Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der eigene Orbit als einziger Maßstab
Bundestrainer Joachim Löw kündigt Rücktritt im Sommer an – Art und Zeitpunkt passen zu seinem bisherigen Stil
Joachim Löw hört auf. Und wer kommt dann? Nach 15 Jahren sucht der Deutsche Fußball-Bund wieder einen neuen Bundestrainer. Es gibt mehrere Kandidaten (alle Fotos: dpa) – wohl aber nur zwei Favoriten:
(53), der Menschenfänger: „Es hängt von Jürgen Klopp ab: Er ist einer der wenigen Trainer, die selbst entscheiden, wann sie Bundestrainer werden wollen“, sagte Rudi Völler. Der Coach des FC Liverpool wäre mit seiner mitreißenden und emotionalen Art für die meisten Fans und die DFB-Bosse der beste Kandidat gewesen. Doch der frühere Dortmunder sagte öffentlich ab. „Nein, ich werde im oder nach diesem Sommer nicht als möglicher Bundestrainer zur Verfügung stehen. Ich habe ja einen Job.“Bei den Reds durchläuft Klopp zwar eine Krise, er will seinen Vertrag bis 2024 aber erfüllen.
(56), der Titeljäger: Nüchtern betrachtet der logische Nachfolger. Flick assistierte Löw beim WM-Triumph 2014, er kennt den DFB auch als früherer Sportdirektor inund auswendig – und hat als Chef beim FC Bayern mit sechs Titeln in einem Jahr eindrucksvoll seine Klasse gezeigt. Problem nur: Flick will offensichtlich nicht: „Ich weiß, was es bedeutet, beim FC Bayern zu arbeiten, und sehe keinen Grund, über etwas anderes nachzudenken.“
(62), der Professor: Das Hindernis eines laufenden Vertrags gibt es bei Rangnick nicht. Der frühere Architekt des Erfolgsprojekts von RB Leipzig hat sich vom Red-Bull-Imperium gelöst und ist offen für neue Aufgaben. „Grundsätzlich ist das Amt des Bundestrainers für keinen deutschen Trainer ein Amt, das ihn nicht interessiert“, sagte er kürzlich. Fachlich ist Rangnick über jeden Zweifel erhaben, doch zwischen dem bekennenden Reformer und DFBDirektor Oliver Bierhoff könnte es knirschen. Zudem könnte Rangnicks nicht selten pedantische Art und Detailversessenheit den Spielern aufstoßen.
(58), der DFB-Kenner: Die bequemste und günstigste Lösung – und wohl nur für einen gewissen Übergang. Der U21-Nationaltrainer genießt aufgrund seiner Erfolge und seines loyalen Auftretens hohes Ansehen im DFB. Löw selbst hatte den früheren Nationalspieler vor einem Jahr als einen möglichen Nachfolger ins Gespräch gebracht: Kuntz leiste „hervorragende Arbeit“und habe „eine sehr gute Ansprache an die Mannschaft“mit sehr viel Empathie. Die kumpelhafte Art könnte sich bei den Stars jedoch schnell abnutzen, auf ein neues taktisches Niveau dürfte Kuntz das DFB-Team auch nicht heben.
(59), der Rekordnationalspieler: Erst am Wochenende brachte Mehmet Scholl seinen früheren Mitspieler als Bundestrainer ins Gespräch. Doch der Rekordnationalspieler, der bereits als Nationaltrainer in Ungarn arbeitete, hat offensichtlich andere Pläne: „Ich bin mit meinem Leben zufrieden. Das schließe ich aus, damit beschäftige ich mich gar nicht“, sagte Matthäus bei Sky. Der TV-Experte verwies auf Rangnick als Favoriten. (SID)
FRANKFURT (dpa) - Joachim Löw hat schon immer gemacht, was er will. Der Rekord-Bundestrainer und umjubelte Weltmeister-Macher von Rio 2014 bleibt sich ungeachtet rapider abgestürzter Sympathiewerte auch bei seinem nun doch plötzlichen Abschied selber treu. Nicht nach dem WM-Desaster in Russland 2018, nicht nach dem sportlichen Abstieg aus Europas Elite-Zirkel in der Nations League und auch nicht im großen Sturm der öffentlichen Entrüstung nach der schwarzen Nacht von Sevilla kündigte der Ewige Jogi seinen Rückzug an. Löw hat auch nach der 0:6-Demütigung im vergangenen November gegen seinen Dauer-Rivalen Spanien einfach abgewartet. Und geht nun doch nach der Europameisterschaft in diesem Sommer – so ist es zumindest der Anschein – selbstgewählt, aus eigenem Antrieb. Nach 15 Jahren als Bundestrainer. Verkündet per Pressemitteilung an einem banalen Dienstag im März, kurz vor dem Start der WM-Qualifikation für 2022.
