glühwein zwischen den Glitzerbuden. Die einen freut’s, die anderen weniger. Es fehle halt der gewohnte Budenzauber, klagen viele schon lauthals. Wobei dieser Begriff Budenzauber seinen Zauber beim näheren Hinschauen schnell verliert – etwa im Glühweinrausch, aber auch aus anderen Gründen.
Schon im 13. Jahrhundert als buode für Hütte, Haus belegt, hat Bude heute sehr schillernde Bedeutungen. Wir sprechen von Marktbuden, Fischbuden, Imbissbuden, Pommesbuden und Trinkbuden. Es gibt Schießbuden und Baubuden, aber auch Bretterbuden und Bruchbuden. Mancher Kiosk heißt Zauberbude. Ein Torwart hält seine Bude sauber, wenn er keine Treffer kassiert. Und Studierende suchten früher eine sturmfreie Bude, also ein Zimmer, in dem sie Besuch empfangen durften – vorzugsweise vom anderen Geschlecht. Womit wir beim Budenzauber wären. Darunter versteht man auch eine rauschende Fete von jungen Leuten, die dann – schlimmstenfalls – in ein wildes Gelage ausartet. Aber zudem wurde Budenzauber im Krieg zum zynischen Schlagwort unter Soldaten für einen Großangriff mit viel Geschützfeuer. Man könnte zwar meinen, unser französisches Fremdwort Boutique für ein nobles Modegeschäft habe auch etwas mit Bude zu tun, aber dem ist nicht so. Es geht auf dasselbe altgriechische Wort zurück wie Apotheke. Hört man da nicht das Seufzen mancher Dame, sie könne sich eine bestimmte piekfeine Boutique nicht mehr leisten, weil diese eine Apotheke sei? Mit Bude sehr wohl verwandt ist dagegen die Baude, wie man im Riesengebirge zu einer Berghütte
Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
sagte. Apropos Baude: Dieser Tage kam die Mail eines Lesers, der in einer Zeitung auf das Wort Baudenzug gestoßen war. Da hatte jemand mal wieder bei einem Fremdwort danebengegriffen: Richtig ist Bowdenzug. So nannte der Brite Ernest Monnington Bowden im 19. Jahrhundert seine Erfindung eines biegsamen Seilzugs, etwa für Bremsen oder Kupplungen. Wenden wir uns noch kurz einem anderen Briten zu. Bei diesem abrupten Wintereinbruch konnte einem das Schlusslied aus Shakespeares Komödie „Verlorene Liebesmüh“in den Sinn kommen, hier in der immer noch reizvollen Übersetzung von Schlegel-Tieck:
Wenn Eis in Zapfen hängt am Dach, Und Thoms, der Hirt, vor Frost erstarrt, Wenn Hans die Klötze trägt ins Fach, Die Milch gefriert im Eimer hart, Das Blut gerinnt, der Weg verschneit, Dann nächtig friert der Kauz und schreit:
Tuhu, Tuwit tuhu – ein lustig Lied, Derweil die Hanne Würzbier glüht.
Wer weiß, wie Hannes Würzbier geschmeckt hat. Aber egal: Ob Würzbier oder Glühwein, da drehen wir die Hand nicht um.