„Ich gehe diesen Schritt ganz bewusst, voller Stolz und mit riesiger Dankbarkeit, gleichzeitig aber weiterhin mit einer ungebrochen großen Motivation, was das bevorstehende EM-Turnier angeht“, wird Löw in der Mitteilung des Deutschen FußballBundes zitiert. Der Öffentlichkeit Rede und Antwort stehen will Löw aber erst mit 48 Stunden Verzögerung am Donnerstag bei einer Pressekonferenz mit DFB-Präsident Fritz Keller.
Auch diese zeitliche Lücke passt zum Typ Löw, der eben nur zur Verfügung steht, wenn es ihm passt. Zwangseinbestellungen vor dem DFB-Präsidium oder öffentliche Erklärungen wie nach dem historischen WM-Vorrunden-Aus und nach der jüngsten Spanien-Pleite waren ihm immer zuwider. Mit dem Argument einer Analyse-Auszeit schob er diese Termine immer zeitlich hinaus. Lange gaben ihm seine großen Erfolge recht, das System Nationalmannschaft hatte mit ihm einen genialen Vordenker und Anleiter. Zuletzt blieben die Ergebnisse aber aus.
Die von der Corona-Krise beeinträchtigte EM wird nun sein siebtes und letztes großes Turnier als Cheftrainer sein. Er überholt damit Helmut Schön und stellt eine weitere Rekordmarke in seiner beispiellosen DFB-Karriere auf. Die meisten Spiele (189) und die meisten Siege (120) hat er unter anderem schon. Kein Nationalcoach in 211 FIFA-Ländern ist länger im Amt. Einen festen Platz in den Rekordbüchern hat auch der höchste Sieg in einem WM-Halbfinale, das legendäre 7:1 gegen Brasilien 2014.
Ist dieser Abschied also überraschend? Ja und nein. Unerwartet ist der Zeitpunkt. In der kommenden
Woche nominiert Löw seinen Kader für die ersten drei Länderspiele des Jahres gegen Island (25.3.), in Rumänien (28.3.) und gegen Nordmazedonien (31.3.). Vor einer Woche startete er noch eine Interview-Offensive, in der er nicht den Hauch eines Anscheins erweckte, seinen bis zur WM 2022 in Katar laufenden Vertrag nicht erfüllen zu wollen. Seine Gedanken eines Neuaufbaus gingen immer sogar noch bis zur Heim-EM 2024.
Auch darauf war sein personeller Umbruch angelegt, der ihn mit der Ausbootung der Ex-Weltmeister Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng vor zwei Jahren zur wohl streitbarsten Personalentscheidung seit dem Abschied von Capitano Michael Ballack 2010 motivierte. Eine Entscheidung, die bis heute permanent ausstrahlt und ihn öffentlich angreifbar machte. Das seit Russland bröckelnde Denkmal Löw nahm auch diesen Widerstand stoisch hin. Sein eigener Orbit war und blieb immer der einzige Maßstab – bis heute.
Logisch erscheint der Rücktritt unter der Annahme, dass Löw die Zeichen der Zeit erkannte. Womöglich auch die Stimmungen im DFB. Nichts wäre ihm mehr zuwider gewesen, als gehen zu müssen, statt selbst zu gehen. Vehement intervenierte er noch gegen DFB-Präsident Keller, der einen freiwilligen Rückzug nach der EM als elegante Lösung ins Spiel gebracht haben soll. Indiskretionen aus dem inneren Zirkel brachten Löw in Rage. Nun vollzieht er diesen Schritt doch.
„Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung von Joachim Löw. Der DFB weiß, was er an Jogi hat, er ist einer der größten Trainer im Weltfußball“,
sagte Keller nun. Löw habe den deutschen Fußball über Jahre hinweg wie kaum ein anderer geprägt. „Dass er uns frühzeitig über seine Entscheidung informiert hat, ist hoch anständig. Er lässt uns als DFB somit die nötige Zeit, mit Ruhe und Augenmaß seinen Nachfolger zu benennen.“
Für Löw geht es nun darum, seine unvergleichbare Amtszeit mit einer erfolgreichen EM im Sommer zu einem würdigen Ende zu bringen. Er verspüre „weiterhin den unbedingten Willen sowie große Energie und Ehrgeiz“. Bei dem um ein Jahr verschobenen Turnier ist das Ziel Londons Fußball-Tempel Wembley mit dem Finale am 11. Juli. Es wäre Löws 201. Länderspiel als Bundestrainer. „Er hat sich einen würdigen Abschluss verdient“, meinte nicht nur Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge.
Winfried Kretschmann (72), Ministerpräsident Baden-Württemberg
Jürgen Klopp, Trainer FC Liverpool
Bastian Schweinsteiger, Weltmeister
Berti Vogts, Ex-Bundestrainer
Lothar Matthäus, Rekordnationalspieler